Wirbel vor der Synode: Outing eines Kurienpriesters

Das hatte sich der Vatikan sicher anders vorgestellt. Eigentlich sollte die Gebetsvigil am Abend auf dem Petersplatz das Präludium für die Bischofssynode zu Ehe und Familie sein; doch als die Kurialen am Samstagmorgen in die Zeitung blickten, wartete ein Frontalangriff auf sie. Ein Mitarbeiter der vatikanischen Glaubenskongregation outete sich als homosexuell und in einer Beziehung lebend; scharf griff er die katholische Kirche an. Der katholische Klerus sei überwiegend homosexuell und homophob, sagte Krzysztof Olaf Charamsa in einem Zeitungsinterview. Schon in den vergangenen Tagen sorgte das Thema Homosexualität im Nachgang zum USA-Besuch des Papstes immer wieder für Schlagzeilen. Dabei ging es um die privaten Treffen des Pontifex in Washington. Franziskus hatte neben der Gegnerin der Homoehe Kim Davis auch einen ehemaligen Schüler getroffen, der seit fast zwei Jahrzehnten mit seinem Partner zusammenlebt.

Mosignore Krysztof Olaf Charamsa mit seinem Lebensgefährten Eduardo nach der Pressekonferenz am Samstag in Rom. (Quelle: ap)

Mosignore Krysztof Olaf Charamsa mit seinem Lebensgefährten Eduardo nach der Pressekonferenz am Samstag in Rom. (Quelle: ap)

Vatikan reagiert scharf

Eigentlich sollte das Thema bei der bevorstehenden Synode zu Ehe und Familie nur am Rande eine Rolle spielen. Aber spätestens mit dem medienwirksamen Outing des polnischen Priesters Krzysztof Olaf Charamsa dürfte es wieder zu einem der Hauptthemen werden. Der Vatikan reagierte umgehend. Er enthob den 43-Jährigen aller seiner Ämter am Heiligen Stuhl und entzog ihm die Lehrerlaubnis. Für alle weiteren Fragen sei das Heimatbistum des Priesters zuständig, hieß es. Charamsa war seit 2003 Mitarbeiter der Glaubenskongregation und zuletzt auch beigeordneter Sekretär der Internationalen Theologenkommission. Er lehrte in Rom an der Universität der Jesuiten „Gregoriana“ sowie der Hochschule der Legionäre Christi „Regina Apostolorum“.

Vatikansprecher Federico Lombardi kritisierte das Vorgehen des polnischen Priesters. Die Entscheidung Charamsas, sich vor der Eröffnung der Synode in einer solch aufsehenerregenden Weise zu äußern „erscheine sehr schwerwiegend und nicht verantwortlich“, weil dadurch ein medialer Druck auf die Synode ausgeübt werde. Gleichzeitig brachte Lombardi Respekt für die persönliche Situation Charamsas zum Ausdruck. Aus der Glaubenskongregation war zu vernehmen, dass der Präfekt, Kardinal Gerhard Müller, erst gestern davon erfahren haben soll, dass sein Mitarbeiter homosexuell ist und in einer Beziehung mit einem Mann lebt.

Der 43-Jährige Charamsa kündigte heute in Rom bei einer Pressekonferenz, bei der auch sein Lebensgefährte anwesend war, an, er werde in Kürze in einem Buch über seine Erfahrungen als Homosexueller in der katholischen Kirche berichten berichten. Durch sein Vorgehen wolle er eine „zurückgebliebene“ und „paranoide“ Kirche bewegen, so Charamsa in dem Zeitungsinterview. Die katholische Kirche müsse hinsichtlich gläubiger Homosexueller „die Augen öffnen und verstehen, dass ihre Lösung, totale Abstinenz und ein Leben ohne Liebe zu leben, unmenschlich ist“.

Immer wieder das Thema Homosexualität

Das Thema „katholische Kirche und Homosexualität“ ist die ganze Woche schon präsent. In den USA sorgte die Begegnung von Papst Franziskus mit Kim Davis für großes Aufsehen. Die Standesbeamtin hatte sich aus religiösen Gründen geweigert, trotz Anweisungen eines Gerichts Ehelizenzen an homosexuelle Paare auszuhändigen. Das Treffen von Davis mit dem Papst wurde teilweise von Gegnern der Homoehe politisch ausgeschlachtet. Der Papst habe damit die Position von Davis unterstützt und sich öffentlich gegen die Ehe für Homosexuelle ausgesprochen, so die Unterstützer von Davis. Der Vatikan sah sich genötigt klarzustellen, dass Davis eine von mehreren Dutzend Personen gewesen sei, die Franziskus beim Verlassen der Nuntiatur in Washington gegrüßt habe. „Der Papst ist nicht auf Details der Situation von Frau Davis eingegangen, und ihr Treffen sollte nicht als Form der Unterstützung ihrer Positionen in allen ihren einzelnen und komplexen Aspekten verstanden werden“, so Vatikansprecher Lombardi in seiner Erklärung.

