Der Kanzler beim Papst

Nach über zwei Jahren im Amt gibt es für Bundeskanzler Olaf Scholz nur noch wenige Premieren. Seine Begegnung mit Papst Franziskus heute im Vatikan war eine solche. 35 Minuten sprachen die beiden miteinander. Themen waren die aktuellen politischen Krisen mit dem Krieg in der Ukraine und in Gaza, aber auch Herausforderungen wie die Migration und Fragen der Gerechtigkeit im Zusammenleben standen auf der Agenda. Laut Vatikan ging es bei den Gesprächen, der deutsche Bundeskanzler traf nach dem Papst Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, auch um die Bedeutung des christlichen Glaubens in der deutschen Gesellschaft. „Ein wichtiges Gespräch in einer Zeit, in der es darauf ankommt, dass wir mit klarem Blick in die Zukunft blicken und dass wir klare Grundsätze haben“, erklärte Scholz im Anschluss an das Treffen mit dem Papst vor Journalisten.

Auch persönlich „ein wichtiges, bedeutendes Gespräch“, so Bundeskanzler Olaf Scholz nach der Begegnung mit Papst Franziskus. (Quelle: VaticanMedia/dpa)

Religion unterbewertet?

Über zwei Jahre hat es gedauert, bis Bundeskanzler Olaf Scholz den Weg zu einer Privataudienz in den Vatikan fand. In Rom war er schon mehrfach seit seinem Amtsantritt im Dezember 2021, doch außer einer kurzen Begegnung am Rande der Beerdigung von Benedikt XVI. im Januar 2023 und einem Telefonat nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im März 2022 gab es bisher keinen direkten Kontakt. Das fällt auf, war doch Angela Merkel nach der Wahl von Franziskus im März 2013 bis zum Ende ihrer Kanzlerschaft fünf Mal zu Gast im Vatikan. Zum einen war die Terminfindung nicht einfach, ist zu hören, zum anderen stehen Religion und Kirche in der Ampelkoalition nicht so hoch im Kurs wie unter Angela Merkel. Das verwundert, sind die Religionen doch im Positiven wie im Negativen weltweit in viele politische und gesellschaftliche Prozesse involviert. Daher war es höchste Zeit, dass die Begegnung stattfand.

Gesprächsthemen gibt es viele. Nicht nur die bereits genannten Kriege, die in eine Phase kommen, in der sich die Frage nach Lösungen und der „Zeit danach“ immer dringlicher stellt. In Europa stehen Wahlen an, auf die auch der Vatikan angesichts des hohen Zuspruchs für rechtsextreme Positionen mit großer Aufmerksamkeit und Sorge blickt. Dazu kommt die Frage nach der Zukunft der beiden großen Kirchen in Deutschland. Für den Staat sind sie wichtige Partner im Bildungs- und Sozialbereich. Doch sie stecken in einer tiefen Krise unter anderem wegen des Vertrauensverlusts in Folge des Missbrauchsskandals, hoher Austrittszahlen und dadurch knapper werdender finanzieller Ressourcen. Auch als Institutionen, die dazu beitragen, die Gesellschaft im Innern zusammenzuhalten, fallen die Kirchen zunehmend aus. Ganz gleich wie der Kanzler und andere führende Politikerinnen und Politiker persönlich zu Kirche und Glauben stehen, müssen sie sich angesichts des Niedergangs der Kirchen im Land mit ihnen beschäftigen.

Innerkirchliche Themen?

Inwieweit daher auch innerkirchliche Fragen heute eine Rolle spielten, ist nicht bekannt. Der Vatikan verbittet sich das bei politischen Terminen. Das war in jüngerer Vergangenheit am Rande von Audienzen für Ministerpräsidenten zu hören. Diese hatten gelegentlich die Notwendigkeit von Reformen angesprochen, um den Niedergang zu stoppen. Das wurde von vatikanischer Seite nicht goutiert, da man es als Einmischung in innere Angelegenheiten ansah. Wenn nicht bei dem politischen Termin heute, so werden die Reformen in drei Wochen eine Rolle spielen, wenn am 22. März eine Gruppe deutscher Bischöfe zu Gesprächen in den Vatikan kommt. Es ist das lange erwartete Treffen im Rahmen der Aufarbeitung des deutschen Synodalen Wegs, das dritte seit dem Ad Limina-Besuch im November 2022. Damals wurde vereinbart, dass man die Differenzen zwischen dem Vatikan und der katholischen Kirche in Deutschland im Dialog klären will.

