Bischöfe mit dem Rücken zur Wand

Wehte ein Hauch von Geschichte durch die Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz in Lingen? Das werden erst Historiker im Rückblick sagen können. Doch es war durchaus zu spüren, dass dieses Mal etwas anders war beim Treffen der deutschen Kirchenspitzen. Der Druck der Basis ist noch größer geworden. Die Bischöfe spüren Zuhause den Unmut im Klerus und im engagierten Volk. Doch längst sind noch nicht alle an dem Punkt zu erkennen, dass es ohne grundlegende Reformen keine Zukunft geben wird. Da mag der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, auch von einer „Zäsur“ sprechen. Allzu oft gab es schon Dialog- und Gesprächsprozesse, die folgenlos blieben. Wenn es dieses Mal keine klare Perspektive für Veränderungen gibt, wird das Volk seine Oberhirten im Regen stehen lassen. Zugleich war in Lingen zu spüren, dass es eine Riege von Bischöfen gibt, meist die jüngeren, aber nicht nur, die wirklich Veränderungen wollen und diese notfalls auch anpacken wollen, wenn nicht alle Bischöfe mitziehen. Damit könnte Lingen auch der Anfang eines Weges sein, der zu mehr Verschiedenheit in der katholischen Kirche in Deutschland führt.

(Quelle: dpa)

Beschleunigt der Missbrauchsskandal Reformen?

Der Konferenzvorsitzende Marx zeigte sich entschlossen bei der Abschlusspressekonferenz in Lingen. Er will nicht weiter nur reden, sondern er will handeln. Diese Überzeugung teilt er mit vielen seiner Amtskollegen. Doch nicht alle sind wirklich davon überzeugt, dass es grundlegende Veränderungen geben muss. Beim Thema Missbrauchsaufarbeitung und Prävention sind sich alle einig. Doch wenn es um die mittlerweile berühmten „systemischen Faktoren“ geht, die Missbrauch begünstigen können, machen manche nicht mehr mit. Ob es gelingen wird, diese mit dem „synodalen Prozess“ zu überzeugen, muss sich erst zeigen. Wichtig ist aber, dass die Bischöfe erstmals Schwarz auf Weiß feststellen, dass bei Macht, Zölibat und Sexualmoral Veränderungen der aktuellen Lehre notwendig sind.

Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. „Die Sexualmoral der Kirche hat entscheidende Erkenntnisse der Theologie und Humanwissenschaften noch nicht rezipiert.“ Einen solchen Satz im offiziellen Abschlussbericht einer katholischen Bischofskonferenz zu lesen, gleicht fast schon einer kleinen Sensation – zumindest aus der Binnenperspektive gedacht. Aus säkularer Sicht würde man sagen: Endlich haben es die Bischöfe auch kapiert. Immerhin ist die Deutsche Bischofskonferenz bisher die einzige weltweit, die sich diesen „systematischen Faktoren“ stellt. Kardinal Marx betonte allerdings in diesen Tagen wiederholt, dass der Missbrauchsskandal nicht Ursache für die notwendigen Reformen ist, aber Beschleuniger. Dieser habe noch einmal klar vor Augen geführt, wo Handlungsbedarf bestehe.

Wie sind die Laien einbezogen?

Dass der Weg allerdings noch weit ist, zeigt sich schon in der Rhetorik des Konferenzvorsitzenden. Die Gläubigen sollten künftig klar bei den Veränderungsprozessen beteiligt werden. „Es ist schließlich ihre Kirche, nicht die Kirche der Bischöfe!“ schiebt er als Begründung nach. Wo waren dann die Gläubigen in Lingen, die mit am Tisch saßen, um über „ihre Kirche“ zu beraten? Immerhin: In Lingen wurden vermehrt Stimmen unter den Bischöfen laut, die die „closed-shop“ Veranstaltung kritisierten und forderten, dass künftig Laien und andere an den Beratungen der Bischofskonferenz beteiligt werden müssten. Kardinal Marx betonte auch, dass er sich eine stärkere Öffnung wünschen würde, doch konkrete Beschlüsse gibt es dazu nicht. Immerhin wurde in diesen Tagen viel von der Synodalität der Kirche gesprochen und von Partizipation.

Es rumort kräftig innerhalb der Konferenz. Aus dem Kreis der jüngeren Bischöfe ist zu hören, dass doch nicht immer alle Beschlüsse einstimmig gefasst werden müssten. Ihnen scheint die ewige Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner nicht zielführend zu sein. Ob schon eine kritische Masse erreicht ist derer, die nicht nur im Trippelschritt vorangehen wollen, ist schwer abzuschätzen. Doch der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode steht längst nicht mehr alleine in der Konferenz da. Seinem Bild vom Baum, der „nicht allein aus der Wurzel lebt, so entscheidend sie ist, sondern auch aus dem Austausch mit Licht und Luft, die um ihn sind, aus dem Klima, in dem er sich entfaltet“ können sich mittlerweile eine ganze Reihe von Bischöfen anschließen. Dazu gehören der neue Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer, der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, der Magdeburger Bischof Gerhard Feige, Hamburgs Erzbischof Stefan Heße, der Speyrer Bischof Karl-Heinz Wiesemann und nicht zuletzt der Konferenzvorsitzende Kardinal Reinhard Marx. Auch Limburgs Bischof Georg Bätzing und Erfurts Ulrich Neymeyr sowie der Trierer Stefan Ackermann dürften dieser Gruppe zuzurechnen sein, eventuell auch die beiden Baden-Württembergischen Oberhirten Stefan Burger und Gebhard Fürst.

