Papst gesteht Fehler ein

Es ist schon ein ungewöhnlicher Vorgang, der sich gestern beim Treffen von Papst Franziskus mit der Päpstlichen Kinderschutzkommission ereignete. Vielleicht sind es weniger die Ereignisse beim Treffen selbst als das „vatikanische Nachspiel“ dazu. Der Vatikan verteilte den vorbereiteten Text, den Franziskus so auch gehalten hat. Doch die Einleitung, die Franziskus frei sprach, wurde bisher nicht veröffentlicht. Allerdings hatten es diese Worte durchaus in sich; auch wenn die Vatikanzeitung Osservatore Romano versucht, sie herunterzuspielen, und schreibt, der Papst habe lediglich „einige Überlegungen ohne Manuskript“ vorgetragen. Ein paar Punkte dieser „Überlegungen“ hatte Radio Vatikan gestern im Anschluss an das Treffen bereits veröffentlicht – etwa dass die katholische Kirche „recht spät“ auf das Problem des Kindesmissbrauchs reagiert habe und dass die Gewissen „geschlafen“ hätten. Was Radio Vatikan nicht berichtete, dafür heute aber der „Avvenire“, die Tageszeitung der italienischen Bischofskonferenz: Franziskus gestand einen Fehler ein im Umgang mit einem Priester, der des Missbrauchs überführt worden war. Am Ende der Rede habe der Papst die Teilnehmer um Vertraulichkeit gebeten. Warum dann gerade die Zeitung der Italienischen Bischofskonferenz die frei gehaltenen Passagen ausführlich zitiert, wird wohl immer ein Rätsel bleiben.

Papst Franziskus beim Treffen mit der Päpstlichen Kinderschutzkommission gestern im Vatikan. (Quelle: reuters)

Papst: Ich habe gelernt

Es geht um den Fall eines Priesters aus dem Bistum Crema im Norden Italiens. Der sollte nach einem kirchlichen Prozess aus dem Priesteramt entlassen werden. Doch Franziskus milderte das Urteil im Jahr 2014 ab. Der wegen seines luxuriösen Lebensstils auch „Don Mercedes“ genannte Geistliche wurde nicht laisiert, sondern musste zurückgezogen ein Leben in Gebet und Buße führen und eine Psychotherapie machen. Nachdem es 2016 neues belastendes Material über den Priester gab, wurde er schließlich doch aus dem Priesterstand entlassen. Der Papst erklärte nun gestern laut Avvenire, er habe seinerzeit das Gnadengesuch eines des Missbrauchs überführten Priesters im italienischen Bistum Crema angenommen und sich für eine „milde“ Variante entschieden. Später sei der von ihm teilweise begnadigte Priester rückfällig geworden. Daraus habe er gelernt, betonte der Papst. „Es war das einzige Mal, dass ich das gemacht habe, danach nie wieder!“ Franziskus erläuterte den Anwesenden weiter, dass er in diesem Bereich gelernt habe. „Ich habe von Kardinal O’Malley gelernt, ich habe von den Opfern gelernt, denen ich begegnet bin. Es [Pädophilie] ist eine „schreckliche Krankheit“, so der Papst. Daher werde er nie wieder einen Priester begnadigen, der entsprechende Straftaten begangen hat.

Mittlerweile haben die Anwälte des Priesters der Darstellung des Papstes widersprochen, wonach ihr Mandant nach seiner kirchlichen Teilbegnadigung 2014 rückfällig geworden und dies der Grund für die erneute kirchliche Bestrafung gewesen sei. Der ehemalige Priester habe damals keine neuen Straftaten begangen. Hier sei der Papst offenbar „schlecht informiert“. Tatsächlich sei die Laisierung 2016 erfolgt, nachdem der Vatikan die Akten des ersten weltlichen Strafgerichtsprozesses zur Kenntnis genommen habe. Damals war der ehemalige Priester wegen mehrerer Missbrauchsfälle aus der Zeit von 2004 bis 2008 zu vier Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden.

