Papas Liebling grummelt?
Was war denn das, haben sich viele Leser der italienischen Tageszeitung „Corriere della Sera“ beim Sonntagsfrühstück gefragt. Der argentinische Erzbischof Víctor Manuel Fernández holte zum großen Schlag gegen einige römische Kuriale aus. Das wäre nicht weiter aufmerkenswert, wäre Fernández irgendein Erzbischof „vom anderen Ende der Welt“. Doch er ist einer der engsten Vertrauten von Papa Francesco, Ghostwriter von Evangelii gaudium und vieler anderer Bergoglio-Texte. Schon wollen Beobachter, wie der italienische Vatikanist Sandro Magister, der zu den bestinformierten Vatikanisten und zu den schärfsten Kritikern von Franziskus zählt, Risse im bisher engen Verhältnis von Bergoglio und Fernández ausgemacht haben.
Wo wohnt der Papst?
Es ist in der Tat ungewöhnlich, dass Erzbischof Fernández derart offen in den Medien spricht. Eigentlich meidet er den Kontakt zu Journalisten. Im persönlichen Gespräch leugnet er nicht, einen engen und direkten Draht zu Franziskus zu haben. Doch in der Öffentlichkeit hielt er sich bisher eher zurück. Fernández nahm im vergangenen Oktober als vom Papst berufenes Mitglied an der Außerordentlichen Bischofssynode teil. Franziskus hatte ihn damals sowohl in die Kommission für die Synodenbotschaft als auch in die erweiterte Redaktion der Relatio Synodi berufen, also Schlüsselpositionen.
Für Schlagzeilen sorgte die Äußerung Fernández‘, der Papst müsse nicht unbedingt in Rom residieren, sondern könnte etwa auch in Bogota leben. Hier dürfte der Erzbischof etwas übers Ziel hinausgeschossen sein. Denn schließlich geht es um den „Bischof von Rom“. Und der macht nur Sinn, wenn er auch tatsächlich in seiner Bischofsstadt Rom residiert. Es sei denn, man löst das Papstamt vom römischen Bischofsamt ab; doch das macht historisch und theologisch keinen Sinn. Das dürfte auch dem Rektor der katholischen Universität von Buenos Aires klar sein.
Widerstand in der Kurie
Die Äußerung des Papstintimus ergibt aber dann einen Sinn, wenn man die Hauptstoßrichtung des Interviews ansieht: die Frage nach der Kurie. Welche Rolle spielt die Römische Kurie? In welchem Verhältnis steht die Kurie zum Papst? Und hier wird Fernández deutlich: „Die vatikanische Kurie ist keine essenzielle Struktur.“ Er habe gelesen, dass „einige sagen, die römische Kurie sei essenziell für die Mission der Kirche oder dass ein Präfekt im Vatikan der sichere Kompass sei, um zu verhindern, dass die Kirche in ein ‚Light-Denken‘ abgleitet; oder das jener Präfekt die Einheit des Glaubens sichere und damit eine seriöse Theologie für den Pontifex garantiere“. Fernandez will sagen: Der Papst könnte auch ohne Kurie.
Spätestens jetzt dürfte jedem klar sein, wen Fernández im Blick hat, wenn er klar stellt, dass gemäß des Evangeliums Christus dem Papst und der Gemeinschaft der Bischöfe seine Führung zugesichert habe und nicht einem einzelnen Präfekten oder einer anderen Struktur. Der Erzbischof richtet sich hier ganz klar gegen den Präfekten der Glaubenskongregation Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Der hatte erst vor wenigen Tagen erklärt, dass er es als Aufgabe seines Dikasteriums sehe, dem Pontifikat eine theologische Struktur zu geben. Mitte Februar hatte Müller zudem in einem Artikel in der vatikanischen Tageszeitung L’Osservatore Romano unter dem Titel „Tempelreinigung – Theologische Kriterien für die Kirchen- und Kurienreform“ festgestellt: „Die Kurie ist keine profane Verwaltungsstruktur, sie ist eine geistliche Einrichtung, die in der besonderen Sendung der Kirche von Rom wurzelt.“
Was machen die Theologen?
Der Artikel wurde damals als Versuch gedeutet, die Römische Kurie von einem Verwaltungsapparat im Dienste des Papstes zu einer theologischen Größe zu stilisieren. Dies hatte ähnlich wie die jüngsten Äußerungen über die theologische Strukturierung des Pontifikats zu heftigen Diskussionen in der Kurie geführt. Fernández sieht in seinem Interview die Theologen in der Pflicht, hier ekklesiologische Studien anzustellen über die Kirche, den theologischen Gehalt von Strukturen, zum Status der nationalen und regionalen Bischofskonferenzen und schließlich den „eigentlichen Platz der Römischen Kurie im Verhältnis zum Papst und dem Bischofskollegium“ zu klären. Dass dies nicht geschehe, beunruhige ihn, so der Papstvertraute.
Fernández legt hier den Finger in die Wunde: Wo bleiben die Theologen, die die Ansätze theologisch entfalten und durchdenken, die sich in Franziskus Denken und Schriften finden? Ist doch schon alles gesagt, hört man, wenn man Theologieprofessoren darauf anspricht. Das mag ja sein; aber jetzt ist die Zeit. Jetzt müssen diese Ansätze, die in den 80er, 90er Jahren und nach dem Jahrtausendwechsel diskutiert und in Fachaufsätzen niedergeschrieben wurden, wieder aus den Regalen und Archiven geholt werden.
Reformen: langsam aber gründlich
In diesem Sinne könnte das Interview von Fernández eher ein von höchster Stelle autorisierter Aufruf zum Handeln sein, als der Frust eines verstoßenen Sohnes. Letztere Deutung legt Sandro Magister nahe, wenn er erfahren haben will, dass Franziskus die Vorarbeit von Fernández für die Ökologieenzyklika verworfen habe. Um weiteren Einwänden vorzubeugen: Es stimmt, dass Fernández immer wieder Ambitionen auf den Posten des Präfekten der Glaubenskongregation nachgesagt werden. Allerdings hat er sich bisher bedeckt gehalten und der Posten ist ja auch besetzt.
Interessant ist übrigens seine Antwort auf die Frage, ob denn die ganzen Reformen nicht etwas langsam vorangingen. Franziskus gehe langsam vor, weil er sicher sein wolle, dass die Veränderungen in die Tiefe gingen. „Die Langsamkeit ist notwendig für die Effektivität.“ Franziskus sei sich bewusst, dass es einige gebe, die hoffen, mit dem nächsten Papst alles wieder zurückdrehen zu können. Sollte der Papst allerdings bemerken, dass ihm nur noch wenig Zeit bleibt, „können sie sicher sein, dass er Gas geben wird“.
P.S. Die kubanische Bischofskonferenz hat mitgeteilt, dass Papst Franziskus vom 19. bis 22. September den Karibikstaat besuchen wird.