Papst Franziskus in der Türkei – Tag 1

Religionsfreiheit, gleiche Rechte für alle, interreligiöser Dialog sowie die Kriege und Krisen im Nahen Osten standen im Mittelpunkt des ersten Tages von Papst Franziskus in der Türkei. Zum Auftakt seiner 6. Auslandsreise sprach der Pontifex deutliche Worte und hielt sich nicht lange mit Freundlichkeiten auf. Der erste Tag in Ankara ist der politische und interreligiöse Part der Reise. Ab Samstag in Istanbul stehen dann die Katholiken des Landes sowie die Ökumene im Mittelpunkt. Die Reise ist ja gleichsam der Antrittsbesuch beim Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I., dem Ehrenoberhaupt der Orthodoxie. Anlass ist das orthodoxe Andreasfest am 30. November.

Papst spricht Klartext

Schon die erste Ansprache von Franziskus auf türkischem Boden dürfte bei Präsident Erdogan Stirnrunzeln ausgelöst haben. Gleich zu Beginn betonte er nämlich, dass „dieses Land den Christen sehr teuer“ sei. Er erinnerte an Paulus und dessen Gemeindegründungen auf dem Gebiet der heutigen Türkei, an die erste sieben Konzilien, die hier stattgefunden hätten sowie den Aufenthalt der Gottesmutter Maria in Ephesus. Die Botschaft war klar, wenn auch in höflichen Worten verpackt: Auf diesem Gebiet hier sind wir schon lange präsent; auch die Christen sind hier Zuhause.

In Erinnerung an seine Vorgänger unterstrich Franziskus, dass er mit der Türkei einen Dialog der Freundschaft, der Wertschätzung und des Respekts fortsetzen wolle, um dann sofort festzustellen, dass es „fundamental“ sei, das die muslimischen, jüdischen und christlichen Bürger „sowohl in den gesetzlichen Bestimmungen als auch in ihrer tatsächlichen Anwendung – die gleichen Rechte genießen und die gleichen Pflichten übernehmen“. Gleich zweimal forderte er Religions- und Meinungsfreiheit. Diese führten letztendlich dazu, gegenseitiges Unverständnis abzubauen.

Gemeinsam gegen Fundamentalismus

Direkt den Präsidenten ansprechend erklärte Franziskus, der interreligiöse und interkulturelle Dialog könne helfen, Fundamentalismus und Terrorismus entgegenzuwirken. „Es ist erforderlich, dem Fanatismus und Fundamentalismus, den irrationalen Phobien, die Unverständnis und Diskriminierung wecken, die Solidarität aller Glaubenden entgegenzusetzen, die als Grundpfeiler den Respekt für das menschliche Leben und für die Religionsfreiheit hat, die Freiheit des Kultes und die Freiheit der Lebensführung nach einer religiösen Ethik bedeutet.“

Der türkische Präsident hatte in seiner Begrüßungsrede erneut eine zunehmende Diskriminierung und verstärkte Vorurteile gegenüber Muslimen sowie eine zunehmende Islamophobie in der westlichen Welt beklagt. Millionen Muslime fühlten sich stigmatisiert und an den Rand gedrängt. Der Islam werde oft als intolerant und gewalttätig dargestellt, so Erdogan. Der Papst komme in einer für die Region sehr schwierigen Zeit.  Er hoffe, dass vom Besuch von Papst Franziskus eine Botschaft des Friedens in die gesamte islamische und christliche Welt ausgehe. Der Papstbesuch solle der Beginn einer neuen Ära der Zusammenarbeit sein. In vielen Punkten gebe es eine gemeinsame Perspektive, erklärte der türkische Präsident etwa beim Kampf gegen den Terrorismus, bei der kritischen Bewertung von Gewalt oder der Dominanz des Geldes. Erdogan kritisierte, dass heute zwar viele über die IS sprächen, aber zum „Staatsterrorismus“ in Syrien schwiegen.

