Mensch des Jahres

Auch das noch: Das Time-Magazin hat Papst Franziskus zur „Persönlichkeit des Jahres“ gekürt. Damit trifft die US-Zeitschrift sicher die Stimmung vieler Menschen rund um den Globus. Auch wenn sich in den letzten Wochen einiger Widerstand zu formieren scheint. So gab es heftige Kritik an den Passagen zur Wirtschaft im Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium. In den USA wurde Franziskus gar als Marxist bezeichnet angesichts seiner scharfen Kritik am aktuellen Weltwirtschaftssystem. Den Gescholtenen dürfte die Kritik genauso wenig stören, wie ihn die „Ehrung“ durch das Time-Magazin beindrucken wird. Franziskus wird schlicht seinen Job weiter so machen, wie er sich das als Papst vorstellt – mit Ecken und Kanten, zugleich aber mit dem Ehrgeiz, integrierend zu wirken.

Titel des Time-Magazins (ap)

Das Time-Magazin begründete seine Entscheidung damit, dass es bisher kaum jemand gelungen sei, „so schnell so viel Aufmerksamkeit“ von allen Seiten zu erhalten. Franziskus habe es geschafft, „zu einer zentralen Stimme zu werden in den wesentlichen Diskussionen unserer Zeit: über Reichtum und Armut, Fairness und Gerechtigkeit, Transparenz, Modernität, Globalisierung, die Rolle der Frau, die Ehe sowie die Versuchungen der Macht“. Damit stufte die Time-Redaktion den Papst noch wichtiger ein als den früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der auf Platz zwei kam.

Franziskus signalisiere einen Wandel, während er dieselben Antworten auf unbequeme Fragen gebe etwa sein Nein zur Priesterweihe der Frau. Er habe aber die Kraft, eine neue Beziehung zwischen der Kirche und ihren Kritikern zu schaffen. Und er habe neue Worte, eine neue Stimme des Vatikans gefunden und so die Möglichkeit geschaffen, neues Vertrauen zu gewinnen, begründen die Times-Redakteure ihre Entscheidung. Eine richtige Analyse, in der allerdings auch eine Gefahr steckt. Wenn den Worten nicht eine Änderung der Haltung, ein Mentalitätswandel in der Kirche folgt, verlieren die Worte bald ihre Kraft. Papst Franziskus versucht in seinem konkreten Umfeld auch Zeichen zu setzen, sprich: den Worten Taten folgen zu lassen. Die Frage ist, ob sich dies entsprechend durch alle Ebenen der Kirche hindurchzieht über die Bischöfe, Priester und Ordensleute bis zu den Laien. Wenn ihm das nicht gelingt, läuft seine Reform ins Leere.

P.S. Der Vatikan zeigte sich verständlicherweise erfreut über die Auszeichnung. „Der Papst sucht keinen Ruhm und Erfolg“, erklärte Vatikansprecher Federico Lombardi. Im gehe es um die Verkündigung des Evangeliums der Liebe Gottes für alle. „Wenn dies Männer und Frauen anzieht und ihnen Hoffnung gibt, ist der Papst zufrieden.“ Vor Franziskus wurde diese Ehrung 1962 Papst Johannes XXIII. und 1994 Papst Johannes Paul II. zuteil.

P.P.S. Übrigens hatte die Times-Redaktion 2012 US-Präsident Barak Obama zum „Mensch des Jahres“ gekürt. Dessen Popularitätswerte sind heute im Keller. Er steht für ein System, dass mit den Praktiken der NSA und anderen Skandalen massiv Vertrauen verspielt hat. Bleibt zu wünschen, dass dem Papst nicht ein ähnliches Schicksal widerfährt.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.