Die Woche der Wahrhaftigkeit

„Wahrhaftigkeit gehört unverzichtbar zum Weg der Christen.“ Das schreibt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, im Vorwort zu einem Papier der Konferenz aus Anlass des Endes des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Darin beschäftigen sich die Oberhirten mit dem Verhalten ihrer Vorgänger während des Krieges und kommen zu dem Schluss: „Indem die Bischöfe dem Krieg kein eindeutiges ‚Nein‘ entgegenstellten, sondern die meisten von ihnen den Willen zum Durchhalten stärkten, machten sie sich mitschuldig am Krieg.“ Ein klares Schuldbekenntnis, so Bätzing bei der Vorstellung des 23-seitigen Papiers im Rahmen einer Videopressekonferenz am Mittwoch. Bereits am Dienstag hatten die Bischöfe zusammen mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, eine „gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in Deutschland“ veröffentlicht. Ist das der Durchbruch, auch bei diesem Thema „wahrhaftig“ das Geschehene aufzuarbeiten?

Bischofskonferenz einmal anders – der Ständige Rat tagte am Montag als Videokonferenz und verabschiedete u.a. das Papier zur Missbrauchsaufarbeitung. (Quelle: dbk)

Mitschuld der Bischöfe

Die Haltung der katholischen Kirche in Deutschland zum Holocaust sei schon mehrfach Thema von Stellungnahmen gewesen, so Bischof Georg Bätzing am Mittwoch. Deshalb wollten die katholischen Bischöfe zum 75. Jahrestag des Kriegsendes explizit die Haltung ihrer Vorgänger zum Krieg beleuchten. Das Urteil ist klar: Sie trugen eine Mitschuld am Krieg. Zwar habe es eine „innere Distanz zum Nationalsozialismus und bisweilen sogar offene Gegnerschaft gegeben“, auch hätten die Bischöfe die rassenideologische Begründung des Kriegs nicht geteilt. Doch „trotz massiver Bedrängnisse der Kirche durch Staat und NSDAP blieb – wie schon im Ersten Weltkrieg – die patriotische Bereitschaft, die materiellen, personellen und geistigen Ressourcen der Kirche für den Kriegseinsatz zu mobilisieren, bis zum Ende ungebrochen“, heißt es in dem Papier und weiter: „Ihre Worte und Bilder [der Bischöfe] bestärkten sowohl Soldaten als auch das kriegsführende Regime, in dem sie dem Krieg einen zusätzlichen Sinn gaben.“

Offener Protest gegen den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg und die Massenvernichtung etwa der Juden sei ausgeblieben. Die Soldaten hätten die Bischöfe mit ihren Gewissensnöten alleine gelassen und die Opfer seien nicht im Blick der Kirchenoberen gewesen. „Die christlichen Maßstäbe zur Einordnung des Krieges trugen offenkundig nicht mehr“, stellen die Bischöfe fest. Was sie damit meinen, erläutern sie in einem eigenen Kapitel, in dem sie nach Begründungen für das Verhalten der Vorgänger suchen, nicht um dieses zu entschuldigen, sondern um zu verstehen und daraus zu lernen.

Kirchliche Lehre weiterentwickeln

„Heute blicken wir mit Trauer und Scham auf die Opfer und diejenigen, deren existenzielle Fragen angesichts der Verbrechen und des Krieges ohne angemessene Antwort aus dem Glauben blieben“, erklären die deutschen Bischöfe. Das für die Leiden und Opfer der Anderen lange Zeit der Blick gefehlt habe, sei „besonders beschämend“. Ein Fazit: „Das Verhalten unserer Vorgänger im Amt wurzelte in einer Verstrickung in den nationalen Zeitgeist und in kirchlichen Vorstellungen über das Staat-Kirche-Verhältnis, die unter anderen historischen Umständen entwickelt worden waren und aus theologischer Sicht keine Allgemeingültigkeit beanspruchen können.“ Alte theologische Konzepte und Theorien auf ihre Zeitbedingtheit hinterfragen, das ist eine der Lehren, die die katholischen Bischöfe aus dem Blick in diese konkrete Geschichtserfahrung ziehen. Dazu gehört etwa auch die Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre vom „Gerechten Krieg“ hin zur Lehre vom „Gerechten Frieden“.

