„Nur Mut, Brüder Kardinäle!“
Franziskus pflegt einen anderen Stil. Auch zwei Tage nach seiner Wahl ist er mit seinen üblichen schwarzen Schuhen unterwegs; sein silbernes Bischofskreuz hat er noch nicht gegen ein goldenes ausgetauscht. Am Nachmittag war er wieder in der Stadt unterwegs und hat den argentinischen Kardinal Mejia in einem römischen Krankenhaus besucht. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat er sich bisher auch noch nicht zum Führungspersonal geäußert. Benedikt XVI. hatte zwei Tage nach seiner Wahl im April 2005 die Kurienchefs „donec aliter provideatur“(„solange nichts anderes vorgesehen ist“) in ihren Ämtern bestätigt. Franziskus hat das bisher nicht getan. Lässt er sich Zeit für die Personalentscheidungen? Angesichts der großen Hoffnungen, die in ihn gesetzt werden in Bezug auf eine Reform der Kurie, wäre dies sicher angebracht.
Die Audienz für die Kardinäle heute Morgen lies er auf jeden Fall in dieser Angelegenheit verstreichen. Er dankte zwar Kardinaldekan Angelo Sodano und Camerlengo Kardinal Tarcisio Bertone für ihre Arbeit während der Sedisvakanz; aber wer künftig an seiner Seite arbeitet, darüber verlor er kein Wort. Dafür schlug er aber auch beim Treffen mit den Kardinälen einen ungewohnten Ton an. Er sprach nicht von den „Herren Kardinäle“, sondern von den „Brüdern Kardinäle“. Er sprach von der Vielfalt in der Kirche, die nicht des Teufels sei, sondern vom Heiligen Geist gewollt und von diesem zu einer Einheit gebracht werde.
„Geben wir nie dem Pessimismus nach, jener Verbitterung, die der Teufel uns jeden Tag bietet; geben wir nicht dem Pessimismus und der Mutlosigkeit nach: Wir haben die feste Gewissheit, dass der Heilige Geist mit seinem mächtigen Wehen der Kirche den Mut schenkt, fortzufahren und auch nach neuen Wegen der Evangelisierung zu suchen, um das Evangelium bis an die Grenzen der Erde zu bringen.“ „Nur Mut!“ rief er seinen Mitbrüdern zu. Das Alter, so Franziskus in Anspielung auf sich selbst und die Anwesenden, sei der Sitz der Weisheit. Diese müsse man an die Jugend weitergeben. Und dann plötzlich die ersten Worte auf Deutsch, ein Zitat eines seiner Lieblingsdichter, Friedrich Hölderlin: „Es ist ruhig, das Alter, und fromm.“
Auffallend ist, dass Franziskus in seinen beiden Ansprachen gestern und heute ganz ungezwungen vom „Teufel“ sprach. Das klingt in den Ohren mancher Westeuropäer ungewöhnlich. Man wird sicher daher sicher an eine andere Sprache gewöhnen müssen mit einem Papst, der, wie er selbst bei seinem ersten Auftritt sagte, vom „Ende der Welt“ kommt. Franziskus sprach von „gegenseitiger Offenheit“ und Gemeinschaft unter den Kardinälen, sich selbst eingeschlossen. Man darf gespannt sein, wie diese Erfahrungen in sein Regierungshandeln einfließen werden. Das Stichwort „Kollegialität“ ist in diesen Tagen hier in Rom immer und überall zu hören. Bisher fehlt es an der Umsetzung der bestehenden Möglichkeiten bzw. auch an neuen Impulsen, diese zu verwirklichen.
Ungewöhnlich scharf wies Vatikansprecher Federico Lombardi heute die Anschuldigungen gegen Franziskus zurück, er habe sich in der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983) nicht genügend für zwei inhaftierte Mitbrüder eingesetzt. Dabei handle es sich um eine Kampagne der „antiklerikalen Linken“. Es habe nie eine glaubwürdige konkrete Anschuldigung gegen Bergoglio gegeben, erklärte Lombardi. Einer der beiden betroffenen Jesuiten ließ heute mitteilen, er könne keine Stellung zur Rolle von Bergoglio in diesen Vorgängen nehmen. Er sei „mit den Geschehnissen von damals versöhnt und betrachte sie als abgeschlossen“. Mit den Erklärungen von heute dürfte das Thema allerdings nicht erledigt sein. Es verwundert, dass der Vatikan in derart schroffer Form vorgegangen ist, anstatt die Angelegenheit sachlich anzugehen. Hier sind Historiker und Betroffene gefragt, um den Sachverhalt zu klären.
Unterdessen berichten italienische Medien über Interna des Konklaves. Demnach habe Bergoglio im fünften Wahlgang 90 der 115 Stimmen auf sich vereint. Bei 77 lag die notwendige Zweidrittelmehrheit. So sollen sich die Kardinäle Re und Sodano, der allerdings nicht im Konklave dabei war, sowie der ehemalige Kardinalstaatssekretär Bertone zusammen mit den US-Kardinäle auf einen Kandidaten von Übersee verständigt haben. Auch europäische Kardinäle gehörten sehr bald zu den Unterstützern des Argentiniers. Der Mailänder Erzbischof Angelo Kardinal Scola soll angesichts dieser starken „Opposition“ keine Chance gehabt haben. Er konnte den Berichten zufolge, wie erwartet, nicht einmal auf die italienischen Kardinäle zählen. Die Begegnung Scolas mit Franziskus am Ende der heutigen Audienz der Kardinäle war kurz und weit weniger herzlich als bei vielen anderen Purpurträgern. Eigentlich ist es müßig, die Stimmen nun im Einzelnen nachzuzählen. Bergoglio ist nun Papst; die Kardinäle und die Kirche „müssen“ damit leben. Morgen trifft er die Journalisten und am Sonntag gibt es dann das erste Angelusgebet. Für die Amtseinführung am Dienstag erwartet die Stadt Rom bis zu eine Million Pilger. Dienstag, 19. März ist übrigens der Josefstag. Das ist ein Feiertag im Vatikan, weil Namenstag des Papstes, d.h. des emeritierten Papstes, Benedikt XVI. Obwohl der nicht mehr im Amt ist, wollte man den Tag nicht kurzfristig streichen. Franziskus erinnerte heute beim Treffen mit den Kardinälen noch einmal sehr ausführlich an seinen Vorgänger und würdigte dessen Verdienste für die Kirche. In Rom warten nun alle auf das erste Treffen der beiden Päpste; doch laut Vatikansprecher Lombardi ist dieses zumindest für die nächsten Tage nicht zu erwarten. Doch man wird sehen, im kleinen Kirchenstaat herrscht derzeit nervöse Anspannung und auch viel Unsicherheit, denn noch weiß man nicht so genau, wie der neue Pontifex ist, wie er handelt und was er will. Alle tasten sich langsam heran. Franziskus vermittelt allerdings den Eindruck, als wisse er genau, was er wolle.