Verschlungene Wege der Kommunikation

Bereits Anfang dieses Jahres war über den Fall in den Medien berichtet worden. Damals wie heute war nicht klar, ob sich Franziskus bei der Teilbegnadigung über eine Empfehlung der Glaubenskongregation hinweggesetzt hat oder nicht. Der Avvenire zitiert den Papst mit den Worten, es hätten ihm zwei Urteile vorgelegen. „Das Urteil des Ortsbischofs war gut, klug, verbot jegliche Amtsausübung, sah aber nicht die Laisierung vor. Ich war neu, habe diese Dinge nicht richtig verstanden. Angesichts der beiden [Urteile] habe ich das mildere gewählt.“ Es sei das einzige Mal gewesen, und er werde es nicht mehr wieder machen. Was war das zweite Urteil? War es der Vorschlag der Glaubenskongregation, den Priester auch zu laisieren? Das geht aus den Ausführungen nicht klar hervor. Damit sind nach wie vor nicht alle Punkte geklärt. Auch wird der Papst im heutigen Avvenire-Artikel beim Thema „Gnadenerlass für verurteilte Priester“ mit den Worten zitiert: „Ich habe nie eine dieser Anfragen unterzeichnet und werde auch nie unterschreiben!“ Wie das mit seinen Ausführungen zu dem Priester aus dem Bistum Crema passt, erschließt sich nicht ganz. Sicher scheint allerdings, dass Franziskus bereit ist, aus Fehlern zu lernen. Warum die Öffentlichkeit davon nichts erfahren soll, ist allerdings unklar.

Aus dem Umfeld des Vatikans sind aktuell verschiedene Dinge zu hören. Die einen sagen, Franziskus sei sich nicht bewusst gewesen, dass die Rede von Radio Vatikan aufgezeichnet und damit komplett öffentlich gewesen sei. Der Papst sei davon ausgegangen, dass es sich um ein vertrauliches Treffen handelte. Andere haben Sorge, dass die Aussagen des Papstes juristische Folgen haben könnten. Etwa wenn er als Oberhaupt der katholischen Kirche feststelle, dass die Kirche zu spät gehandelt habe. Wie dem auch sei, die Worte des Papstes sind nun öffentlich geworden. Es ist schwer vorstellbar, dass der Avvenire, die Zeitung der Italienischen Bischofskonferenz, bei einem solch heiklen Thema ohne Rücksprache mit Verantwortlichen – zumindest innerhalb der Bischofskonferenz, wenn nicht gar im Vatikan – gehandelt hat. Zumal der Autor des Textes, Gianni Cardinali, zu den wenigen Journalisten zählt, die Franziskus noch aus seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires kennen und denen Bergoglio vertraut. Dieses Vertrauen würde er wohl nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Er soll bei dem Treffen zugegen gewesen sein.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

3 Kommentare

  • alberto knox
    22.09.2017, 20:39 Uhr.

    was für ein unterschied zu kardinal müller, der heute noch behauptet, in regensburg keine fehler gemacht zu haben, und zu ratzinger, der, wiewohl alle kindesmissbrauchfälle über seinen glaubenskongregationsschreibtisch über jahre hinweg liefen, sich bei seinem brief an die iren zusammenfabulierte, ihn habe das ausmaß des missbrauchs überrascht und von dem bis heute kein wort wort der entschuldigung zu den beiden fällen des „schwammdrüber“, die ihm in den usa nachgewiesen werden konnten, sagt. ein papst, der fehler macht und sie eingesteht. wow.

  • Silberdistel
    25.09.2017, 12:10 Uhr.

    Willkommen ihr rk-Katholiken & Papst in der real existierenden Wirklichkeit.

    • neuhamsterdam
      25.09.2017, 21:41 Uhr.

      „rk-Katholiken“ – ein Wortspiel. Man hat den Eindruck, da nun Müller weg ist, etwas rk-Müller ist in dieser Wirklichkeit immer und sogar notwendigerweise vorhanden.
      Wobei der Grund der Entschuldigung in dieser nachts-ist-es-kälter-als-draußen-Nachririchtenlage (gerade heute am Karl-Valentin-Gedenktag passt das Schämen sie sich, daß sie so jung sind!) und die zufällg rechtliche Unangreifbarkeit der veröffentlichten Aussagen durchaus…
      was soll ich schreiben… eine Überschrift hat, die eigentlich eine Unterschrift sein sollte und selbst diese Unterschrift (wird im Artikel thematisiert), nämlich, daß des Existenz derselben unklar ist.
      Was waren das noch Zeiten, als Rom weit war und man vieles erst später oder anders oder gar nicht mitbekommen hast oder auswendig lernen mußte und sich seine Gedanken selber über Rom ausdenken konnte. From a distance it all looks good.

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