Es ist immer heikel, wenn Kirchenvertreter sich zum Verhalten ihrer Vorgänger äußern. Das betrifft Päpste wie Bischöfe. Gibt es doch immer wieder die Vorstellung, die Kirche könne nicht irren und daher auch keine Fehler machen. Doch das gilt eben nicht für die einzelnen konkreten Amtsinhaber, die die Institution am Ende prägen. Daher war es an der Zeit, dass sich die deutschen Bischöfe mit dem Verhältnis ihrer Vorgänger zum Zweiten Weltkrieg beschäftigten. Das Schuldbekenntnis hätte sicher deutlicher formuliert werden können. Doch das aktuelle Wort wird sicherlich nicht das letzte zum Thema sein. 23 Seiten sind zu kurz, um das Thema umfassend aufzuarbeiten. Aber das Papier legt eine Spur und nimmt vor allem in den Blick, was aus dem Fehlverhalten der Bischöfe damals gelernt werden kann. Eine der entscheidenden Fragen ist dabei, wie das Verhältnis von Staat und Kirche zu gestalten ist, damit die Kirche ein „gesellschaftliches Wächteramt“ wahrnehmen kann. Die Antwort auf diese Frage gilt es immer wieder neu zu finden, entsprechend der Herausforderungen der jeweiligen Zeit.

Unabhängige Aufarbeitung des Missbrauchs

Um Wahrhaftigkeit und Wahrheitsfindung geht es auch bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Zehn Jahre nachdem der Skandal in Deutschland aufgedeckt wurde, haben sich die Bischöfe mit dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung in dieser Woche auf „verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung“ geeinigt. Der gordische Knoten scheint durchschlagen. Zwar gibt es auch von Betroffenenverbänden wie dem Eckigen Tisch Lob dafür; doch am Ende konnten sich die Bischöfe nicht durchringen, einer Aufarbeitung durch eine nationale Wahrheitskommission zuzustimmen, wie es in anderen Ländern der Fall ist und von Betroffenen immer wieder gefordert worden war.

Die Aufarbeitung bleibt in der Hand der Bischöfe; doch sie verpflichten sich zu unabhängigen Kommissionen in ihren Bistümern. Der Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung ist in diese Form der Aufarbeitung eingebunden. Die jeweiligen Kommissionen berichten sowohl dem zuständigen Ortsbischof als auch dem Unabhängigen Beauftragten schriftlich über ihre Arbeit. „Die zentralen Kriterien von Aufarbeitung sind Unabhängigkeit, Transparenz sowie Partizipation von Betroffenen“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der Bischofskonferenz und des Unabhängigen Beauftragten. Diese Erklärung ist Grundlage für die künftige Aufarbeitung und soll von jedem einzelnen Diözesanbischof unterzeichnet und damit verbindlich werden. Die Arbeit der einzelnen diözesanen Kommissionen soll auf Bundesebene vernetzt werden. Die Protokolle dieser Treffen sollen auf den Internetseiten der Bistümer veröffentlicht werden.

Vertrauen muss aufgebaut werden

Inhaltlich ist interessant und wichtig, dass sich die Bischöfe zu einer quantitativen und einer qualitativen Aufarbeitung verpflichten. So geht es um drei Bereiche bei der Arbeit der Kommissionen: „die quantitative Erhebung des sexuellen Missbrauchs in der (Erz-)Diözese, die Untersuchung des administrativen Umgangs mit Täter*innen und Betroffenen und die Identifikation der Strukturen, die sexuellen Missbrauch ermöglicht oder erleichtert oder dessen Aufdeckung erschwert haben“. Die in vielen Bistümern bereits angestoßenen Projekte durch unabhängige Instanzen werden geprüft, ob sie die Kriterien der Erklärung erfüllen und können dann in die nun angestoßene Aufarbeitung eingegliedert werden.

Bei der Besetzung der Kommissionen, als Zielgröße werden sieben Mitglieder genannt, dürfen „weniger als 50 Prozent der Mitglieder dem Kreis der Beschäftigten der katholischen Kirche oder eines diözesanen Laiengremiums angehören“. Mitglieder aus Wissenschaft und Fachpraxis werden von der jeweiligen Landesregierung benannt und dann vom Ortsbischof in die Kommission berufen, ebenso mindestens zwei Betroffene. Den Vorsitz der Kommission darf weder ein Beschäftigter der Kirche noch ein Betroffener innehaben. „Anhörungen dürfen nicht unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses geführt werden“, wird eigens betont. In der Erklärung ist ein Zeithorizont von sechs Jahren genannt. Da eine ganze Reihe von Bistümern bereits eine unabhängige Aufarbeitung in Auftrag gegeben hat, könnte der Prozess in Teilen auch schon vorher abgeschlossen sein.