Laien wollen keine Gesprächstherapie

Das ist schon eine stattliche Zahl. Es könnte sein, dass sich künftig aus diesem Kreis heraus Gruppen finden, die auch schon einmal vorauseilen, wenn die Konferenz zu langsam voranschreitet. Das würde die Konferenz unter Umständen schwächen; andererseits aber auch die Oberhirten unter besonderen Begründungszwang bringen, die nicht mitgehen. Zunächst gilt es jetzt aber, den „synodalen Prozess“ aufs Gleis zu setzen. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, hat bereits seine grundsätzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert. Allerdings hat er gleich deutlich gemacht, bei einer reinen Gesprächstherapie werden die Laien nicht mitmachen. Davon gab es schon zu viele folgenlose Prozesse. „Wenn das einfach nur ein Gesprächsprozess mit offenem Ausgang sein sollte, würde das Frustration bedeuten. Die Leute wollen jetzt Reformen sehen“, sagte er dem Münsteraner Kirchenportal „Kirche-und-Leben.de“.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

12 Kommentare

  • Novalis
    14.03.2019, 18:18 Uhr.

    Der Oberbremser für jede Verbesserung sitzt in Regensburg. Dort träumt er im Papsthaus von Pentling, wie er die Innenausrichtung noch originalgetreuer einrichten kann. Als ihm eine Lampe aus den 70er Jahren fehlte und die auch in Antiquitätenhandlungen nicht aufzutreiben war, lobte ein Tragerl Bischofshof Bier aus, wenn er es bekäme. Gern schwärmt er auch von der Heimat seiner Mutter, die er konsequent nicht Tschechien, sondern Böhmen nennt (und damit seine eigene politische Beheimatung preisgibt).

  • Silvia
    14.03.2019, 18:36 Uhr.

    Novalis
    14.03.2019, 18:18 Uhr.

    Ich nenne die Heimat meines Vaters auch heute noch Sudetenland. Tschechien gab es noch gar nicht bei der Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem 2. Weltkrieg sondern das Land hieß damals Tschechoslowakei.

    Böhmen und Mären waren seinerzeit österreichische Kronländer und kamen erst nach dem 1. Weltkrieg zur Tschechoslowakei als das Habsburgerreich zerfallen ist.

    Mein Vater wurde 1917 noch als Österreicher unter Kaiser Franz Joseph geboren und war Märer.

    Das ist schlicht und einfach Geschichte und hat nichts mit politisch rechter Gesinnung zu tun.

    Man wird ja wohl noch die Heimat seiner Eltern so nennen dürfen, wie sie damals hieß, denn das ist geschichtlich korrekt und wir Kinder der Heimatvertriebenen dürfen zu unsern Wurzeln stehen, denn das ist ein Teil unserer Familiengeschichte und Identität.

  • Silvia
    14.03.2019, 18:48 Uhr.

    Was heißt „das Volk lässt seine Oberhirten im Regen stehen“ wenn diese nicht mitziehen?

    Die Basis der kirchenverbundenen Laien kann nicht mehr machen als z.B. Unterschriften zu sammeln und die Listen ihren Bischöfen übergeben. dies geschah z.B. vor zwei Jahren im Bistum Rottenburg – Stuttgart ausgehend von „meiner“ Seelsorgeeinheit als unser beliebter Pfarrer, damals 41 Jahre alt, wegen des Zölibats das Priesteramt aufgegeben hat. Eine Reformbewegung hat sich unserem Anliegen angeschlossen und dem Bischof die Unterschriftenliste persönlich übergeben, der Bischof hat es aber abgelehnt, sich für unser Anliegen einzusetzen.

    Dies war 2017, heute wäre es VIELLEICHT anders.

    • Novalis
      15.03.2019, 22:07 Uhr.

      Als Voderholzerinschutznehmerin: Was sagen Sie dazu, dass der Fastenhirtenbrief dieses wunderbaren, einfühlsamen Seelsorgers in der größten Krise der Kirche nach dem Krieg zur Fertigstellung der Domtürme geht?

      • Silvia
        18.03.2019, 11:41 Uhr.

        Novalis
        15.03.2019, 22:07 Uhr.

        Dazu sage ich gar nichts, weil ich diesen Hirtenbrief nicht gelesen habe.

  • Erasmus
    16.03.2019, 11:19 Uhr.

