Der Papst und die Migranten

Es ist eines der zentralen Themen des Pontifikats: die Migration. Franziskus fordert von den Zielländern, vor allem den Christen dort, eine Willkommenskultur. In den vergangenen Monaten nimmt er allerdings auch stärker die Migranten selbst in den Blick. Er mahnte sie, bereit zu sein, sich in den Aufnahmeländern zu integrieren. Zum katholischen Welttag der Migranten und Flüchtlingen heute wiederholte er seine Forderungen. Beide Seiten müssten „kennenlernen und anerkennen“. Die Flüchtlinge müssten „die Gesetze, die Kultur und die Traditionen der Aufnahmeländer“ kennenlernen und achten. Die örtlichen Gemeinschaften sollten sich „ohne Vorurteile dem Reichtum der Verschiedenheit“ öffnen. Die Migranten sollten Verständnis zeigen für die Ängste in den Aufnahmeländern, erklärte Franziskus. „Zweifel und Befürchtungen zu haben ist keine Sünde“, sagte Franziskus. Sünde sei es allerdings, wenn die Ängste das Handeln bestimmten. Sünde sei es auch, „auf die Begegnung mit dem Anderen, mit dem Außenseiter, mit dem Nächsten zu verzichten“.

Beim Gottesdienst heute Morgen nahmen Migranten und Flüchtlinge teil, die derzeit im Bistum Rom leben. (Quelle: reuters)

Entwicklung bei Position des Papstes

Die Predigt beim Gottesdienst am Morgen im Petersdom zeigt einmal mehr, dass Franziskus seine Position beim Thema Migration weiterentwickelt hat. Am Anfang hatte er fast nur die Aufnahmeländer im Blick mit der Forderung, die Menschen aufzunehmen. Eine Perspektive, in der auch die aktuelle Botschaft zum Migrantentag 2018 unter dem Titel „Die Migranten und Flüchtlinge aufnehmen, beschützen, fördern und integrieren“ geschrieben ist. Doch zunehmend kamen die Herausforderungen für die Aufnahmeländer mit in den Blick. Denn, so Franziskus, es reicht nicht aufzunehmen, sondern die Ankommenden müssen auch integriert werden. Dafür brauche es eine „kluge Politik“, zeigte sich der Pontifex etwa Anfang November 2016 auf dem Rückflug von Schweden nach Rom überzeugt: „Die [Regierenden] müssen sehr offen sein, um sie aufzunehmen, aber auch Berechnungen anstellen, wie man sie unterbringen kann, denn einen Flüchtling muss man nicht nur aufnehmen, sondern man muss ihn integrieren. Und wenn ein Land die Kapazität zur Integration von – nennen wir es so – zwanzig Einheiten hat, soll es bis dahin gehen. Wenn ein anderes eine größere Kapazität hat, soll es mehr tun. Doch stets mit einem offenen Herzen.“ Auf lange Sicht, so der Papst damals, bezahle man politisch sowohl wenn man die Türen verschließt als auch wenn man mehr Menschen aufnimmt, als man integrieren kann.

Als nächsten Schritt nahm Franziskus die Migranten in den Blick und mahnte sie wiederholt zur Achtung der Traditionen im Aufnahmeland und ihrerseits zur Bereitschaft der Integration. Das klingt in der Predigt heute Morgen wieder an. Daran erinnerte er aber auch beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Corps am vergangenen Montag, als er feststellte: „Wer aufgenommen wird, muss sich den Regeln des Landes, das ihn beherbergt, unbedingt anpassen und dessen Identitätsprinzipien respektieren.“ Was noch immer fehlt ist der Blick auf die Herkunftsländer. Auch wenn ein Teil der Probleme dort durch Kolonialgeschichte und das Handeln der Industrieländer heute verursacht ist, so gäbe es doch auch Hausaufgaben vor Ort zu machen, die in der Verantwortung der lokalen Machthaber liegen: Korruption, Rechtstaatlichkeit, Einhaltung der Menschenrechte usw. Dieser Punkt findet nach wie vor wenig Niederschlag im Dialog des Heiligen Stuhls mit den Herkunftsländern vieler Migranten.

Papst würdigt Allgemeine Erklärung der Menschenrechten

Das Thema Menschenrechte stand übrigens im Mittelpunkt der Ansprache bei der Begegnung mit den Diplomaten am Montag. Franziskus würdigte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus Anlass des 70-Jahr-Jubiläums. Sie war am 10. Dezember 1948 von der UN-Generalversammlung angenommen worden. Er nutzte die Gelegenheit, um auf die aktuellen Konflikte in der Welt hinzuweisen und diplomatische Lösungen anzumahnen. Im Kontext des Migrationsthemas dankte er unter anderem Deutschland für seinen Einsatz in diesem Bereich. Der Lebensschutz, das Recht auf Arbeit waren ebenso Thema wie die enge Beziehung zwischen einer „vollständigen Abrüstung und der ganzheitlichen Entwicklung“. Interessant ist, dass der Papst mit Verweis auf die Enzyklika Pacem in terris von Papst Johannes XXIII. ausdrücklich betonte, „dass alle Staaten, was ihre natürliche Würde angeht, untereinander gleichgestellt sind“. Darin dürfte mindestens eine doppelte Spitze versteckt sein. Zum einen geht es um die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen sogenannten reichen und ärmeren Ländern, die oft in neuen Strukturen der Ausbeutung führen, zum anderen dürfte damit auch eine Kritik an einem Politikstil verbunden sein, der durch Worte oder auch konkrete politische Aktivitäten den Anschein erweckt, als gebe es eine Art Zweiklassengesellschaft im Miteinander der Staaten und Nationen.