Großes Manko der Vereinbarung ist, dass die Orden nicht Teil des Projekts sind. Hier muss dringend eine Lösung gefunden werden, um diesen nicht unwesentlichen Teil des Missbrauchsskandals entsprechend mit in eine unabhängige Aufarbeitung zu integrieren. Eine hohe Verantwortung liegt bei dem jetzt vereinbarten Prozedere beim Unabhängigen Beauftragten. Er wird den Bischöfen in den einzelnen Bistümern sehr genau auf die Finger schauen müssen. Denn auch wenn die beiden Seiten, Bischofskonferenz und Unabhängiger Beauftragter, das Verfahren als „beispielgebend für andere gesellschaftliche Akteure“ ansehen, bleibt der Einfluss der Kirche groß. Zuviel Vertrauen wurde in den vergangenen zehn Jahren verspielt, als dass die Menschen im Land und die Betroffenen im Besonderen den Bischöfen nun einfach glauben mögen, dass sie es wirklich ernst meinen und auch ernst machen. Das ist eine Hypothek, die auf dem Verfahren, mag es auch noch so gut und sicher sein, lastet und die die Bischöfe selbst zu verantworten haben.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

27 Kommentare

  • Christ343
    04.05.2020, 9:23 Uhr.

    Sehr wichtig ist auch, dass die Kirche weniger Geld ausgibt. Große Kirchengebäude sind überflüssig. Kleine kirchliche Gemeindezentren genügen. Heilige Messen sind überflüssig. Spirituelles Heilen und Mystik müssen gefördert werden. Der Theismus muss durch den Pantheismus ersetzt werden. Ausführlich behandelt werden die Themen in der Öko-Theosophie (bitte googeln).

    • Novalis
      05.05.2020, 18:57 Uhr.

      „Heilige Messen sind überflüssig.“ Katholisch ist das nicht.

  • Novalis
    04.05.2020, 12:46 Uhr.

    Wenn man sich fragt, warum man 75 Jahre gebraucht hat, um eine an sich klare Sache ziemlich klare Sache zu bestätigen, dann muss man sich vor Augen halten, dass z.B. in Regensburg Bischof Rudolf überhaupt ins Amt kam, obwohl er solche Sätze sagte: „Ich glaube, es liegt in dem Kampf gegen das Judentum die instinktive Abneigung des ganzen Deutschen Volkes, das sich unbewußt als das auserwählte Volk der neutestamentarischen Verheißung betrachtet und nun einmal mit Recht nicht verstehen kann, warum das verworfene Israel die Welt beherrschen soll, und nicht das Volk der Mitte.“
    Er hat sich nie von diesen widerlichen Sätzen distanziert und blieb 20 Jahre Bischof. Und übrigens auch Freund von Joseph Ratzinger.

    • Jürgen Erbacher
      Jürgen Erbacher
      05.05.2020, 8:36 Uhr.

      Sollten Sie einen Beleg für das Zitat haben, führen Sie das bitte an; sonst müssen wir das Zitat löschen.

      • Wanda
        05.05.2020, 16:56 Uhr.

        Nun, die anfangs überschwengliche Begeisterung und durchaus nationalistische Wortwahl des Kardinals Clemens August Graf von Galen zum Bolschewikengegner Adolf Hitler wird von der Kirche ja nun auch nicht gern erwähnt sondern regelrecht verschwiegen obwohl sie als Gemeindebriefe und Aufrufe recherchierbar sind. Man stellt nur seine spätere und anders motivierte (Euthanasie) Gegnerschaft heraus. Im Übrigen haben sich alle christlichen Konfessionen nie daran gestört das hüben wie drüben die Waffen gesegnet und der gerechte Krieg abgenickt wurde. Das gilt für die gesamte Kirchengeschichte…

        • Novalis
          09.05.2020, 3:06 Uhr.

