Synode: Kirche braucht neue Sprache

Am Tag 2 der Sondersynode zu Ehe und Familie standen heute die Themen Naturrecht und Familienpastoral auf der Tagesordnung. Bis zum Nachmittag hatten sich bereits 70 Synodenväter zu Wort gemeldet. Die Neuorganisation der Synode wird von Teilnehmern als positiv bewertet. Die Debatte findet erstmals nach Themen sortiert statt. Daher ist eine stärkere Konzentration auf die jeweiligen Themen möglich. Nach Angaben des Erzbischofs von Westminster, Kardinal Vincent Nichols, sind die Beiträge stark pastoral und persönlich geprägt und weniger akademisch. In vielen Beiträgen ging es nach Angaben des Vatikans um die Art und Weise, wie die katholische Kirche ihre Lehre den Menschen vermittelt und mit welcher Sprache sie in die Gesellschaft hinein wirkt. Dabei scheinen die Synodalen sehr selbstkritisch zu sein. Ob sie allerdings auch entsprechende Konsequenzen ziehen und welche das sein werden, ist am 2. Tag der Synode natürlich noch völlig offen.

Gradualität – das Zauberwort?

Ein Gedanke, der in den letzten Tagen hier im Blog schon mit Ideen der Kardinäle Kasper und Schönborn ausgeführt und gestern auch von Kardinal Marx unterstrichen wurde, scheint in der Synodenaula immer wieder präsent zu sein: der Respekt vor der Gradualität von Beziehungen. Auch jenseits der sakramentalen Ehe könne es demnach „Elemente der Heiligkeit und der Wahrheit geben“. Auch wenn der Vatikan vermeidet, konkrete Aussagen einzelnen Kardinälen zuzuordnen, fällt auf, dass sowohl Kardinal Walter Kasper als auch Kardinal Christoph Schönborn bereits gestern Nachmittag unter den ersten Rednern waren. Breit wurde heute Vormittag über die Probleme der Familien gesprochen. Dabei ging es unter anderem um die Auswirkungen von Migration und Armut sowie die Folgen des Kommunismus auf die jeweiligen Gesellschaften und eben die Familien. Beim Part über das Naturrecht haben mehrere Synodale über die Herausforderungen angesichts der Polygamie in ihren Ländern gesprochen.

Obwohl das Thema wiederverheiratete Geschiedene eigentlich erst am Mittwochnachmittag auf der Tagesordnung steht, kommt es bereits in den ersten Tagen immer wieder vor. In der Zusammenfassung des Vatikans der Vorträge von heute Vormittag heißt es, die Kirche dürfe sich gegenüber den Betroffenen nicht wie ein Gericht präsentieren, sondern sie annehmen und unterstützen. Was die Frage der Eucharistie für wiederverheiratete Geschiedene betreffe, sei betont worden, „dass dieses Sakrament nicht das Sakrament für die Perfekten ist, sondern für die, die auf dem Weg sind“.

Interessante Zeugnisse von Ehepaaren

Das Thema kommt auch immer wieder in den Zeugnissen der Ehepaare vor, die jede Sitzung einleiten. Heute am Nachmittag berichtete das Ehepaar Jeff und Alice Heinzen aus den USA, dass sie unzählige Geschiedene kennen, die sich einer anderen Glaubensgemeinschaft zugewandt hätten, weil sie sich in der katholischen Kirche nicht willkommen fühlten. Das Ehepaar Ron und Mavis Pirola aus Sydney berichtete von einer geschiedenen Freundin, dass diese sich manchmal nicht richtig akzeptiert fühle in der Gemeinde; aber trotzdem regelmäßig mit ihren Kindern zur Messe käme. „Von Menschen wir ihr können wir lernen anzuerkennen, dass wir alle ein Element der Zerrissenheit in unserem Leben haben.“

Das Paar sprach noch ein anderes heikles Thema an, das in der Synode sehr präsent ist. Sie berichteten von einer befreundeten Familie, die ihre traditionelle Weihnachtsfeier plante. Sie sahen sich vor das Problem gestellt, dass ihr schwuler Sohn seinen Freund mitbringen wollte. Das befreundete Paar stehe voll hinter der Lehre der Kirche, so das Ehepaar Pirola, und seien sich bewusst gewesen, dass ihre Enkelkinder genau sehen würden, wenn sie ihren Sohn mit seinem Partner in der Familie willkommen heißen würden. „Ihre Antwort kann in drei Worten zusammengefasst werden: „Er ist unser Sohn.“  Für die Pirolas war dies ein Beispiel dafür, was im Instrumentum laboris mit den Worten ausgedrückt ist, dass die wichtigste Mission der Kirche sei, der Welt Gottes Liebe bekannt zu machen. „Was für ein Modell von Evangelisierung für die Pfarreien, wenn sie in ähnlichen Situation in ihrem Viertel ähnlich antworten würden [wie die Familie].“

Neue Form noch gewöhnungsbedürftig

Auch wenn die Paare natürlich genau ausgewählt sind, die zu Beginn jeder Sitzung sprechen. Sie bringen doch noch einmal ein Stück Realität in die Synodenaula. Obwohl etwa Kardinal Marx bei einer der K9-Sitzungen in der Vorbereitung nach eigenen Angaben vorgeschlagen hatte, auch wiederverheiratete Geschiedene einzuladen, ist dies nicht geschehen. Die Probleme und Herausforderungen sind aber trotzdem präsent. Papst Franziskus macht sich unterdessen fleißig Notizen und hört aufmerksam zu. Heute Morgen verteilte er an das Präsidium der Synode Süßigkeiten. Die meisten Synodenväter tragen in ihren vierminütigen Statements eine Zusammenfassung ihrer schriftlichen Eingabe vor. Nur ganz wenige machen das frei, wie es eigentlich gedacht ist. Mehr als 90 Prozent lesen eine vorbereitete Synthese ihres Statements vor. Daher gibt es bisher in den Kurzvorträgen selten Bezüge zu den Vorrednern. Diese neue Form muss wohl erst noch etwas eingeübt werden. Allerdings haben sich in der Stunde freie Diskussion bereits am ersten Tag 19 Synodenväter geäußert. Redebedarf scheint also da zu sein.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.