Dokument zur Kurienreform überraschend veröffentlicht
Lange wurde die Konstitution zur Kurienreform erwartet. Zum neunten Jahrestag seiner Amtseinführung am Fest des Heiligen Josefs unterzeichnete Franziskus die Konstitution „Praedicate Evangelium“. Das 54-seitige Dokument wurde umgehend veröffentlicht – ohne Erläuterungen und Einordnung. Zu Pfingsten treten die Änderungen in Kraft. Dann fällt die interne Hierarchie der Behörden durch die Unterscheidung in Kongregationen, Dikasterien und Päpstliche Räte weg. Fortan gibt es nur Dikasterien. Viele Fusionen und Kompetenzverschiebungen wurden bereits in den vergangenen Jahren vorgenommen. Neu ist, dass es ein Dikasterium für die Evangelisierung gibt, dem der Papst selbst vorsteht. Auch werden der Kulturrat und die Bildungskongregation in einem Dikasterium vereinigt. Durch die Konstitution erfahren Laien, Frauen und Männer, eine enorme Aufwertung: Sie können künftig alle Dikasterien leiten und auch Mitglieder in Dikasterien werden. Franziskus möchte mit der Reform neben strukturellen Veränderungen vor allem eine Änderung von Haltung und Geist der Arbeit in der römischen Zentrale erreichen. Alles Handeln soll im Dienst der Evangelisierung, im Dienst des Papstes und der Ortskirche stehen. Ob das neue Regularium taugt, muss sich in der Praxis erweisen.
Evangelisierung und Caritas zentrale Behörden
Alle Behörden sind gleich. Das Staatssekretariat oder etwa die Glaubenskongregation stehen nicht über den anderen. Es fällt auf, dass die Glaubenskongregation nicht mehr als erstes Dikasterium genannt wird, sondern das Dikasterium für die Evangelisierung. In diesem werden die Kongregation für die Evangelisierung der Völker, auch Missionskongregation genannt, und der von Benedikt XVI. neu gegründete Päpstliche Rat für die Neuevangelisierung vereinigt. Chef dieses neuen Dikasteriums wird der Papst selbst, unterstützt von zwei Pro-Präfekten. Diese leiten zwei Abteilungen, die in ihren Aufgaben etwa den beiden bisherigen Institutionen entsprechen. Für den Papst als Leiter einer vatikanischen Behörde gibt es durchaus historische Beispiele, doch es ist ungewöhnlich.
Das Päpstliche Almosenamt wird zu einem eigenen Dikasterium für den Caritasdienst. Damit wird seine Arbeit aufgewertet und der Fokus von Rom auf die ganze Welt ausgeweitet. Dass dies so kommen wird, deutete sich bereits an. Mehrfach hatte Franziskus seinen Almosenmeister, Kardinal Konrad Krajewski, in den vergangenen Monaten in Krisengebiete geschickt, zuletzt in die Ukraine. Mit der Schaffung eines eigenen Caritasministeriums, das in der Aufzählung der Behörden an Platz drei steht, sendet Franziskus bei aller Betonung der Gleichrangigkeit der Behörden ein deutliches Signal. Die Evangelisierung an erster Stelle, die Caritas an dritter Stelle von 16 Dikasterien – damit setzt der Papst klare programmatische Akzente.
Glaubenskongregation auf Platz zwei verwiesen
Die Glaubenskongregation wird zum Dikasterium für die Glaubenslehre mit zwei Sektionen. Diese interne Reform wurde bereits vor wenigen Wochen vorgenommen. Es gibt künftig eine Lehr- und eine Disziplinarabteilung. Die lange Zeit bei der Glaubenskongregation angesiedelte Kommission „Ecclesia Dei“, die für den Kontakt zur Piusbruderschaft zuständig war, wurde Ende vergangenen Jahres bereits stillschweigend aufgelöst. Bibel- und Internationale Theologenkommission bleiben dem Dikasterium weiter angegliedert mit dem Präfekten als jeweiligem Präsidenten. Neu ist, dass die Kinderschutzkommission nun dem Glaubensdikasterium angegliedert wird. Sie behält aber einen eigenen Präsidenten. In der Behörde werden bereits die Missbrauchsfälle bearbeitet. Daher könnte es von Vorteil sein, wenn künftig die Kommission mit ihren Kompetenzen unter demselben Dach arbeitet.