          „Das gilt für die gesamte Kirchengeschichte…“

          Lieber Herr Erbacher, warum lassen Sie eine solche sachlich falsche Aussage (mindestens die ersten vier Jahrhunderte des Christentums gab es keine Waffensegnung, wie Sie selber wissen, und seit gut 60 Jahren ist sie katholischerseits sogar unerlaubt) stehen? Warum verlangen Sie keinen Beleg? Und wenn dieser nicht beigebracht werden kann (was nichts gegen @Wanda ist, ich hab mir seine Wortmeldung einfach deswegen rausgegriffen, weil sie einfach einen kolossalen historischen Fehler enthielt), warum löschen Sie dann nicht diese Wortmeldung? Wo ist der Unterschied zu einem simpel verifizierbaren Zitat?

          • Wanda
            11.05.2020, 18:43 Uhr.

            Novalis 09.05. 03:06
            – Nachhilfe gefällig? Unmittelbar mit dem Tode Konstantin des Grossen (337) sah sich die spätantike Welt jener einzigartigen Intoleranz des politischen Christentums ausgesetzt, die unsere europäische Geschichte bis in die Gegenwart bestimmt hat. Zuerst richteten sich die Angriffe gegen Tempel, Priesterschaft, Götterbildnisse und Glaubensgüter, wissenschaftliche und med. Erkenntnisse und Errungenschaften, Kunst und Literatur „aller“ alten Religionen und zwar in einem unvorstellbaren Fanatismus, der sich beispielhaft in dem grausamen Tod der Mathematikerin, Philosophin und Astronomin Hypatia von Alexandria durch einen christlichen Mob zeigte. Anstifter war der trotzdem heilige Kyrill von Alexandria, Patriarch, Kirchenlehrer. Die allgemeine Verfolgung begann 346 und wurde 356 mit dem Gesetz der Todesstrafe für Anhänger sämtlicher nichtchristlicher Kulte bestätigt. Dass sich dieser gewaltsam ausgeübte e Fanatismus auch untereinander zwischen den verschiedenen christlichen Ablegern zeigte, ist ein anderes Thema.
            Mir ist aus einer teilnehmeroffenen Diskussion sehr gut erinnerlich wie ein junger Jesuit ausführte ¨Die junge Kirche verlor ihre Unschuld, als sie die Koalition mit der weltlichen Macht einging. Das ist ihre sozusagen ihre eigene Erbsünde“…

      • Novalis
        05.05.2020, 19:01 Uhr.

        Avec plaisir: Rudolf Graber, in: Neudeutschland-Älterenbund, Werkblätter 6 (Heft 9/10; 1933/1934), 241.

      • Novalis
        05.05.2020, 19:04 Uhr.

        Und hier kommt noch was vom Graber-Spezl Ratzinger: „Wie nur ganz wenige hat Bischof Rudolf in allen Wirrnissen der Zeit – zuerst gegen den Ungeist des Dritten Reichs und dann gegen den Falschgeist eines soziologisierten Christentums – standgehalten und uns das wahrhaft Heilende gerade dadurch gegeben, daß er ganz in der Mitte des Glaubens blieb und alles an der Mitte, am Kern des Evangeliums gemessen hat.“ Das finden Sie sicher selbst in den Predigtbänden 🙂

        Ganz erstaunlich, dass das ZDF neuerdings für die schon vom Spiegel in den 60er Jahren (!) aufgedeckten Nazi-theologismen von Rudolf Graber Belege will.

      • Franz Flaut
        07.05.2020, 1:29 Uhr.

        Die Äußerungen von Bischof Graber während der Zeit des Nationalsozialismus sind gut belegt und zwar leider verdrängt, aber durchaus bekannt und erforscht. Wichtig ist hier vor allem eine Rede, die Graber 1933 auf dem Donaugautag des Bund Neudeutschland unter dem Titel „Deutsche Sendung. Zur Idee und Geschichte des Sacrum Imperium“ gehalten hat. Dort finden sich die vom Kommentator Novalis angeführten Sätze ebenso wie die Bezeichnung Adolf Hitlers als „Retter, Vater und irdischer Heiland“ (Neudeutschland-Älterenbund, Werkblätter, 6. Jg., Heft 9/10, 1933/1934, S. 241); vgl. dazu auch: Werner, Robert, Braune Flecken auf dem Priesterrock. Studien zur Verleugnung und Verdrängung der NS-Vergangenheit der Regensburger Theologen Josef Engert, Rudolf Graber und Theobald Schrems, Regensburg 2015 (Walhallanet).

        • Novalis
          07.05.2020, 17:23 Uhr.

          Herzlichen Dank für die Amtshilfe!

