AIDS, Marx und Geld

Die Deutsche Bischofskonferenz hat heute gleich zweimal für Aufsehen gesorgt. Zum einen veröffentlichte sie eine Studie „HIV/AIDS in Afrika“; zum anderen wurde bekannt, dass die Kirchensteuereinnahmen im vergangenen Jahr für die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland einen neuen Rekordstand erreichten. Zu Kardinal Marx möchte ich noch einige Anmerkungen zu seinen Interviews nachreichen. Papst Franziskus steuert auf den zweiten Jahrestag seiner Wahl am Freitag zu. In den Medien, vor allem den Zeitungen und Nachrichtenagenturen, hat der Deutungsmarathon begonnen um die rechte Bilanz des bisherigen Pontifikats. Eines wird wieder einmal klar: Papst und Pontifikat werden kontrovers gesehen und bewertet. Am Freitag gibt es zum Jahrestag bei ZDFinfo um 18.45 Uhr den Film „Franziskus – Papst der Armen“ – und natürlich auch hier im Blog bzw. der ZDF-Mediathek.

Auch kritische Themen behandelt

Es ist ein heikles Thema, das die Deutsche Bischofskonferenz da angepackt hat. Kirche und AIDS – da haben die einen bereits Schaum vor dem Mund, weil sie der katholischen Kirche die Hauptschuld an der Ausbreitung von HIV/AIDS auf dem afrikanischen Kontinent vorwerfen, die anderen sehen alles Übel im Einsatz von Kondomen begründet, weil diese die Promiskuität förderten und jegliche moralischen Standards unterminierten. Drei Jahre lang arbeitete eine Gruppe bestehend aus deutschen und afrikanischen Theologen und Gesundheitsexperten an der im englischen Original rund 120 Seiten umfassenden Studie. Ziel war es nach eigenen Angaben, „Lehren aus den Antworten der katholischen Kirche auf HIV und AIDS in Afrika“ zu ziehen. Untersucht wurde die Arbeit in Malawi, Äthiopien und Sambia.

Wie diese im Einzelnen aussehen, kann in der Kürze der Zeit hier (noch) nicht detailliert zusammengefasst und abschließend bewertet werden. Beim ersten Durchblick fällt aber auf, dass die schwierigen Punkte nicht ausgeklammert werden. Dazu gehört etwa die Stigmatisierung von kirchlichen Mitarbeitern, die mit dem Virus infiziert sind. Dazu gehört auch das „moralische Dilemma“, in dem Menschen stecken, wenn sie auf ihr Gewissen hören, und Kondome benutzen, zugleich aber kirchliche Stimmen hören, die den Gebrauch von Kondomen untersagen. Die Studie macht deutlich, dass die katholische Kirche bei diesem Thema keine einheitliche Linie vertritt. Sie zitiert eine Erklärung der Bischofskonferenz des Tschad aus dem Jahr 2002, in der diese die Benutzung ausdrücklich billigt. Die Studie selbst bezeichnet Kondome als eines „der wichtigsten Mittel zur HIV-Prävention“. Damit werden sich die Kirchenoberen auseinandersetzen müssen, so ein Fazit der Studie.

Breite Diskussion nötig

Die Untersuchung zeigt übrigens auch, dass die kirchlichen Einrichtungen in Afrika zu den wichtigsten Institutionen gehören, wenn es um die Versorgung von HIV-Infizierten geht. Bis zu 40 Prozent der Betroffenen sollen durch kirchliche Projekte Unterstützung erfahren. Mängel sehen die Autoren der Studie bei den Themen Aufklärung und Prävention sowie der Vernetzung der kirchlichen Angebote und der Zusammenarbeit mit Einrichtungen anderer Religionen und der Zivilgesellschaften.

Papst Benedikt XVI. hatte zu Beginn seiner Amtszeit den damaligen vatikanischen Gesundheitsminister mit einer ähnlichen Studie beauftragt. Dem Vernehmen nach kam sie zu einem vergleichbaren Ergebnis wie die Studie der Bischofskonferenz. Doch die von der aktuellen Studie geforderte offene Diskussion über HIV/AIDS in der Kirche, die Fragen nach Prävention und Hilfe, wurde damals unterdrückt, die Studie dem Vernehmen nach von der Glaubenskongregation einkassiert (lange vor der Zeit des Präfekten Müller). Die deutschen Bischöfe haben ihre Studie gleich in drei Sprachen veröffentlicht. Es bleibt zu wünschen, dass dadurch eine breit angelegte Diskussion losgetreten wird. In Zeiten, in denen von höchster Stelle gefordert wird, dass offen debattiert werden soll, muss dabei auch die „K-Frage“ offensiv angegangen werden.

