Papst Franziskus in Lateinamerika – Tag 5

Der Papst ist ein Sozialist!? Spätestens seit heute muss man mit einem absoluten „Nein“ etwas vorsichtig sein. Bei der Begegnung mit den Volksbewegungen legte Franziskus in bolivianischen Santa Cruz ein stark profiliertes „päpstliches Sozial-Manifest“ vor. Mit Kampfesrhetorik stellte er sich hinter die Interessen der Volksbewegungen. „Ich möchte erneut meine Stimme mit der Ihren vereinen: Grund und Boden, Wohnung und Arbeit für alle unsere Brüder und Schwestern!“ Erneut kritisierte er radikal das aktuelle Weltwirtschaftssystem. „Diese Wirtschaft tötet. Diese Wirtschaft schließt aus. Diese Wirtschaft zerstört die Mutter Erde.“ Er bat um Vergebung für Sünden der Kirche gegen die Ureinwohner und sprach angesichts der Verfolgung und Ermordung von Christen weltweit von einer „Art Völkermord, der aufhören muss“. Auch bei den beiden anderen Großevents heute, griff Franziskus bekannte Themen auf. Beim Gottesdienst geißelte er die Kultur der Ausgrenzung und des Konsums. Beim Treffen mit Priestern Ordensleuten und Seminaristen kritisierte er die Gleichgültigkeit gegenüber Problemen, Leid und Armut.

Eine christlich inspirierte Wirtschaft

Es ist der Höhepunkt der Reise, zumindest aber der, der weit über das Ereignis hinaus wirken wird: das Treffen mit den Volksbewegungen. Franziskus stellt gleich zu Beginn klar, dass es ihm um die Probleme der „ganzen Menschheit“ geht. Die Zeit scheint reif, so der Papst, für eine Veränderung der Strukturen. „Dieses System ist nicht mehr hinzunehmen.“ Er denkt dabei an das aktuelle Wirtschaftssystem sowie den Lebenswandel der Menschen, die den Planeten ausbeuten. Wenn das Kapital zum Götzen werde, zerrütte es Gesellschaften. Trotz Steigerung der Produktivität würden noch immer Milliarden Menschen die elementarsten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verweigert. „Dieses System verstößt gegen den Plan Jesu.“

Franziskus sprach von einer „christlich inspirierten Wirtschaft“ als Gegenmodell, die den Völkern Würde und Wohlstand garantieren müsse. Dazu gehörten Zugang zum Bildungs- und Gesundheitswesen sowie die „drei T“, von denen er immer wieder anführte: „tierra, techo, trabajo – Boden, Wohnung und Arbeit“. Eine solche Wirtschaft sei weder Utopie noch Fantasie, sondern eine „äußerst realistische Perspektive“. Dazu setzt Franziskus auf die Volksbewegungen sowie auf kleine Kooperativen und Wirtschaftsmodelle, die sich sehr stark auf den Nahbereich konzentrieren. Das wurde bereits in der Enzyklika Laudato si deutlich.

In diesem Kontext warnte er vor neuen Formen des Kolonialismus, materiellen wie ideologischen. Auch die ärmeren Länder müssten volle Souveränität im Handeln haben. Diese neuen Formen des Kolonialismus sieht er versteckt hinter manchen Freihandelsabkommen, manchen Formen des Kampfes gegen Korruption, Drogenhandel und Terrorismus, aber auch in der „monopolistischen Konzentration der sozialen Kommunikationsmittel“.

Klare Worte zur Kolonisierung und Christenverfolgung

Selbstkritisch schloss Franziskus sich der Vergebungsbitte von Papst Johannes Paul II. aus dem Jahr 2000 an. „Ich sage Ihnen mit Bedauern: Im Namen Gottes sind viele und schwere Sünden gegen die Ureinwohner Amerikas begangen worden. […] Ich bitte demütig um Vergebung, nicht nur für die von der eigenen Kirche begangenen Sünden, sondern für die Verbrechen gegen die Urbevölkerungen während der sogenannten Eroberung Amerikas.“

Der Papst unterstrich zugleich, dass die Kirche ein Teil der Identität der Völker Lateinamerikas sei und kritisierte, dass sie „einige Mächte hier wie in anderen Ländern unbedingt auslöschen wollen, manchmal weil unser Glaube revolutionär ist, weil unser Glaube der Tyrannei des Götzen Geld die Stirn bietet.“ Dann erinnerte er an das Schicksal der verfolgten, gefolterten und ermordeten Christen im Nahen Osten und an anderen Orten der Welt und sprach erstmals von einer „Art Völkermord“, der hier im Gange sei und aufhören müsse.

Was ist mit sozialer Marktwirtschaft?

Die Rhetorik und das Denken des Papstes sind stark von sozialistischen Kategorien geprägt. Das zeigte die Rede vom Donnerstagabend. Während Franziskus beim ersten Treffen mit den Volksbewegungen im vergangenen Oktober im Vatikan noch betonte, dass der Kampf mit Mut, Intelligenz, Leidenschaft und Beharrlichkeit geführt werden müsse, aber ohne Fanatismus und Gewalt, fiel der Hinweis, dass alles friedlich ablaufen müsse, dieses Mal etwas kurz aus. Allerdings müssen die beiden Reden zusammen gelesen werden, sind sie doch so etwas wie eine Sozialenzyklika in Raten. Franziskus geht über die klassische katholische Soziallehre hinaus. Die Idee der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie in Deutschland und einigen anderen Ländern praktiziert wird oder wurde, scheint ihm fremd. Man sieht deutlich, dass dieser Papst aus Lateinamerika kommt und vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen spricht: Staatspleite in Argentinien, Korruption, Gewalt, weit verbreitete Armut, keine sozialen Netze etc. Vielleicht könnte ihm sein K9-Mitglied Kardinal Reinhard Marx, ehemaliger Professor für katholische Sozialethik, bei einem der nächsten Treffen in Rom einmal etwas Nachhilfe geben. Denn mit der Sozialen Marktwirtschaft gäbe es ein Modell, das man angesichts der aktuellen globalen Herausforderungen weiterentwickeln könnte und das wesentliche Prinzipien der katholischen Soziallehre in die politische und wirtschaftliche Praxis umsetzt.

Franziskus muss zudem aufpassen, dass er sich nicht von Politikern wie Evo Morales vereinnahmen lässt. Dessen halbstündige Rede unmittelbar vor seiner eigenen hörte Franziskus am Donnerstagabend mit stoischem Gesichtsausdruck an. Auf Morales‘ Kritik am „nordamerikanischen Imperium“, an Israel und der UNO sowie sein Lob für Griechenlands Präsident Alexis Tsipras kommentierte Franziskus nicht. Als der bolivianische Präsident auf dem Podium zur Begrüßung die linke Faust reckte, winkte Franziskus neben ihm mit einem Lächeln in die Menge und konterkarierte damit regelrecht den stolzen Morales an seiner Seite.

Verbale Kritik an Morales gab es nicht. Dafür wird Franziskus morgen die Gefangenensiedlung Palmasola besuchen. Der Regierung ist das ein Dorn im Auge, denn das größte Gefängnis des Landes steht für die fehlende Rechtstaatlichkeit und Korruption im Land. Die Weltpresse wird Papst Franziskus auch dorthin folgen, so wie heute zum Treffen der Volksbewegungen.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.