  • ZufälligerGastleser
    04.05.2020, 18:20 Uhr.

    Auf traurige und schreckliche Weise mitschuldig wurden eben (abgründig, leider!) alle, absolut alle Groß- und Kleinorganisationen im damaligen Deutschland, vom Roten Kreuz über den Rotary Club (solange er bestand) bis zu sämtlichen anderen, ohne Ausnahme! Von den Nazi-Anbiederungen des Bauhauses will ja keiner hören. Aber was soll nun wieder die Kurzschließung mit dem Mißbrauch? Sind es wieder die Strukturen, der böse allschuldige Klerikalismus? Wie subkutan nahegelegt. Sicher, hätte es damals schon die enthierarchisierte frauen- und fahrradfreundliche Kirche der ökobewegten Avantgarde-Emanzipationist*Innen von heute gegeben – zweifellos hätten sie mit unzähligen Märtyrer*Innen die Weltkatastrophe verhindert oder zumindest ein himmelstürmendes Fanal gesetzt. Ein unerschrockenes Laikat, angeführt von diversitätssensiblen (und den teuflischen (das war er!) Nationalsozialismus einfach weg-de-konstruierenden) Frauen und Transgenderpersönlichkeiten, hätte die Kirche in die ehrwürdigen Katakomben und in die Gasöfen angeführt und so ein ewigwährendes und zukunftsweisendes aggiornamenteskes Zeichen gegen die hitlersche Dämonie (das war sie – und darüber sollte man nachdenken, wenn man es könnte, „denken“) gesetzt. Sancta Simplicitas als orleaneske, aber nicht jungfräuliche Ikone voran! Die Welt hasst die Kirche, welch vorausgesagtes Wunder – und die (wieder: deutsche!) Kirche kriecht schuldbewusst und auto-maso-zentriert voran. Oder wird hier etwas „instrumentalisiert“, wieder?

    • Jürgen Erbacher
      Jürgen Erbacher
      05.05.2020, 17:08 Uhr.

      Niemand bringt den Text der Deutschen Bischofskonferenz zum Zweiten Weltkrieg und die Erklärung der Bischofskonferenz zum Thema Missbrauch in einen Zusammenhang. Es sind zwei unabhängige Vorgänge aus der vergangenen Woche, die nichts miteinander zu tun haben.

      • ZufälligerGastleser
        05.05.2020, 20:03 Uhr.

        Sehr geehrter Herr Erbacher, beide Themen werden hier doch nicht nur juxtaponiert, sondern ausdrücklich (bereits mit dem überschlagenden Titel „Woche der Wahrhaftigkeit“ und weiter mit Wendungen wie „..am Mittwoch. Bereits am Dienstag…der Durchbruch, auch bei diesem Thema „wahrhaftig“ das Geschehene aufzuarbeiten?“, „Um Wahrhaftigkeit und Wahrheitsfindung geht es auch…“) unter den einen Bogen der bewerteten und eingeforderten Selbstanklage zusammengestellt. Und somit m.E.instrumentalisiert. Ohne damalige und heutige Zustände auch nur entfernt vergleichen zu dürfen, geht „gesellschaftliches Wächteramt“ grade nicht ohne die aus der Substanz der unfehlbaren Überlieferung gebotene Zeitkritik. Konkrete Amtsträger haben gefehlt, aber m.A. nicht mit veralteten theologischen Konzepten, sondern gegen sie. Gegen sie. Die Widerständigen waren am wenigsten zeitgeistkonform. Auch mit Kaiser hätte es vielleicht keinen industriellen Massenmord in Europa gegeben. Nebenbei. Worauf ich auch hinaus will ist, daß der Teufel nie durch die gleiche Tür wiederkommt und derartige „Schuldbekenntnisse“, die wohl zu zwei Jahrtausende Kirchengeschichte absehbar leider nicht enden werden, unangenehm und auf verzerrte Weise wohlfeil sind. Im Kommentarstrang wird nun etwa dem Bischof Galen andeutend dies oder jenes vorgeworfen. Könnte man den Geschwistern Scholl auch, mit sehr bösem Willen! Ich frage mich, ob aber die Reformbischöfe und Reformgeister unserer Tage,und Wortmelder in deren Sinn, seinen oder ihren Mut hätten? Nach Zeitgeistverhaftungen damals und heute wäre zu fragen. Modern war damals weniger der „nationale Zeitgeist“, etwa im wilhelminischen Sinn, das ist zu unbestimmt und obenhin, auch in Hinsicht Kriegsbegeisterung, sondern z.B. die, besonders auch in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern starke Eugenikbewegung, für die es besonders bei den damals „modernen“ Theologen Fürsprecher gab. Usw. usf. – dabei nichts für ungut, nur scheint mir, geht das alles in die falsche Richtung.

