(Un-)Ruhetag

Heute fanden keine Kardinalsversammlungen statt. Dafür feierten viele Purpurträger in ihren römischen Titelkirchen Gottesdienste – teilweise begleitet von einem riesigen Medienaufgebot bei den aussichtsreichsten Papabili wie dem Italiener Angelo Scola, dem Brasilianer Odilo Scherer und dem US-Amerikaner Sean O’Malley. Das war aber nicht der einzige Grund, warum der Ruhetag zum Unruhetag wurde. Die privaten Treffen und Gespräche unter den Kardinälen wurden übers Wochenende intensiviert. Verzweifelt wird noch immer nach „dem“ geeigneten Kandidaten gesucht. Noch mischen auch die über 80-Jährigen kräftig mit wie der Dekan des Kardinalskollegiums, Angelo Sodano, oder der langjährige Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, Camillo Ruini.

Kardinal Sean O'Malley (r) - der nächste Papst?

Um die afrikanischen Kandidaten ist es in den letzten Tagen etwas ruhig geworden. Allen voran Kardinal Peter Turkson. Seit er vor zwei Wochen in einem Fernsehinterview erklärte, Missbrauch durch Priester könne in Afrika nie zu einem großen Problem werden, da die dortige Kultur Homosexualität ablehne, sind seine Chancen gesunken. Schon während der letzten Bischofssynode im vergangenen Herbst war er durch ein Video aufgefallen, das die angeblichen Gefahren durch den erstarkten Islam in Europa zeigte. Die Vorführung hatte unter den Synodenvätern zu empörten Reaktionen geführt. Umgekehrt erntete der 64 Jahre alte Leiter des Päpstlichen Rats für Justitia et Pax in den vergangenen Jahren immer wieder Lob für seine Äußerungen zur Finanzkrise und seine Kritik an neoliberalen Positionen. Turkson ist, wie etwa auch sein nigerianischer Amtsbruder John Onaiyekan, ein profilierter Sozialethiker, erfahren im Dialog mit anderen Religionen, vor allem dem Islam. Theologisch sind beide allerdings konservativ. Bei Themen wie der bereits angesprochenen Homosexualität oder der Rolle der Frau sehen sie keine Notwendigkeit für Reformen der katholischen Positionen. Es ist zu erwarten, dass ein Papst aus Afrika in vielen Punkten die konservative Ausrichtung der letzten beiden Pontifikate fortsetzen würde.

Doch was gibt es für eine Alternative? Kardinal Marc Ouellet, zuletzt einflussreicher Chef der Bischofskongregation. D.h. er ist an der Ernennung eines Großteils der Bischöfe weltweit entscheidend beteiligt. Der Kanadier arbeitete einige Jahre als zweiter Mann unter Kardinal Walter Kasper im vatikanischen Ökumenerat, bevor er dann von 2002 bis 2010 Erzbischof von Quebec war. Er bringt also sowohl pastorale als auch kuriale Erfahrung mit. Der 68-Jährige leitete für zehn Jahre ein Priesterseminar in Kolumbien. D.h. es gibt auch einen Link nach Lateinamerika. Er ist ein Vertrauter Benedikts XVI. Der schickte ihn immer wieder in heikler Mission. Etwa als es einen Bußgottesdienst am Rande eines Kongresses zum Thema Missbrauch in Rom gab; oder als Gesandten zum Internationalen Eucharistischen Kongress im irischen Dublin im vergangenen Jahr. Das war keine leichte Aufgabe; steht die katholische Kirche dort doch wegen des Missbrauchsskandals unter großem Druck. Ouellet spricht viele Sprachen, darunter auch Deutsch. Er ist eigentlich der ideale Mann. Wirklich? Kritiker werfen ihm vor, es fehle ihm an Durchsetzungsvermögen und Managementfähigkeiten. Es wird bezweifelt, dass er die Kurie in den Griff bekommt. Ouellet gilt als konservativer Intellektueller. Auch er würde wohl im Großen und Ganzen die Linie Joseph Ratzingers fortführen. Auf die Frage eines Journalisten, wie er seine Rolle als Papabile sehe, meinte Ouellet, er sei auf alles vorbereitet. Das kostete ihm bei seinen Mitbrüdern einige Sympathien.

Verstimmung gibt es durchaus auch bei einigen Kardinälen über den Ablauf der vergangenen Woche. Wie schon geschildert, gab es eigentlich keine Möglichkeit, in den Kardinalsversammlungen zu einer echten Diskussion zu kommen. Die Redebeiträge wurden in der Reihenfolge der Anmeldung abgearbeitet; eine direkte Erwiderung war nicht möglich. Unliebsame Redebeiträge wurden bisweilen vom Kardinaldekan mit einem schnellen „Grazie Eminenza“ quittiert und der nächste Redner aufgerufen. Zwar wurde Kardinaldekan Sodano ja zur Verbesserung der Kommunikation aufgefordert. Doch passiert ist nichts. Das legt den Schluss nahe, dass eine solche Diskussion vielleicht auch gar nicht gewollt war. Man gab Offenheit vor; verhinderte aber allzu kontroverse Gespräche. War das die Strategie der beiden Führungspersonen in der Sedisvakanz, Kardinaldekan Angelo Sodano und Camerlengo Tarcisio Bertone? Letztendlich sind beide Kuriale; allzu heftige Kritik hätte sie wohl auch beide getroffen. Denn Vieles, was in der Amtszeit Benedikts XVI. an die Oberfläche kam bzw. zu Krisen und Skandalen führte, hatte seine Wurzeln in früheren Pontifikaten –  etwa die Probleme mit den Vatikanfinanzen, der Skandal um den Gründer der Legionäre Christi, Marcial Maciel, etc. Auch wenn Sodano und Bertone keine großen Freunde sind, an dieser Stelle haben sie gemeinsame Interessen. Ob es soweit reicht, dass sie nachher im Konklave einen gemeinsamen Kandidaten ist unwahrscheinlich. Sodano zieht ja selbst nicht ins Konklave ein. D.h. wenn es dort zu längeren Verhandlungen kommt, hat er keinen Einfluss mehr. Dann muss sein Vertreter, Kardinal Giovanni B. Re seine Interessen vertreten. Re hatte lange Zeit unter dem damaligen Kardinalsstaatssekretär Sodano den Posten des Substituten, also des Innenministers, inne. Aus dieser Zeit bestehen enge Bande. Ihr Kandidat soll Odilo Scherer sein. Ob das die Chancen des Brasilianers mindert oder steigert, ist ungewiss. Freunde Scherers betonen auf jeden Fall seine Unabhängigkeit von kurialen Seilschaften. Das Kräfteringen ist in vollem Gang.

Die Gläubigen, die heute auf dem Petersplatz zum zweiten Mal einen Sonntag ohne Mittagsgebet des Papstes erlebt haben, hoffen, dass in einer Woche der neue Pontifex gewählt ist und wie gewohnt den Angelus betet. Angesichts der offenen Situation ein frommer Wunsch; doch sicher nicht ganz unbegründet. Sollte bis nächsten Sonntag kein neuer Papst im Amt sein, bedeutete dies 13 erfolglose Wahlgänge. Das wäre das längste Konklave seit über 180 Jahren – und 11 Papstwahlen. Nicht auszudenken!

Autorenbild

Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.