Für den Bundeskanzler gilt: besser spät als nie. Am Oberhaupt von mehr als 1,3 Milliarden Katholikinnen und Katholiken kommt kein seriöser Politiker vorbei. Eine Welt, die aus den Fugen geraten scheint, braucht alle möglichen Allianzen im Einsatz gegen Hass, Gewalt und Krieg und für ein gemeinsames Eintreten für mehr Gerechtigkeit, Dialog und Verständigung. Trotz aller Krisen bleibt die katholische Kirche für die Politik dabei ein wichtiger Partner.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

6 Kommentare

  • Silvia
    04.03.2024, 13:49 Uhr.

    Man muss bedenken, dass Bundeskanzler Scholz sein Amt mitten in der Coronapandemie angetreten hat. Während der Pandemie wäre eine Reise zum Papst nicht angebracht gewesen.

  • Wanda
    05.03.2024, 16:14 Uhr.

    Aha, Religion nicht so hoch im Kurs wie vordem bei Angela ? Religion sollte und müsste m.E. ausschließlich Privatsache sein, denn sie hat eben „nur“ mit Glauben zu tun. Es sei denn, man befürwortet Theokratien wie im Iran und wie es eben auch immer noch als Ideal der Erzkonservativen in den drei abrahamitischen Religionen gesehen wird und hoch im Kurs steht. Zum Glück haben sich die meisten Völker davon gelöst. Außerdem steht ja auch das Wort im Raum „Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist und Gott was Gottes ist“ (Matthäus 22,21). Oder war das nicht so gemeint ?

    • Zufälliger Gastleser
      05.03.2024, 20:29 Uhr.

      „Privatsache“ und „erzkonservativ“ sind so gängige Versatzstücke des gelenkten Geredes. – Sie wissen doch: „Das Private ist politisch und das Politische ist privat“ einerseits und: „Wenn die Gottheit ihr verjagt, kommen die Gespenster“ andrerseits. Staaten oder Herrschaft sind immer Theokratien oder als vermeintliche A-Theokratien doch dissimulierte Pseudo-Theokratien.

      • Wanda
        07.03.2024, 17:24 Uhr.

        Wäre mir ein Gräuel, Religion am Staatsruder zu sehen. Die Geschichte zeigt hinlänglich, was deren führende Vertreter mit Andersgläubigen oder Abweichlern machten und immer noch machen. Die Versuchung ist einfach zu groß. Siehe Matthäus 22,21. Zum Glück trennte sich die Kirche, wenn auch überwiegend gezwungen, von der weltlichen Macht…

  • Novalis
    07.03.2024, 18:22 Uhr.

    Wie gut, dass wir in Deutschland sind, wo Religion(en) keine Privatsache sind, sondern die Öffentlichkeit des Bekenntnisses, mithin Religionsfreiheit als Teil der Menschenwürde grundgesetzlich garantiert ist: „Religionsfreiheit und Weltanschauungsfreiheit ist ein völkerrechtlich verankertes Menschenrecht. Es umfasst zum einen die Freiheit, eine Religion oder Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen (‚innere Dimension‘). Darin eingeschlossen ist auch das Recht, keine Religion zu haben oder sie zu wechseln. Zum anderen garantiert dieses Menschenrecht die Freiheit, eine Religion oder Weltanschauung zu praktizieren – allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat (‚äußere Dimension‘). Dazu zählt zum Beispiel das Recht, Gottesdienste zu feiern, religiöse Stätten zu bauen, Speise- und Bekleidungsgebote zu befolgen, Lehrstätten zu errichten, religiöse Texte zu verbreiten und Feier- und Ruhetage einzuhalten.“ So auf der homepage des BMZ zu lesen.

    • Wanda
      09.03.2024, 15:09 Uhr.

      Wie bitte, keine Privatsache ? Sie bestaetigen es aber doch sehr überzeugend. Haben Sie sich vielleicht geirrt oder einfach nur Behördendeutsch abgeschrieben ?

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