Bei der Ostkirchenkongregation sowie der Liturgiekongregation ändert sich außer dem Namen kaum etwas. Das gilt auch für die Behörden für die Bischöfe, den Klerus, die Heiligsprechungen und die Orden. Die Dikasterien für Familie und Laien sowie die ganzheitliche Entwicklung des Menschen und die Kommunikation wurden bereits entsprechend der Konstitutionen in den vergangenen Jahren umgestaltet. Ökumene und interreligiöser Dialog bleiben je ein eigenständiges Dikasterium und ändern lediglich den Namen. Der Päpstliche Kulturrat und die Bildungskongregation werden zu einem Dikasterium für Kultur und Erziehung fusioniert. Die neue Behörde hat zwei Abteilungen, die den ehemaligen Zuschnitten entsprechen. Der Justizrat erfährt lediglich eine Namensänderung. Bei den drei Gerichten Rota Romana, Apostolische Signatur und Apostolisch Pönitentiarie gibt es keine Änderungen. Im Finanzbereich gibt es den Wirtschaftsrat, das Wirtschaftssekretariat sowie die Apostolische Güterverwaltung. Alle drei Institutionen gibt es bereits seit längerer Zeit, Kompetenzgerangel inklusive. Die Präfektur des Päpstliches Hauses bleibt ebenso ein eigenständiges Büro innerhalb der Römischen Kurie wie das Liturgieamt. Bestrebungen, die Präfektur dem Staatssekretariat einzugliedern wurden abgewehrt.
Aufwertung der Laien
Neu ist, dass zu den Mitgliedern der Kurienbehörden künftig nicht mehr nur Kardinäle und Bischöfe gehören, sondern auch Priester, Ordensleute und Laien. Die drei Letztgenannten konnten bisher höchstens Berater eines Dikasteriums werden, nicht aber Mitglieder. Die Leitungspersonen, Mitglieder und Berater werden weiterhin auf fünf Jahre vom Papst ernannt. Kleriker und Ordensleute, die als Referenten in den Dikasterien arbeiten, können einmal verlängert werden. Hier gibt es eine entscheidende Änderung gegenüber der bisherigen Praxis, wo eine Verlängerung über 10 Jahre hinaus möglich und auch üblich war. Das geht künftig nicht mehr. Wichtiger Punkt: die Konstitution betont ausdrücklich, dass Laien, Frauen und Männer, „auch in der Rolle des Leitens und der Verantwortung“ in der Kurie tätig sein können. Denn die Dikasterien übten ihre Macht stellvertretend im Namen des Papstes aus. Deshalb könne jeder Gläubige Leitung wahrnehmen entsprechend der eigenen Kompetenzen. Eigens betont wird, dass die Mitarbeitenden neben der Arbeit im Büro sich auch in der Pastoral engagieren sollen. Deutlich wird, dass eine Professionalisierung des Personals erreicht werden soll.
Was die Zusammenarbeit zwischen den Dikasterien anbetrifft, bleibt das Dokument vage. Interdikasterielle Sitzungen sollen möglich sein und werden vom Staatssekretariat koordiniert. Der Papst trifft sich weiter regelmäßig einzeln mit den Behördenchefs oder in gemeinsamen Sitzungen. Über Turni wird nichts gesagt. Zwar wird an vielen Stellen betont, dass es eine Zusammenarbeit der Dikasterien geben müsse, doch die Chance, Kabinettssitzungen und andere interdikasterielle Sitzungen im regelmäßigen Turnus klar in der Konstitution zu verankern, wurde einmal mehr vertan und liegt weiter im Belieben des Papstes, des Kardinalstaatssekretärs und der Dikasteriumsleitungen.
Synodalität und Dezentralisierung
Die Reform der Römischen Kurie sei immer im Kontext der missionarischen Dimension der Kirche gestanden, heißt es in der Präambel. Die Kirche brauche das „Gesicht der Synodalität“, d.h. man müsse aufeinander hören: die Gläubigen, das Bischofskollegium, der Bischof von Rom. Die Römische Kurie stehe nicht zwischen Papst und den Ortskirchen sondern im Dienst beider Seiten. Durch das Papier erfahren auch die Bischofskonferenzen eine Positionsbestimmung im hierarchischen Gefüge der Kirche. Zwar wird deutlich, dass der Papst sie nicht als eigene Hierarchieebene einführen möchte. Mehrfach wird betont, dass die entscheidenden Ebenen der Papst und die Bischöfe sind, dennoch kommt den Bischofskonferenzen eine Funktion zu, in dem sie Ausdruck der Kollegialität der Bischöfe sind, ein für das Bischofsamt konstitutives Element, die Kollegialität.