Zu Beginn seiner politischen Neujahrsansprache erinnerte Franziskus nicht nur an das Jubiläum der Menschenrechtserklärung sondern auch an den hundertsten Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs. Dieses Ereignis wird ihm im Verlauf des Jahres sicherlich immer wieder die Gelegenheit bieten, die Themen Krieg und Frieden anzusprechen und eigene Impulse zu setzen. Die Neujahrsansprache enthält bereits einige sehr grundlegende Gedanken, denen vielleicht in den nächsten Monaten noch weitere folgen werden. Angesichts der Bedeutung, die die Themen für Franziskus haben, würde das Gegenteil überraschen.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

8 Kommentare

  • bernardo
    14.01.2018, 22:50 Uhr.

    Semper idem.

  • Alberto Knox
    14.01.2018, 23:33 Uhr.

    wieder einmal sehr grundlegend vernünftiges von unserem papst. danke herr erbacher für den bericht. was bin ich froh, dass er nun bald schon fünf jahre im amt ist.

    • Silvia
      15.01.2018, 10:56 Uhr.

      Alberto Knox
      14.01.2018, 23:33 Uhr.

      Und welche von all den erhofften Reformen hat er in dieser Zeit durchgeführt? OK, AL hat er auf den Weg gebracht, aber wie?

      Dass das Wichtigste in päpstlichen Lehrschreiben angeblich immer in Fußnoten versteckt ist, stimmt nicht. Unser neuer Pfarrer ist promovierter Theologe aus Tübingen, den habe ich gefragt, der wusste davon nichts.

      Ich selbst, Jahrgang 1951, habe u.a. das 2. Vaticanum bewusst miterlebt, da gab es diesen seltsamen Brauch nicht, und damals wurden wirklich weitreichende Beschlüsse für die ganze Weltkirche gefasst und umgesetzt.

  • Silberdistel
    15.01.2018, 9:04 Uhr.

    Mittlerweile, aufgrund verschiedenster, nicht wenigen Vorfällen und Auffälligkeiten der nicht angenehmen Art, bin ich zur Überzeugung gekommen das wir ausdrücklich keine spezielle ´Willkommenskultur´ für Migranten benötigen, wie Franziskus es offensichtlich meint. Es reicht völlig aus unserer christlichen Pflicht zur Nächstenliebe und damit Hilfestellung für Notleidende genüge zu tun! Denn auch auf die Migranten fallen durchaus Pflichten zu, denen sie sich selbst oft genug verweigern. Und zwar zunächst primär ihrem eigenen Land zur Verfügung zu stehen und/oder auf Veränderungen dort vor Ort hinzuarbeiten.
    Es mutet schon seltsam an, wenn ein Großteil der Migranten teils über tausende Kilometer anreisen, ausgestattet mit internetfähigem Smartphone, jedoch ohne Passport oder mit falschem. Im Aufnahmeland Hilfeleistungen geradezu vehement einfordern, unwahre Angaben über die wahre Identität abgeben, sich sonstiger Integration und Gepflogenheiten dieses Landes verweigern, gar Straftaten begehen. Aufgrund nicht unsinniger Gesetze unseres Staates finden ohnehin nur wenige die Anerkennung als Flüchtlinge. In diesen Fällen sehe ich die Pflicht zur Hilfestellung, schon gar nicht Willkommenskultur, auch als Christ durchaus als verwirkt an. Anstatt derer die Etablierung einer entschiedenen ABSCHIEDSKULTUR als notwendig. Ganz im Interesse der tatsächlich Hilfesuchenden selbst, die man dann gerne auch als willkommen heißen darf.

    • Silvia
      16.01.2018, 9:18 Uhr.

      Silberdistel
      15.01.2018, 9:04 Uhr.

      Dem stimme ich zu 100 Prozent zu.

      • bernardo
        16.01.2018, 14:44 Uhr.

        Auch ich stimme zu und gehe darüber hinaus: Für die von Ihnen genannten Fälle des Missbrauchs von Asyl- und Schutzrechten braucht es eine Verabschiedungskultur.

        • Silvia
          17.01.2018, 1:19 Uhr.

          bernardo
          16.01.2018, 14:44 Uhr.

          Silberdistel schrieb von einer „Abschiedskultur“, dies habe ich im Sinne der von Ihnen erwähnten „Verabschiedungskultur“ verstanden, da ich den Eindruck hatte, dass Silberdistel sich insgesamt bewusst vorsichtig und gemäßigt ausgedrückt hat, was in dem insgesamt aufgeheizten Klima – nicht hier im Blog aber allgemein im Internet – ja durchaus seine Berechtigung hat.

          Inhaltlich liegen wir da wohl alle drei auf einer Linie.

  • Wanda
    15.01.2018, 17:34 Uhr.

    Wenn der Papst das Thema Menschenrechte anschneidet und diese anmahnt, dann ist genaues Hinschauen angesagt: fundamentalste Teile davon sind gerade bei der Struktur der Amtskirche nicht verwirklicht und lassen sich auch nicht realisieren solange der Vatikan keine diesbezüglichen Reformen einleitet bzw. zulässt.
    Welche von den grundsäztlichen Menschenrechten die röm.-kath. Kirche nicht zulässt, mag jeder für sich selbst recherchieren. Ein Anfang wäre z.B. die Stellung der Frau und die ihr versagten Rechte der Mitwirkung sowie die des gläubigen Fussvolkes (Leib der Kirche) generell, welches so gut wie kein Mitspracherecht in der oligarchie-ähnlich organisierten kirchlichen Klassengesellschaft hat.
    Das war in der jungen, sich formierenden Urkirche beträchtlich anders. Eine Fehlentwicklung…

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