Der letzte große Auftritt

Wir stehen auf dem Petersplatz auf der Pressetribüne. Hinter uns mehr als Hunderttausend Menschen, die den Papst noch einmal selbst erleben wollen bei seiner letzten großen Generalaudienz. Der römische Himmel ist strahlend blau, ein kleines Abschiedsgeschenk von Petrus an seinen Nachfolger. Als Benedikt XVI. den großen Giro, die große Rundfahrt über den Platz macht, jubelt die Menge ihm zu. Kleine Kinder werden ihm angereicht, damit er sie segnet und küsst – Fahnen werden geschwenkt und die Handykameras klicken. Die Anmutung ist eher freudig als traurig, aber nicht, weil die Menschen froh wären, dass der Papst zurückgetreten ist, sondern weil sie ihm noch einmal ihre Zuneigung zeigen wollen.

Wir alle sind gespannt darauf, was Benedikt XVI. in seiner letzten großen Ansprache sagen wird. Wird er eine gewöhnliche Katechese, also Auslegung der Schrift halten? Oder eine Grundsatzrede, ein kirchenpolitisches Vermächtnis hinterlassen? Es ist keines von beidem. Benedikt XVI. scheint erleichtert und befreit von einer großen Last. In seiner sehr persönlich gehaltenen Rede bedankt er sich dafür, dass er in all den Jahren getragen wurde von der Gemeinschaft in Gott, und der Gemeinschaft der Kirche. Er dankt seinen Mitarbeitern, und ausdrücklich dem Staatssekretariat für ihre Arbeit, er bedankt sich bei den Journalisten, dem Diplomatischen Corps und den Gläubigen. Seine Botschaft, die er den Menschen auf dem Platz und vor den Bildschirmen in aller Welt hinterlässt: Es macht Freude, ein Christ zu sein. Und dies trotz aller Probleme. Die Kirche, das sei keine Organisation, keine Vereinigung für religiöse oder humanitäre Zwecke, sondern ein lebendiger Körper, eine geistige Verbindung von Brüdern und Schwestern im Leib Jesu Christi, der alle vereint. Immer wieder spricht er von der Freude und der Liebe, der Kraft der Wahrheit, in einer Zeit, in der alle vom Niedergang der Kirche sprächen. Es ist eine Ermutigung, die Joseph Ratzinger den Katholiken mit auf den Weg geben will.

Ausführlich rechtfertigt er sich für die Entscheidung, zurückzutreten. Ein Papst gehöre allen und immer. Es gebe kein zurück für ihn in die Privatheit. Er kehre nicht zurück in ein privates Leben mit Reisen, Begegnungen, Konferenzen etc. Er verlasse das Kreuz nicht, sondern bleibe auf eine neue Art dem Gekreuzigten nahe. Dies ist eine Anspielung auf seinen Vorgänger Johannes Paul II.. der gesagt hatte auf Fragen nach einem möglichen Amtsverzicht, dass Jesus auch nicht vom Kreuz gestiegen sei. Und es ist eine deutliche Antwort auf jene, die Benedikt XVI. vorgehalten hatten, dass er mit seinem Rücktritt „das Kreuz verlasse“. Sein großes Vorbild Benedikt, nach dem er sich benannt hat, habe gezeigt, dass man sein Leben, ob aktiv oder passiv, ganz dem Werk Gottes weihen könne.

Als der Papst nach dem Segen ins Papamobil steigt und den Petersplatz verlässt, sind wir uns bewusst, eine historische Stunde erlebt zu haben. Morgen wird Benedikt XVI. nach Castel Gandolfo aufbrechen, wo er bis zur Fertigstellung der Räume im Kloster Mater Ecclesiae bleiben wird. Und am Freitag gehen die Einladungen an alle Kardinäle raus, um nach Rom zu den Generalversammlungen und zum Konklave zu kommen. Die Sedisvakanz beginnt.

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Michaela Pilters

Ich leite seit 1985 die ZDF-Redaktion „Kirche und Leben/kath“. Bevor ich zum ZDF kam, war ich bei der Katholischen Nachrichtenagentur in Bonn und beim Hessischen Rundfunk in der Kirchenredaktion - also viele Jahre Erfahrung mit kirchlichen Themen. Mein Studium der katholischen Theologie (Diplom) habe ich in München gemacht.