Kardinal Lehmann – der Brückenbauer
Eine Ära geht zu Ende in der katholischen Kirche in Deutschland. Mit dem Tod von Kardinal Karl Lehmann hat die katholische Kirche in Deutschland ihren prägendsten Kopf der vergangenen Jahrzehnte verloren. Das II. Vatikanische Konzil erlebte er als Mitarbeiter des großen Konzilstheologen Karl Rahner. Anschließend versuchte er in seinem Wirken als Theologieprofessor und seit 1983 als Bischof von Mainz und langjähriger Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz die Beschlüsse des Konzils in die kirchliche Situation in Deutschland zu übertragen. Dabei war er stets ein Brückenbauer zwischen Kirche und Welt, zwischen der Kirche in Deutschland und der römischen Zentrale, aber auch innerhalb der katholischen Kirche. Zeitlebens engagierte er sich für die Ökumene. In seinem Bistum war er als volksnaher Bischof sehr beliebt, auch wenn manchmal angesichts der vielen Termine auf bundesweiter oder vatikanischer Bühne wenig Zeit für die Mainzer blieb. Die Menschen hatten „Ihren Kardinal“ ins Herz geschlossen; entsprechend groß ist die Trauer heute im Bistum und weit darüber hinaus. Informationen auch bei heute.de.
Vermittler zwischen Gott und Welt
Die Reaktionen aus Politik und Gesellschaft auf den Tod Lehmanns geben Zeugnis für die große Anerkennung, die er weit über die katholische Kirche hinaus genoss. Lehmann suchte den Dialog zu allen gesellschaftlichen Kräften. „Viele Leute verstehen ja nicht so gut“, so Lehmann in einem ZDF-Interview, „warum man als Bischof für die Kirche viel auch außerhalb der Kirche sein muss. Ich muss außerhalb von Kirche werben dafür, wie Kirche denkt, warum sie so denkt und darf da eigentlich kein Feld meiden.“ Entsprechend unermüdlich reiste Lehmann über Jahrzehnte durch die Republik, um mit den Entscheidern im Gespräch zu bleiben, durch unzählige Vorträge Impulse zu setzen und so für eine christliche Prägung von Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zu werben.
Dabei kam ihm zugute, dass er ein exzellenter Theologe war. Seine Positionen bauten auf ein solides katholisches Fundament. Daher störte es ihn auch nicht, dass Kritiker, vor allem aus konservativ katholischen Kreisen, ihm immer wieder vorwarfen, katholische Positionen dem Zeitgeist preiszugeben. Seine solide theologische Ausbildung und seine feste Verwurzelung im katholischen Glauben im Sinne des II. Vatikanischen Konzils gab ihm die Freiheit, sich auf kontroverse Diskussionen einzulassen und dabei Theologie und Kirche weiterzudenken. Wenn er über einen möglichen Kommunionempfang für wiederverheiratete Geschiedene sprach, über die Möglichkeit des Diakonats für Frauen oder Viri probati, ging es ihm nicht um Effekthascherei oder Anpassung an den Zeitgeist, sondern er argumentierte aus der Tiefe der katholischen Theologie und Tradition. Daher konnten ihn, wie im Fall des Vorstoßes bei den wiederverheirateten Geschiedenen am Ende nur ein eher (kirchen)politisch motiviertes „Nein“ aus Rom bremsen, nicht aber theologische Gegenargumente.
Geschätzter Gesprächspartner im Vatikan
Lehmann war über viele Jahre Mitglied in verschiedenen Kongregationen und Päpstlichen Räten im Vatikan. Seine Meinung war in der römischen Zentrale geschätzt, auch wenn sie nicht immer allen schmeckte. Zu Papst Johannes Paul II. hatte Lehmann einen guten Draht; der wurde auch durch die Kontroverse um die Schwangerenkonfliktberatung nicht getrübt. Im Rückblick stellte Lehmann im ZDF-Interview fest: „Ich denke immer wieder und je länger je mehr an Johannes Paul II. zurück, der mich in der Frage der Schwangerschaftskonfliktberatung mit einer großen Geduld anhörte und mich nie davonjagte, wenn ich noch einmal kam und Einwände brachte. Ich hatte vorher nie das Gefühl, man könnte so mit einem Papst umgehen. Die Bereitschaft einerseits von ihm zu hören, auch wenn er sehr genau wusste, was er wollte, die schätze ich doch heute eigentlich sehr sehr hoch.“ Allerdings fiel doch auf, dass Lehmann trotz seiner großen Verdienste um Kirche und Theologie lange Zeit der Kardinalspurpur verwehrt blieb. Erst im Februar 2001 nahm ihn Johannes Paul II. in den Senat der Kirche auf. Am Ende war er mit Blick auf Rom versöhnt gewesen. Mit Jorge Mario Bergoglio wurde 2013 ein Mann zum Papst gewählt, der ganz nach Lehmanns Geschmack ist. Zwar kritisierte Lehmann gelegentlich, dass Franziskus seine Aussagen und Reformvorhaben stärker theologisch untermauern sollte, doch die Grundlinie des Pontifikats des ersten Papstes aus Lateinamerika sah Lehmann positiv: eine Kirche an der Seite der Menschen, die integriert und nicht ausgrenzt.
Was bleibt?
Das ist an einem solchen Tag schwer zu sagen. Sein großes theologisches Werk wird die Diskussionen um ein Weiterdenken von Theologie und Kirche, die im Pontifikat von Papst Franziskus aufgebrochen sind, sicher noch lange beeinflussen. Vieles, was seit dem Pontifikatswechsel 2013 diskutiert wird, hat Lehmann in den vergangenen Jahrzehnten bereits in Aufsätzen und Vorträgen bearbeitet und durchdacht. Damit wird sein reiches theologisches Erbe weiter seine Wirkung entfalten.
5 Kommentare
Karl Lehmann kehrt nun ins Vaterhaus zurück. Ich wünsche ihm, dass seine Zuversicht sich nun in der Gottesschau erfülle – und dass die deutsche Kirche vom Irrweg in der Schwangerenkonfliktberatung, zu der sie gezwungen wurde, auf den richtigeren Weg zurückkehrt. Vielleicht bewirkt die Fürsprache Karl Lehmann ja etwas.
Möge er in Frieden ruhen. Ich hätte mir gewünscht, dass er uns noch länger erhalten geblieben wäre.
Meine Hochachtung vor einem Christen.
Möge er in Frieden ruhen.
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