Der lange nicht mehr gehörte Begriff der Dezentralisierung der Kirche taucht in der Präambel wieder auf. Hier sollen die Bischöfe mehr Kompetenzen haben, so lange nicht die Einheit der Lehre und Disziplin sowie die Einheit der Kirche betroffen seien. Offen bleibt, wer definiert, wann das der Fall ist. Die Ausführungen legen nahe, dass es am Ende die römische Zentrale ist mit dem Papst an der Spitze, die hier die entsprechende Definition vorgeben. Viel ändern wird sich also nicht, denn die Kurie behält die Funktion, wenn auch „im brüderlichen Geist“ der Aufsicht.
Veröffentlichung wirkt planlos
Am Montag gibt es eine Pressekonferenz zur Vorstellung des Dokuments. Dann ist es bereits zwei Tage in der Welt ohne einen Erklärungsschlüssel. Die Veröffentlichung des Dokuments am Samstag wirkte überhastet und planlos. Bisher liegt die Konstitution nur in Italienisch vor. Wenn Franziskus mit der Reform auch ein Signal in die Weltkirche senden will, reicht das nicht aus. Zudem werden bereits erste kritische Stimmen laut, dass das Kompetenzgerangel zwischen den Behörden mit dem vorliegenden Papier nicht abgestellt werden wird. Die Kurie braucht dringend einen Modernisierungs- und Professionalisierungsschub. Dazu braucht es zum einen adäquate Strukturen, zum anderen aber auch Personen, die professionell, transparent und jenseits jeglichen Standes- und Nationalitätendünkel agieren. Vor allem in diesem letztgenannten Bereich jenseits der Strukturen wird sich entscheiden, ob die Kurie reform- und zukunftsfähig ist.
10 Kommentare
Holla die Waldfee. Laien mit Leitungsfunktion? Im Vatikan? Bitte mehr davon.
„Hier gibt es eine entscheidende Änderung gegenüber der bisherigen Praxis, wo eine Verlängerung über 10 Jahre hinaus möglich und auch üblich war.“
Das kann es auch weiterhin geben, weil der Papst auch noch Herr über die Kurie ist. Wie sagte ein Kirchenrechtsprofessor so schön: Der Papst kann alles.
Was da so an Behörden, Organisationseinheiten und Bürokratien aufgezählt wird und tatsächlich existiert, irritiert irgendwie: schliesslich ist die originäre Lehre des Nazareners doch eigentlich ziemlich einfach, oder ? Das war angeblich anfangs auch der Grund ihres Erfolges.
Eine Diskussion über das „planlose“ Vorgehen bei der Veröffentlichung halte ich nicht unbedingt für sinnvoll; zweifellos wäre es besser gewesen, wenn der Text in verschiedenen Sprachen vorliegen würde.Offenkundig gibt es ja auch noch keine lateinische Version der Konstitution; es scheint, dass Franziskus das (in Italienisch erstellte) Dokument so schnell als möglich publiziert sehen wollte.
Auf jeden Fall ist es gut,dass „Praedicate Evangelium“ nun vorliegt; wenn ich an Gespräche und Diskussionen im Laufe der vergangenen Jahre denke, dann wurde mehr als einmal die Meinung geäußert, dass das geplante Dokument wohl nie zur Veröffentlichung kommen würde. Ein Unsicherheitsfaktor konnte dabei die Möglichkeit eines „Regierungswechsels“ und die Entscheidung des neuen Papstes gegen die Reformpläne seines Vorgängers sein. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass nicht wenige Angehörige der Kurie ihre Hoffnung auf eine solche Option setzten.
Paier ist geduldig…
Es handelt sich ja nur um eine Verwaltungsreform des Vatikanstaates. Wozu also groß übersetzen? Machen ja andere Staaten auch nicht, dass sie eventuelle Verfassungsänderungen offiziell in alle möglichen andere Sprachen übersetzen.