    • Novalis
      05.05.2020, 19:29 Uhr.

      „Auf traurige und schreckliche Weise mitschuldig wurden eben (abgründig, leider!) alle, absolut alle Groß- und Kleinorganisationen im damaligen Deutschland, vom Roten Kreuz über den Rotary Club (solange er bestand) bis zu sämtlichen anderen, ohne Ausnahme!“

      „Alle, absolut alle“ „ohne Ausnahme!“ – Sehr eindeutig, nicht wahr?

      Warum, lieber Herr Erbacher, lassen Sie so eine Aussage nicht auch belegen? Wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Denn diese Aussage ist schlicht Rufmord an den jüdischen Gemeinden, wenn Sie sie so stehen lassen. Denn der Verband Bayerischer Israelitischer Gemeinden (VBIG) hat mit Sicherheit genauso wenig wie andere jüdische Groß- und Kleinorganisationen irgendeine Mitschuld an Krieg und Shoa, wie „ZufälligerGastleser“ schreibt.

    • Erasmus
      11.05.2020, 14:12 Uhr.

      „… die enthierarchisierte frauen- und fahrradfreundliche Kirche der ökobewegten Avantgarde-Emanzipationist*Innen von heute.“

      Das sind imposante rhetorische Klimmzüge bei gleichzeitiger Inhaltsleere. Wieso Sie gegen ökologisches Bewusstsein, Klima-freundliches Verhalten und das Desiderat der Gleichberechtigung polemisieren, können nur Sie selbst beantworten. Die „enthierarchisierte Kirche“ ist offensichtlich ein von Ihnen konstruierter Popanz. Mir sind keine KatholikInnen bekannt, die eine Abschaffung des Papsttums fordern. Allerdings sind einige Spitzenhierarchen – bis hin zum Kardinalsrang – gerade dabei, die Reputation der innerkirchlichen Hierarchie zu beschädigen.

      Was ist da eigentlich los, wenn ein intelligenter Mann wie Kardinal Müller ein Papier unterschreibt, in dem von der – aus Verschwörungstheorien bekannten – „Schaffung einer Weltregierung“ gefaselt wird, die angeblich unkontrollierbar und damit allmächtig ist?

  • Wanda
    05.05.2020, 17:34 Uhr.

    Zur Aufarbeitung der der kirchlichen Rolle während der Nazi-Zeit darf man sich nicht auf den deutschen Klerus beschränken, denn da gab es einen Nuntius Pacelli in DEU, der den Konkordat genannten Handel des Vatikan mit Hitler perfekt machte, wobei Letzterer als Gegenleistung die politische Enthaltsamkeit des Klerus forderte und auch erhielt. Im August 1942 schrieb der Erzbischof von Lemberg (heute Lviv) vertraulich an den Papst „Seit mindesten eine Jahr vergeht kein Tag an dem nicht schreckliche Verbrechen. . . begangen werden. Die Juden sind die ersten Opfer. Die Zahl der Juden in unserem kleinen Land (die ehemals polnische Westukraine) ist sicherlich bereits auf über 200.000 angestiegen“. Nach dem Tod Pius XII schrieb dessen engster Vertrauter Domenico Tardini in seinem Nachruf auf ihn „Die gleiche Neigung, die ihn Einsamkeit und Stille lieben liess, veranlasste ihn eher dazu, die Kämpfe des Lebens zu meiden als sich auf sie einzulassen.“ Die Schuhe des Fischer waren diesem Papst (nachsichtig ausgedrückt) um einige Nummern zu gross: Eugenio Pacelli war der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Platz.

  • Silberdistel
    06.05.2020, 20:48 Uhr.

    „Wenn wir in den Tagen unser Väter gelebt hätten, wären wir nicht wie sie am Tod der Propheten schuldig geworden.
    Damit bestätigt ihr selbst, dass ihr die Söhne der Prophetenmörder seid. Macht nur das Maß eurer Väter voll!“ (Mt. 23, 30-32).
    Erstaunlich im Vergleich, wieviele heutzutage ganz genau wissen, wie es damals in der NS-Zeit vor nahezu 100 Jahren, richtig gewesen wäre. Und noch gleich dazu, wer die zeitgenössischen Rechtsextremisten sind und wer die Christen.

