Wie ein einfacher Pfarrer

Keine leichte Aufgabe heute Morgen für die Sicherheitsleute im Vatikan. Nach dem Gottesdienst in der Pfarreikirche St. Anna des kleinen Kirchenstaats eilte Papst Franziskus durch den Mittelgang nach draußen, stellte sich vor dem Ausgang auf und verabschiedete jeden Gottesdienstbesucher einzeln mit Handschlag. Was er von Zuhause in Buenos Aires gewohnt ist, wollte er wenigstens am ersten Sonntag seines Pontifikats noch einmal erleben. Der Papst, der sich wie ein normaler Gemeindepfarrer um seine Herde kümmert. Das sind die Bilder, die an diesem Sonntag um die Welt gehen. Dazu seine Botschaft des Tages: „Barmherzigkeit ist die wichtigste Botschaft Jesu Christi!“ Sowohl in seiner frei gehaltenen Predigt beim Gottesdienst als auch bei seinem ersten Angelusgebet vom Fenster des Arbeitszimmers im Apostolischen Palast war das zentrale Thema die „Barmherzigkeit“.

300.000 kamen heute laut Angaben der Stadt Rom zum ersten Angelus von Papst Franziskus.

Dabei war Franziskus auch heute wieder zum Scherzen aufgelegt. Er erklärt, dass er gerade ein Buch des deutschen Kardinals Walter Kasper über die Barmherzigkeit gelesen habe. Kasper sei ein tüchtiger und guter Theologe. Dieses Buch habe ihm sehr gefallen. Lächelnd fügte er hinzu, man solle jetzt aber bitte nicht denken, dass er Werbung mache für die Bücher seiner Kardinäle. Kaspers Buch beeindruckte ihn. Der Kardinal schreibe darin, dass Barmherzigkeit alles verändere. „Ein wenig Barmherzigkeit macht die Welt weniger kalt und gerechter,“ zitiert Franziskus aus dem Werk. Grund für die Betrachtungen zum Thema Barmherzigkeit war das heutige Sonntagsevangelium (Joh 8,1-11), in dem Jesus eine Ehebrecherin nicht verurteilt und sie auffordert, künftig nicht mehr zu sündigen. Die Worte des Papstes fanden große Beachtung. Doch was bedeuten sie konkret angewendet? Schon vor wenigen Tagen sagte ein Kardinal im Gespräch, dass Barmherzigkeit bei Franziskus ein großes Thema sei und er sich vorstellen könne, dass sich beispielsweise beim Thema wiederverheiratete Geschiedene etwas bewegen könnte.

Mit seinen Worten heute wächst die Hoffnung, aber auch der Druck auf den neuen Pontifex. Längst wird schon wieder davor gewarnt, ihn nicht mit zu hohen Erwartungen zu überfrachten. Denn die Enttäuschung ist damit schon vorprogrammiert. Vier Tage ist Franziskus nun im Amt; äußerlich hat er bereits einen Stilbruch vollzogen gegenüber seinem Vorgänger. Inhaltlich wird er sicher auch neue Akzente setzen. Doch es ist nicht zu erwarten, dass dort die Veränderungen ähnlich radikal ausfallen.

Zum Äußeren vielleicht noch kurz einige Anmerkungen. Franziskus hat sowohl heute Morgen beim Gottesdienst in Sankt Anna als auch schon beim Gottesdienst mit den Kardinälen am Tag nach seiner Wahl in der Sistina auf besondere Prunkgewänder verzichtet. Heute hatte er ein schlichtes violettes Messgewand an, der liturgischen Jahreszeit entsprechend. Auch die Zeremoniare trugen heute keine Alben mehr mit Spitzen, sondern schlichte Baumwolle. Franziskus geht zur Predigt an den Ambo und spricht nicht von seinem „Thron“ aus. In der Sixtinischen Kapelle hatte er am Donnerstag wieder den provisorischen Volksaltar einbauen lassen. Benedikt XVI. hatte seit Längerem in der Sistina nur noch den Altar genutzt, der direkt unter dem Fresko des Jüngsten Gerichts an der Wand steht und somit große Teile der Messe mit dem Rücken zu den Mitfeiernden zelebriert. Franziskus hat das für seine erste Messe als Papst wieder ändern lassen. Man wird sehen, ob er sich mit seiner Linie auf Dauer durchsetzt.

Das wird die entscheidende Frage sein. Angesichts des radikalen päpstlichen Stilwechsels gibt es schon erste Stimmen, die die übrigen Kirchenführer unter Druck sehen. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone fährt in der Regel mit einer der neuesten und größten Limousinen vor, die der vatikanische Fuhrpark hergibt; selbst wenn er sich nur innerhalb des Vatikanstaats bewegt – und der ist nun mal gerade einmal 44 Hektar groß. Kann er das auch künftig machen, wenn der Papst einen kleineren Wagen fährt? Das sind zwar zunächst nur Äußerlichkeiten. Aber die darf man in der gegenwärtigen Phase nicht unterschätzen. Es scheint, dass Franziskus sehr genau weiß und beobachtet, was um ihn herum geschieht. Er hat in den letzten acht Jahren, in denen er ja beinahe Papst gewesen wäre, wenn er 2005 nicht Joseph Ratzinger unterlegen wäre, mit angesehen, was hier in der römischen Zentrale vor sich ging. Er wird sich bei manchem Vorgang genau überlegt haben, was er anders gemacht hätte. Damit geht er vielleicht wesentlich besser vorbereitet in das neue Amt, als man auf den ersten Blick glauben mag.

Autorenbild

Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.