    „„Die Sexualmoral der Kirche hat entscheidende Erkenntnisse der Theologie und Humanwissenschaften noch nicht rezipiert.“

    Dieser Satz ergibt sich folgerichtig aus dem Vortrag des Moraltheologen Prof. Schockenhoff, den dieser auf dem Studientag der Bischöfe gehalten hat. Es handelt sich um eine qualitativ herausragende Darstellung des aktuellen Standes der katholischen Sexualethik und kann erfreulicherweise von der Site der DBK heruntergeladen werden.

    „Damit könnte Lingen auch der Anfang eines Weges sein, der zu mehr Verschiedenheit in der katholischen Kirche in Deutschland führt.“

    So reizvoll der Gedanke sein mag, die Punkte, auf die es ankommt, würden Einigkeit der DBK erfordern, damit ein solcher Beschluss dann auch in Rom Gewicht hätte. Ich erinnere an die Frühjahrs-Vollversammlung 2018. Kardinal Marx verlautbarte damals: „Die deutschen katholischen Bischöfe erlauben im Einzelfall ein gemeinsames Abendmahl von Ehepaaren unterschiedlicher Konfessionen. Die jeweiligen Fälle müssten aber in den Kirchen vor Ort entschieden werden.“
    Wenn sich damals nicht sieben Bischöfe quer gestellt hätten, hätte dieser Vorstoß die Chance gehabt, in eine von Rom unwidersprochene Handreichung zu münden.

  • Wanda
    19.03.2019, 17:21 Uhr.

    Nun ja, Papst lehnt Rücktrittsgesuch von verurteiltem frz. Kardinal (wegen Vertuschung und Schutz von schuldigem Priester) ab. Sogar die französische Geistlichkeit zeigt sich, gelinde ausgedrückt, „überrascht“…
    – Reform und Missbrauchsaufarbeitung ? Scheint derzeit und immer noch trotz gegenteiliger Bekundungen von Franziskus eine Illusion, zumindest wenn man hoffte, dass sie von ganz oben, d.h. Rom ausginge…

    • Novalis
      20.03.2019, 10:13 Uhr.

      Kardinal Barbarin geht in Revision. Ich würde solange diese dauert, ihn auch nicht entlassen. Das gilt sogar für einen empathielosen Menschen wie Kardinal Pell.

      • Wanda
        20.03.2019, 23:55 Uhr.

        Die Initiative ging vom Kardinal aus. Er selbst hat den Rücktritt angeboten. Absolut vernünftig, solange „die Sache“ nicht geklärt ist.
        Ist übrigens in vielen Berufen und bei Amtsträgern guter und sinnvoller Brauch. Man stellt eine/n Beschuldigten aus guten Gründen vorläufig frei…

      • Suarez
        22.03.2019, 12:06 Uhr.

        Klug ist das aber nicht!

      • Martin
        22.03.2019, 15:17 Uhr.

        Seit Jahren bin ich im Outplacement für mittlere und grosse Firmen tätig. Eine Firma schützt ihre Reputation inzwischen auf jede erdenkliche Weise. Wenn ein schwerwiegender Verdacht auf sexuelle Belästigung nur schon in der verbalen Form aufkommt, wird der Mitarbeiter entweder per sofort freigestellt, oder fristlos entlassen. Die Kirche hat es noch nicht gelernt, ihre Reputation zu schützen (geschweige ihre eigenen Mitglieder). Hier werden sogar bei einer Verurteilung, auch wenn sie nicht rechtsgültig ist, nicht die Opfer, sondern die Täter geschützt und diejenigen, die sie gedeckt haben. Im Interesse der Wahrung der eigenen Reputation müssen solche Mitarbeiter sofort entlassen werden. Was die Unternehmen gelernt haben, muss die Kirche noch lernen. Sehr schnell. Aber eben, eine Firma bekommt den Verlust der Reputation auf der Börse zu spüren. Die Kirche aber meint, sie ist sowieso für die Ewigkeit da. Ihr Reputationsschaden kann aber an der Anzahl der Kirchenaustritte gemessen werden und an den ausbleibenden Steuereinnahmen. Davor müssten die deutschen Bischöfe langsam Angst bekommen. Aber so lange sie vom Staat besoldet werden, trifft es sie nicht direkt.

        • Wanda
          23.03.2019, 14:24 Uhr.

          @Martin 22.03. 15:17
          – Man hat schon lange den Eindruck, entsprechende Kreise der hohen Geistlichkeit und die Amtskirche verfahren nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt’s sich gänzlich ungeniert“…
          Der Verlust an Glaubwürdigkeit und Angehörigen ihrer Konfession scheint ihr völlig gleichgültig. Zumindest wenn man die ins Leere laufenden Erklärungen und lächerlichen Reaktionen zum Maszstab nimmt. Die Kirche und ihr Führungspersonal sind im negativen Sinne tatsächlich nicht von dieser Welt (Ausnahmen betätigen auch hier die Regel)…

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