Pastoraltheologe Kohlgraf wird Bischof in Mainz
Das ist eine Überraschung: Der Mainzer Pastoraltheologe Peter Kohlgraf wird neuer Bischof von Mainz und damit Nachfolger von Kardinal Karl Lehmann. Viele hatten mit dem Mainzer Weihbischof Udo Bentz gerechnet; den hätte sich auch Lehmann gut vorstellen können. Doch es kam anders. Kohlgraf ist bisher nur wenigen bekannt. Der 50-Jährige ist seit 2012 Professor für Pastoraltheologie an der Katholischen Hochschule in Mainz. Daneben arbeitete er als Seelsorger in einer Pfarrgruppe in der Nähe von Mainz – ein Professor, der den Kontakt zur Basis nicht verloren hat. Das zeigt sich auch immer wieder in seinem theologischen Wirken. 2015 etwa forderte er mit Blick auf Ehe und Familie: Die Kirche müsse darüber nachdenken, wie sie mit Menschen umgeht, die dem Ideal nicht mehr entsprechen, damit diesen „eine Versöhnung mit der Vergangenheit, mit Gott und der Kirche ermöglicht werden kann“. Er mahnt zur „Vorsicht bei Schwarz-Weiß-Kategorien mithilfe der Theologie“. Vielleicht, so Kohlgraf, „schärfe sich kirchliches Profil mehr in der Begegnung mit der Lebenswirklichkeit der Menschen als man ängstlich meinen könnte“.
Kirche muss Wirklichkeit ernst nehmen
Es ist interessant zu sehen, dass Theologen heute Bischof werden können, die etwa die Sakramentalität der Ehe in Frage stellen. Also um genau zu sein, stellte Kohlgraf 2015 die Frage: „Ist ein Sakrament, das nicht mehr als Zeichen erfahren wird, wirklich noch sakramental, und kann man die Sakramentalität allein am Rechtsakt der Eheschließung festmachen?“ Der Pastoraltheologe hatte in dem Text zuvor konkrete Situationen aus der Praxis geschildert, in denen Frauen die Ehe als Gefängnis erlebten. Kohlgraf ging sogar noch weiter: „Zu hohe emotionale und idealistische Erwartungen können erfahrungsgemäß eine Mitschuld am Scheitern mancher Beziehungen tragen.“ Was ihn zur Frage führte, ob „die Kirche mit ihrem Konzept von Ehe und Partnerschaft nicht ebenfalls eine Möglichkeit für das Hineintappen in eine ‚Perfektionismusfalle‘“ setze. Mit Blick auf die Diskussionen bei der Familiensynode kam der Pastoraltheologe zu dem Ergebnis: „Die Kirche hat nur selten einfach Altes wiederholt, und dies waren nicht unbedingt die fruchtbarsten Zeiten.“ Er schließt sich der Idee des Jesuiten Willi Lambert an: „Gelebte Wirklichkeit von Menschen kann für den Gläubigen und die Kirche normativ werden.“
Dazu bringt Kohlgraf aus seiner bisherigen Tätigkeit durchaus Erfahrung mit. Im Wintersemester 2015/2016 hat er zusammen mit seinen Studierenden an der Katholischen Hochschule in Mainz eine Umfrage unter Gemeinden seines neuen Bistums gemacht, in der es um die Einschätzung der Gläubigen zur Zukunft der Gemeinden ging. Die Ergebnisse kann er jetzt sicher gut gebrauchen. Denn dem Bistum Mainz stehen noch die großen Umstrukturierungsprozesse ins Haus, die in vielen anderen Diözesen seit Jahren im Gange sind. Die Umfrage hatte damals ergeben, dass für die Menschen vor allem das „Gemeinschafts- und Heimatgefühl“ ein entscheidender Faktor ist. Das wird sich mit immer größeren Seelsorgsbezirken nicht herstellen lassen. Zugleich brachte die Studie zutage, „die Beheimatung an einem hauptamtlichen vor Ort festzumachen, scheint nicht Thema der Befragten“. Sprich, wenn es keinen Pfarrer mehr gibt, nehmen die Laien das Schicksal selbst in die Hand. Das könnte in die Richtung deuten, die das Erzbistum München und Freising gerade testet: Gemeindeleitung durch ein Team von Haupt- und Ehrenamtlichen, um so in der Fläche präsent zu bleiben. Ob der neue Mainzer Bischof sich ein solches Modell vorstellen kann? Die Ergebnisse der von ihm betreuten (nicht repräsentativen) Studie gäben ihm durchaus die Legitimation dazu.
An Franziskus orientiert
Peter Kohlgraf stammt aus dem Erzbistum Köln. Dort wurde er 1993 zum Priester geweiht – zusammen mit dem heutigen Erzbischof von Hamburg Stefan Heße und dem Kölner Weihbischof Dominik Schwaderlapp. Kohlgraf bringt einen breiten Erfahrungsschatz mit. Von 1999 bis 2003 war er Schulseelsorger und Religionslehrer an einem Bonner Gymnasium. In dieser Zeit promovierte er in Alter Kirchengeschichte und Patrologie bei Ernst Dassmann. 2010 wurde er in Münster mit einer pastoraltheologischen Arbeit habilitiert. Seit Herbst 2012 lehrt er an der Katholischen Hochschule in Mainz. Derzeit ist er Dekan des Bereichs „Praktische Theologie“. Auffallend ist in seinen Texten, dass er eine positive Haltung gegenüber der Moderne hat. „Die Situation des Pluralismus kann kreative Entwicklungen auslösen“, ist er überzeugt und betont zugleich: „Nur wer einen eigenen Standpunkt hat, kann tolerant sein“. „Wer den Glauben ausschließlich mit richtigen Lehrsätzen gleichsetzt, ist von der Wahrheit des Evangeliums weit entfernt“, so Kohlgraf 2014 in einem Artikel über „Katholisch sein in der Welt von heute – im und um den Glauben ringen“. Für ihn scheint die Zeit der Orthopraxis gekommen, die er nicht gegen die Orthodoxie stellen möchte. Aber mit Verweis auf Papst Franziskus und dessen Lehrschreiben Evangelii gaudium kommt er zu dem Schluss, dass es notwendig sei, „sich der Wirklichkeit zu stellen, weil Gott sich in seinem Sohn der Wirklichkeit ausgesetzt hat“.