Die überzogen verkündete „Verfassungsänderung“ als eine nur Verwaltungsreform herunterzustufen ist in der Tat weit realistischer. Der Berg kreisste und gebar (wieder einmal nur) eine Maus…
Ich bitte das nicht als Angriff aufzufassen, aber ich habe mir schon lange eine generelle Entgegnung zu Ihren Beiträgen vorgenommen: Wenn ich Ihre über die Jahre gegebenen Kommentare lese, dann finden sich darunter fast nur Äußerungen, die negativ-abwertend gehalten sind. Könnte es sein, dass Sie mit der katholischen Kirche grundlegend schlechte Erfahrungen machten und nun dieses Forum als eine Möglichkeit zur ständigen Polemik nützen ?
Nur damit wir uns richtig verstehen – ich selbst bin nicht katholisch, habe daher auch keinen Grund apologetisch tätig zu sein, aber ich bemühe mich doch dem Schwarz-Weiß-Denken, so gut als möglich zu entgehen und mich vermehrt auf die umfangreiche Palette der Grautöne zu konzentrieren.
@Prospero 22.03. 14:17
– Nun, ich sehe auch fast nur Negatives, besonders seit den heuchlerischen und erzkonservativen, rückwärtsgewandten Päpsten JP II und Ratzinger, den bis dato verheimlichten oder als Einzelfälle abgetanen Missbrauchsskandal und deren enorme Energie, diese zu leugnen, die Täter der Gerichtsbarkeit zu entziehen mit dem Ergebnis, dass nicht wenige erneut ihr Unwesen treiben konnten. Dass im Klerus national und international immer noch gemauert und unwillig oder sogar sabotiert wird, ist eine beschämende Tatsache. Die einzige Hoffnung: aus Trümmern erwächst nicht selten neues Leben. Dieses Stadium ist aber noch nicht erreicht, solange die Müllers, Woelkis und Vorderholzers in Amt und Würden bleiben…
Wenn Sie das als Polemik empfinden, ist das Ihre (vielleicht getrübte?) Sicht der Dinge. Damit kann ich leben…
So ganz werde ich den Verdacht auch nicht los, dass hinter der „überraschenden“ Veröffentlichung der Gedanke stand, dass irgendwann Schluss sein muss mit allen Bedenken und Änderungswünschen, dass dafür wirklich genügend Zeit zur Verfügung stand. Da hat sich wohl einer durchgesetzt.
NACH DER REFORM IST VOR DER REFORM
Die überraschende Veröffentlichung der Apostolischen Konstitution „Praedicate evangelium“ hat vermutlich nichts mit Planlosigkeit zu tun. Indem nur wenige eingeweiht waren, unterband man die Einmischung innerkurialer Pressuregroups kurz vor der Ziellinie. Und offensichtlich wollte man auf die SYMBOLTRÄCHTIGKEIT des 19. März 2022 nicht verzichten, an dem das Hochfest des Schutzpatrons der Kirche mit dem 9. Jahrestag der Amtseinführung von Franziskus zusammenfällt.
Ein großer Wurf ist die KURIENREFORM sicher nicht, aber es kommt zu Schritten in die RICHTIGE RICHTUNG.
– Durch die Begrenzung der Amtszeit von Klerikern und Ordensleuten auf zwei Mal fünf Jahre wird einer Verknöcherung des Apparates entgegengewirkt.
– Die Möglichkeit der Leitungsübernahme von Dikasterien durch Nicht-Kleriker wertet die Rolle der Laien in der Kirche auf. Vermutlich geht es allerdings auch darum, den Frauen an dieser Stelle entgegenzukommen und sie gleichzeitig weiterhin von den Weihen auszuschließen.
– Dass die Glaubenskongregation als älteste Kongregation und Nachfolgerin der Inquisition ihre Erstnennung zugunsten des neuen Dikasteriums für die Evangelisierung verliert, ist mehr als eine Akzentsetzung.
– Dass die Personalprälatur OPUS DEI nicht mehr der Bischofskongregation, sondern dem Dikasterium für den Klerus zugeordnet wird, ist zu begrüßen.
Insgesamt bestätigt die Kurienreform die ABSOLUTISTISCHE GRUNDORDNUNG der Kirche. Denn der Verzicht auf verbindliche interdikasterielle Arbeitsstrukturen läuft auf das Führungsprinzip „Teile und herrsche“ hinaus. Auch lässt sich leicht einer DEZENTRALISIERUNG das Wort reden, wenn für die Bischöfe keine Kompetenzbereiche definiert werden und Rom somit uneingeschränkt intervenieren kann. Insofern dürfte die aktuelle Kurienreform den Impetus zu weitergehendem Wandel bereits in sich tragen.
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