Kardinal Marx und die Theologie

Um die neue Diskussionskultur ging es ja auch in den Interviews von Kardinal Reinhard Marx, auf die ich im letzten Blog hingewiesen hatte. Vor allem im Gespräch mit der US-Jesuitenzeitschrift „America“ spricht der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz einige zentrale Punkte an, die in der gegenwärtigen Situation des Pontifikats wichtig sind. Vor allem angesichts der aktuellen Situation, in der nach zwei Jahren die Ungeduld vieler Beobachter wächst und der Eindruck entsteht, es bewegt sich nichts. Marx betont, dass in der aktuellen Situation die Theologie gefordert sei. Gerade beim Thema Ehe. Hier seien viele Dinge nicht klar. Marx fordert ein „aggiornamento“ der Theologie. Im Gespräch mit Études spricht er das schwierige Verhältnis zwischen Theologie und Kirche an: „Ich hatte den Eindruck, dass viele theologische Erkenntnisse und Debatten nicht wirklich in der Kirche rezipiert werden, dass die Theologie ein Eigenleben führt oder auch, dass manche Amtsträger nicht wahrnehmen wollen, was an theologisch neuen Erkenntnissen wenigstens aufgenommen und diskutiert werden müsste.“

Auch in der Lehre müsse sich die Kirche weiterentwickeln, so Marx. Das Dogma sei durch die ganze Geschichte hindurch entfaltet und vertieft worden. „Es gibt also keinen Endpunkt der Suche nach der Wahrheit.“ In diesem Sinne zeigte der Kardinal dann auch in „America“, dass es beim synodalen Prozess zu Ehe und Familie durchaus nicht nur darum geht, das Alte in neuen Worten auszusagen, sondern dass es auch dort um eine Entfaltung und Vertiefung geht. Im Interview klingen wieder die Positionen durch, die bei der letzten Synode höchst umstritten waren: eine positive Wertung von Beziehungen, die auf Dauer und Treue angelegt sind, aber (noch) nicht sakramental. Selbst in Bezug auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften schließt Marx nicht aus, dass die Kirche darin etwas Positives sehen kann; eine Gleichstellung mit der Ehe von Mann und Frau schließt er allerdings aus.

Wenn Marx feststellt, dass es nicht darum gehe nach Wegen zu suchen, um die Menschen von der Eucharistie auszuschließen, sondern darum, Wege zu finden, dass Menschen die Kommunion empfangen können, dann passt dies in die Bemühungen eines Teils der Kardinäle, die wie Kardinal Walter Kasper eine Änderung beim Kommunionempfang für wiederverheiratete Geschiedene für möglich halten. Die Äußerungen vom Marx zeigen, dass die Diskussion noch immer offen und breit ist. Wichtig ist, dass sich möglichst viele einbringen.

Mehr Einnahmen

Noch kurz zu den Kirchensteuereinnahmen. Nach eigenen Angaben nahmen die katholische Kirche im vergangenen Jahr 5,68 Milliarden Euro (Zuwachs gegenüber Vorjahr: 4,2%) und die evangelischen Kirchen 5,2 Milliarden Euro (Zuwachs gegenüber Vorjahr: 4,8%) ein. Begründet wurden die Mehreinnahmen mit der guten Konjunktur und der hohen Zahl von Katholiken und Protestanten in regulären Arbeitsverhältnissen. Der größte Teil der Einnahmen fließt in Personal- und Sachkosten in der Gemeindearbeit. Bisher gibt es keine gesamtdeutsche Übersicht, wie die Gelder verwendet werden. Da hilft nur ein Blick in jeden einzelnen Bistumshaushalt. Die beiden großen Kirchen sind nach der öffentlichen Hand die größten Arbeitgeber in Deutschland. Mittelfristig rechnen sie angesichts der steigenden Zahl von Kirchenaustritten sowie der demografischen Entwicklung mit stark sinkenden Einnahmen aus der Kirchensteuer.

P.S. Die HIV/AIDS-Studie gibt es einmal in einer englischen Langfassung sowie in einer deutschen Zusammenfassung.

P.P.S. Interessant ist übrigens, dass die Bischofskonferenz die AIDS-Studie nicht mit einer Pressekonferenz vorgestellt hat, sondern nur mit einer Pressemeldung. Hatte man Angst vor unangenehmen Fragen?

Autorenbild

Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.