Was man bisher von dem neuen Bischof von Mainz lesen kann, klingt interessant und dürfte vielen Gläubigen Hoffnung machen. Der Dogmatiker Karl Lehmann übergibt den Leitungsstab für den Heiligen Stuhl zu Mainz an den Pastoraltheologen Peter Kohlgraf. Der Termin für die Bischofsweihe steht noch nicht fest; möglicherweise ist er sogar erst nach den Sommerferien. Mit seiner Wahl geht das Mainzer Domkapitel einen Mittelweg. Der Professor ist nicht eingebunden in die diözesanen Strukturen und damit frei von möglichen Seilschaften. Zugleich ist er aber kein Unbekannter, denn Kohlgraf war in den vergangenen Jahren immer wieder Gast bei diözesanen Veranstaltungen. Man glaubte daher wohl, abschätzen zu können, was auf das Bistum zukommt. Dem vernehmen nach fiel die Wahl im Domkapitel einstimmig auf Kohlgraf.
15 Kommentare
Interessante Entscheidung des Papstes. Und dem Bistum Mainz ist ein Kardinal Gerhard Ludwig Müller als Bischof erspart geblieben.
Naja, da kann man jetzt gespalten sein: GLM wäre ein überschaubares Drama gewesen. Aber Kohlgraf ist eine ganz hervorragende Wahl. Endlich wird dort weitergemacht, wo 1978 die Eiszeit begonnen hat!
Eine kleine Korrektur: Peter Kohlgraf war nicht nur in Bonn als Religionslehrer tätig, sondern von 2009 – 2012 auch am Gymnasium und Berufskolleg Marienberg in Neuss. In dieser Zeit habe ich ihn kennengelernt – und kann alle Mainzer nur beglückwünschen.
Diese Entscheidung wird uns in den nächsten Jahren fruchtbareZusammenarbeit zwischen Bistumsleitung und der Basis in der Pfarrei ermöglichen. Gott gebe ihm Kraft und Stärke für sein Bischofsamt.
Das klingt doch hoffnungsvoll.
man kann mainz und den neuen bischof wirklich nur beglückwünschen: ein gegenseitiges ad multos annos!
Sehr geehrte Damen und Herren,
das ist logisch! Ein Bischof wird nur ernannt, der dem jeweils herrschenden Pontifex am ehesten entspricht! Hier zeigt sich die totale Verweltlichung! Ich bin weiß Gott nicht von gestern! Aber der Glaube sollte über die Welt hinaus erhalten bleiben, so wie er ursprünglich einmal war! Denn er kommt von Gott/dem Heiligen Geist! Jetzige Kirche kann sich aber nicht genug der Welt anpassen! Hastet ihr hinter her! Ich bin durchaus für die moderne Welt; alles andere als ewig „gestrig“! Kann mich für Forschung und Wissenschaft begeistern! Der Glaube aber kommt von Gott und kann nicht durch menschliche Beliebigkeit geändert werden, wie es gerade so gefällt! Wo bleibt die unverfälschte Glaubensverkündigung?! Alle Schriften von Aposteln/Propheten sind erhalten, die den ewigen Glauben verkünden! Ich dachte immer: Kirche lebt aus der Schrift/Tradition/Offenbarung!? Wie mir jedoch scheint, sind alle Dogmen nicht mehr zeitgemäß bzw. ungültig, weil sie nicht mehr verstanden werden wollen! Der neue Bischof von Mainz – schauen wir einmal, was die Zukunft bringt!
19.4.2017
sieglinde lackner
19.04.2017, 18:09 Uhr.
Da stimme ich Ihnen zu, deshlb schrieb ich ja „interessante Entscheidung“. Da ich von dem zukünftigen Mainzer Bischof noch nie etwas gehört habe, bin ich ihm gegenüber neutral eingestellt, habe also keine Erwartungen sondern ich denke, man sollte ihm unvoreingenommen begegnen und schauen, wie er „sich macht“.
– Meinen Sie nicht, dass Glaube sehr unterschiedlich weil eine urpersönliche Angelegenheit ist ?
Bin zwar zum Atheisten geworden, wurde aber mit meinen 4 Geschwistern in einer durch und durch katholischen Familie (übrigens liebevoll) erzogen.
Sogar als Kind ist mir damals aufgefallen, dass jeder seine ganz persönliche Einstellung im Umgang mit seinem Gott hatte. Angefangen von unserem lebenslustigen Gemeindepfarrer Heinrich Thoneick (ein Genussmensch), über die uns suspekten sogenannte Betschwestern, die bei ihm einen schweren Stand hatten, bis zu meiner tiefgläubigen aber äusserst amtskirchenkritischen Mutter, welche grundsätzlich nicht zur Beichte ging. Ihr Begründung, die mir oft wie ein Drohung vorkam: wenn ich mit meinem Herrgott etwas zu regeln habe, dann mache ich das persönlich mit ihm aus und nicht über einen Vermittler…
Bin sehr erstaunt und glücklich, daß das Umfeld von Kardinal Meißner einen Kandidaten für die Mainzer Bischof Nachfolge mit dieser vielversprechenden Vita hervorgebracht hat. Viel Erfolg.
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