Papst fordert Ende des IS-Terrors

Papst Franziskus sprach heute mehrfach die Konflikte in Syrien sowie im Irak an und erinnerte an die Opfer der Gewalt, die Verfolgung, derer „besonders – aber nicht nur“ Christen und Jesiden ausgesetzt seien. Noch einmal – zum dritten Mal – erklärte Franziskus, dass es erlaubt sei, einen ungerechten Angreifer aufzuhalten. Diese müsse aber immer im Einklang mit dem Völkerrecht sein. Er gab zudem zu bedenken, „dass man eine Lösung des Problems nicht allein einer militärischen Antwort überlassen kann“. Damit ist aber einmal mehr klar, auch der Papst schließt im Falle der IS eine militärische Intervention nicht aus. Vor wenigen Tagen hatte der vatikanische Außenminister, Erzbischof Dominique Mamberti, dazu klargestellt, dass aus vatikanischer Sicht wichtig ist, dass militärische Interventionen von international zusammengesetzten Kräften ausgeführt werden, an denen sich auch mehrheitlich muslimische Länder beteiligen sollten. So solle der Eindruck vermieden werden, es handle sich um einen Kampf des Westens gegen den Islam.

In Bezug auf die Krisen im Nahen Osten würdigte Franziskus das Engagement der Türkei bei der Aufnahme der Flüchtlinge und sprach von einer „Pflicht“ der internationalen Gemeinschaft, das Land bei der Bewältigung dieser Aufgabe zu helfen. Der Papst selbst hat während seiner dreitägigen Visite in der Türkei keinen eigenen Termin zur Begegnung mit Flüchtlingen. Das hatte im Vorfeld zu Verwunderung und auch Kritik geführt. Allerdings werden beim Gottesdienst in der katholischen Heilig-Geist-Kathedrale am Samstagmittag sowie bei einer Begegnung mit Jugendlichen des Salesianerordens am Sonntag einige Flüchtlinge dabei sein.

Kreativität im interreligiösen Dialog

Beim Treffen mit dem Chef der Religionsministeriums „Diyanet“, Mehmet Görmez, unterstrich Franziskus die besondere Rolle der Religionsführer, die Begegnung und den Dialog zu fördern. Die sei gerade angesichts der aktuellen Krisen besonders wichtig. Der Papst betonte, das Treffen von Religionsführern in sich bereits einen Wert hätten. Zudem gehe von ihnen eine klare Botschaft in die jeweiligen Religionsgemeinschaften, dass gegenseitiger Respekt und Freundschaft möglich seien, trotz Unterschiede. Dies dürfte auch eine Replik auf Aussagen von Mehmet Görmez im Vorfeld der Reise gewesen sein. Er hatte gegenüber Journalisten betont, man dürfe von der Begegnung heute nicht zu viel erwarten. Bereits früher hatte Görmez erklärt, es reiche nicht aus, muslimischen Frauen die Füße zu waschen oder ein interreligiöses Fußballturbier zu organisieren. Der Leiter des türkischen Religionsamts hatte Franziskus kritisiert, dass er islamfeindliche Akte wie etwa Anschläge auf Moscheen in Deutschland nicht verurteilt habe. Görmez hatte im Vorfeld des Treffens angekündigt, mit dem Papst auch über Islamophobie in der westlichen Welt sprechen zu wollen.

Dieses Thema spielte dann auch in der öffentlichen Rede von Görmez eine Rolle. Entscheidend war aber, dass der Chef des türkischen Religionsamts Gewalt im Namen der Religion scharf verurteilte. Gewalt und Brutalität im Namen des Islam sei eine Rebellion gegen Gott. Görmez rief zu einer stärkeren Zusammenarbeit der Religionen in ganz praktischen Fragen auf. Das ist aus seiner Sicht mindestens so wichtig wie der theologische Dialog der Gelehrten. Görmez nannte etwa Drogen, Alkoholismus, Gewalt gegen Frauen und Kinder und den Umweltschutz als Felder, in denen gemeinsam gearbeitet werden müsse „im Dienst der gesamten Menschheit“.  Vatikansprecher Federico Lombardi sagte nach dem Treffen des Papstes mit dem Präsidenten des Religionsamts, dass die beiden sich gut verstanden hätten. Vor diesem Hintergrund sei auch der kleine spontane Zusatz des  am Ende seiner offiziellen Rede zu verstehen. Franziskus forderte mehr Kreativität in Bezug auf die Formen des interreligiösen Dialogs.

Am ersten Tag der Türkeireise von Papst Franziskus wurden die zentralen politischen und interreligiösen Themen besprochen. Der Ton war freundlich, aber die Aussagen klar – von beiden Seiten. Jetzt kommt es auf die Rezeption der Worte in der Praxis an.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.