  • Wanda
    07.05.2020, 18:48 Uhr.

    Silberdistel 06.05. 20:48
    – Das ist völlig normal und gilt nicht nur für die NS-Zeit: aus der zeitlichen Entfernung und der danach einsetzenden „andersorientierten“ (auch politischen) Erziehung resultiert eben auch eine andere Sicht auf die Dinge der jüngsten Vergangenheit. Der Mensch ist gewöhnlich das Kind seiner Zeit und zum grossen Teil eben auch Produkt der „genossenen“ Erziehung. Teile Ihre Skepsis insofern, als ich nicht wissen möchte wie sich die Geschichtsschreibung äussern würde, hätte das 3. Reich Bestand gehabt, zumal es erstaunlich viele Sympathisanten in den gehobenen Schichten der europäischen Nachbarn gab. Dazu hat es eine ernsthafte und umfassende Aufarbeitung meines Wissens bisher jedoch nur in den Niederlanden gegeben. Für Frankreich, Italien, Grossbritannien und Skandinavien gilt das nur eingeschränkt und der Prozess Norwegens gegen Knut Hamsun mit dem verlogenen Angebot an ihn, eine altersbedingte „seelische Schwäche“ als Milderungsgrund zu akzeptieren (was Hamsun ablehnte), mag als peinliches Beispiel dienen.

  • Student
    07.05.2020, 19:01 Uhr.

    Sehr geehrte Carla Maltese!

    Ich muss Ihnen zum Teil leider widersprechen.
    Das betrifft sowohl ihre Ansichten zur Rolle der Kirche im Bezug auf die Kolonisierung, als ihre Bewertung von Pius XII.

    Zur Kirche im Rahmen der Kolonisation:

    Es ist wahr, dass die Kirche vermutlich nicht genug unternommen hat, um die Ausbeutung von Indigenen in verschiedenen Teilen der Welt zu unterbinden. Sehr wohl hat sie es aber versucht. So hat Papst Paul III. im Jahr 1537 mit der Bulle „Sublimis Deus“ den Sklavenhandel verboten. Darauf haben die Kolonialmächte leider nicht gehört, aber man kann nicht sagen, dass die Hierarchie hier geschwiegen hätte. Von daher hoffe ich, dass Sie sich etwas mehr informieren, so pauschal können Sie die Kirche nämlich nicht verurteilen. Vielfach ging die Ausbeutung von Indigenen nicht von der Kirche oder von Missionaren, sondern von den sich als christlich bezeichnenden aber weltlich-politisch handelnden europäischen Kolonialmächten aus.
    Ein weiteres Beispiel für ein gelungenes und gemeinsames Leben sind die Jesuitenreduktionen in Lateinamerika. Hier lebten Indigene friedlich mit Jesuiten-Missionaren zusammen. Dort waren die Ureinwohner auch vor der Versklavung geschützt.

    Zur Rolle von Pius XII. im Zweiten Weltkrieg:

    Mir ist ehrlich gesagt ein vorsichtiger und überlegender Papst lieber als ein Elefant im Porzellanladen. Überdies ist ihre Äußerung, Pius XII. hätte mit dem Nationalsozialismus sympathisiert weder nachvollziehbar noch belegbar. Ich möchte in dieser Sache nur darauf hinweisen, dass ja zur Zeit über seine Rolle geforscht wird. Erst danach ist ein abschließendes Urteil möglich. Allerdings möchte ich Sie auch darauf hinweisen, dass im Seligsprechungsprozess von Pius XII. herausgefunden worden ist, dass er Exorzismen gegen Hitler ausgesprochen haben soll (nachzulesen bei mehreren Zeitungen, einfach Google fragen). Von Exorzismen kann man freilich halten was man will, aber ich denke, hier kommt es auf die Intention des Papstes an. Jemand der gegen das Haupt des Nationalsozialismus betet, der kann wohl kaum ein Sympathisant dieser Ideologie sein.

    Mit meinen beiden Ergänzungen zu ihren Posts möchte ich Sie dazu bewegen, ihr Bild von der Kirche etwas zu bereichern. Es geht mir ja nicht darum, dass Sie keine Kritik mehr üben. Aber eine pauschale Kritik ohne Abwägung von gegenteiligen Aspekten der Kirchengeschichte ist in einer so wichtigen Diskussion nicht angebracht. So sehe ich das zumindest.

    Ich wünsche allen Foristen einen gesunden Mai!

    • Novalis
      11.05.2020, 19:23 Uhr.

      „So hat Papst Paul III. im Jahr 1537 mit der Bulle „Sublimis Deus“ den Sklavenhandel verboten.“

      Um sie ein paar Jahre später wieder in „confirmatio statutorum populi romani“ zu erlauben.

      „Mir ist ehrlich gesagt ein vorsichtiger und überlegender Papst lieber als ein Elefant im Porzellanladen. Überdies ist ihre Äußerung, Pius XII. hätte mit dem Nationalsozialismus sympathisiert weder nachvollziehbar noch belegbar. Ich möchte in dieser Sache nur darauf hinweisen, dass ja zur Zeit über seine Rolle geforscht wird. Erst danach ist ein abschließendes Urteil möglich. Allerdings möchte ich Sie auch darauf hinweisen, dass im Seligsprechungsprozess von Pius XII. herausgefunden worden ist, dass er Exorzismen gegen Hitler ausgesprochen haben soll“.
      Seltsam nur, dass er mit zweierlei Maß gemessen hat. Die Verdammung des Kommunismus war stets ausdrücklich. Und der Francofaschismus wurde auch nach dem 2. Weltkrieg von Pius hofiert; von den Rattenlinien, mit deren Hilfe (historisch belegbar!) z.B. Kardinal Siri Naziverbrechern zur Flucht half, hat er auch gewusst. Das kann man schon Sympathie nennen.

    • Wanda
      11.05.2020, 19:32 Uhr.

      Student 07.05. 19:01
      – Drücken wir es unverblümt aus: das Konkordat mit Hitler, ein knallhartes Geschäft für die röm.-kath. Kirche: Privilegien, auch und gerade finanzieller/wirtschaftliche Art gegen Schweigen und politische Enthaltsamkeit des Klerus. So einfach bringt man es auf den Nenner. Seit dem Überfall auf Polen hatte man in Rom detaillierte Kenntnisse über die Gräuel in Osteuropa, mehrheitlich von hohen Geistlichen und fast täglich erreichten den Vatikan Hilferufe, der Papst möge seine Stimme gegen den Terror erheben aber der Papst verharrte in Schweigen. Der britische Gesandte beim Papst, Sir Francis d’Arcy Osborne schrieb 1942 nach London „Tatsache ist, dass die moralische Autorität des Hl. Stuhl sich nun auf’s Betrüblichste verringert. Angesichts der deutschen Verbrechen hört jede Neutralität auf. Das Schweigen des Papstes schadet seinen eigenen Absichten“.
      Bitte übrigens um Nachsicht, aber Ihr Argument oder besser Ihre Story vom Exorzismus Pius XII gegen Adolf Hitler sind mir (frei heraus) einfach zu blöd…

  • Wanda
    09.05.2020, 17:19 Uhr.

    Wenn das stimmmt, was die ARD als Aufmacher ihrer Homepage bringt, dann haben Ludwig Müller, C.M. Vigano und Co. mit Ihrer veröffentlichten Befürchtung, die Coronakrise sei nur der „Auftakt einer Weltregierung, die sich alle Kontrolle entziehe“ längst einen anderen Kriegsschauplatz aufgemacht, der sich natürlich in 1. Linie gegen Franziskus richtet. Wer hätte gedacht, dass eine der vielen herumgeisternden abstrusen Verschwörungstheorien ausgerechnet von Vertretern des hohen Klerus ausgeht und genährt wird ? (fehlt nur die Müller-Bewunderin noch Gloria von Tut und Tatnix). Frage mich wirklich, ob man diesen Dünnbrettbohrern nicht endlich ihr Amt entziehen sollte, damit weiterer Schaden abgewendet wird.

    • Novalis
      11.05.2020, 19:08 Uhr.

      „Frage mich wirklich, ob man diesen Dünnbrettbohrern nicht endlich ihr Amt entziehen sollte, damit weiterer Schaden abgewendet wird.“
      Das frage ich mich auch. Die einzige plausible Antwort, warum man das nicht tun sollte: Man schenkt ihnen dann Aufmerksamkeit, die sie nicht verdienen.

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