In diesem Statement hatte Lombardi auch erklärt, dass es in den USA nur eine „echte Audienz“ in der Nuntiatur in Washington gegeben habe und zwar für einen früheren Schüler des Papstes. Das klang zunächst harmlos. Doch dann stellte sich heraus, dass dieser ehemalige Schüler, Yayo Grassi, seit knapp zwei Jahrzehnten mit einem Mann zusammenlebt und dieser auch bei dem Treffen zugegen war. Grassi erklärte, der Papst habe ihm vor etwa drei Wochen zugesichert, dass sie sich in Washington treffen könnten. Schließlich musste Vatikansprecher Lombardi gestern Abend noch einmal eine Erklärung verschicken. Darin stellte er fest, dass der Papst Grassi schon mehrfach getroffen habe. Es sei bekannt, dass der Papst viele persönliche Kontakte pflege, die „pastoral motiviert seien mit einer Haltung der Höflichkeit, der Annahme und des Dialogs“. Grassi hat den Papst also schon mehrfach getroffen, bisher ohne großes Aufsehen zu erregen. Die Frage ist, warum er dieses Mal an die Öffentlichkeit gegangen ist. Könnte das damit zusammenhängen, dass die Anhänger von Kim Davis ihre Begegnung mit dem Papst zu instrumentalisieren versucht haben? Grassi betonte gegenüber US-amerikanischen Medien, dass Bergoglio schon lange um seine Homosexualität sowie die Partnerschaft wisse und sich ihm gegenüber diesbezüglich nie kritisch geäußert habe.

Kirche muss sich Thema stellen

Eines steht am heutigen Abend fest: Die katholische Kirche muss sich dem Thema Homosexualität stellen, auch der Frage nach der Homosexualität im Klerus. Eine Tabuisierung führt dazu, dass das Thema weiter schwelt und es immer wieder zu Polemik und Instrumentalisierungen kommt. Wie es Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si für andere Bereiche vorgemacht hat, muss die Kirche auch in diesem Kontext die Entwicklungen in Wissenschaft, Psychologie und Medizin wahrnehmen und rezipieren und daraus die eigene Position neu bestimmen. Die Moraltheologie ist hier bereits an vielen Orten einen Schritt weiter.

Bei der vergangenen Außerordentlichen Synode im Oktober 2014 sind verschiedentlich auch schon neue Töne in Bezug auf die Bewertung der Homosexualität und gleichgeschlechtlicher Beziehungen angeklungen. Diese waren auch heute in Rom bei den zahlreichen Gesprächen und Diskussionen über das Outing Charamsas zu hören. Selbst Bischöfe und Kardinäle sagten, was im vergangenen Oktober der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx feststellte, wenn eine Beziehung eine bestimmte Qualität erreicht in Bezug auf Dauer und die Übernahme gegenseitiger Verantwortung, „dann kann ich doch nicht sagen, da ist nichts“.

Doch das Thema bleibt zugleich emotional und schwierig. Denn in Afrika oder etwa vielen Ländern Osteuropas, gerade in Russland ist die Bewertung der Homosexualität grundlegend anders. Ohne diese Positionen verteidigen zu wollen, muss dies wahr- und ernstgenommen werden. Damit kommt einmal mehr die Frage auf: Was kann einheitlich für die ganze katholische Weltkirche gesagt werden? Und wo ist angesichts der Ungleichzeitigkeit und der unterschiedlichen kulturellen Kontexte eine Öffnung für regionale oder lokale Lösungen angebracht? Hier geht es ans Eingemachte. Deshalb werden auf dem synodalen Weg die Diskussionen so engagiert geführt. Das wurde hier im Blog schon mehrfach betont. Wieviel Verschiedenheit verträgt die Einheit?

P.S. Heute wurde bekannt, dass Papst Franziskus den deutschen Theologen und Jesuiten Michael Sievernich als Experten für die Synode nachnominiert hat. Bisher war unter den Experten kein Theologe aus dem deutschen Sprachraum gewesen. Das war Premiere für eine Synode. Hier wurde jetzt nachgebessert.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

12 Kommentare

  • Alberto Knox
    03.10.2015, 22:04 Uhr.

    1) ich beglückwünsche herrn charamsa zu seinem outing. das ist für jeden homosexuellen menschen ein wichtiger schritt, um mit sich ins reine zu kommen.
    2) ich verurteile aufs schärfste auf kath.net (http://kath.net/news/52297) den poster gandalf (hinter dem sich, wie man sagt, roland noé verbirgt). er bezeichnet charamsa und andere homosexuelle geistliche als „ratten“ (das posting ist mittlerweile wieder gelöscht, aber es existieren screenshots).
    3) die haltung der kirche ist wirklich paranoid. einfach ein bisschen psychologie lernen, würde ich sagen.
    4) „Denn in Afrika oder etwa vielen Ländern Osteuropas, gerade in Russland ist die Bewertung der Homosexualität grundlegend anders. Ohne diese Positionen verteidigen zu wollen, muss dies wahr- und ernstgenommen werden. Damit kommt einmal mehr die Frage auf: Was kann einheitlich für die ganze katholische Weltkirche gesagt werden?“
    böse gesagt, dass ist das problem der afrikanischen und osteuropäischen christInnen und v.a. der geistlichen. hier sind diese länder entwicklungsländer. dass homosexualität eine völlig normale und anständige veranlagung ist, muss man sich erringen und zwar durch aufklärung. und: wir im westen sind auch noch lange nicht so weit, dass wir gleichberechtigung von lesben und schwulen haben, geschweige denn, dass man damit einfach so normal wie eine hete leben kann. auch bei uns bedarf es noch aufklärung, entwicklung und des nachdenkens über psychologie.

    • bernardo
      05.10.2015, 13:53 Uhr.

      1) Das Timing des „Outing“ war bewusst gewählt, um Kirchenpolitik zu betreiben. Ich glaube aber nicht, dass dieses Outing die Synodenväter sonderlich beeindrucken wird. Das Thema wird ohnehin viel zu stark gewichtet in den Medien. Diskriminierung nein, Verwässerung der Lehre ebenfalls nein.

      2) Hat er das wirklich getan? So sollte man nicht reden oder schreiben, aber Ihre Vorwürfe gegen Joseph Ratzinger und alle diejenigen, die Sie als „konservativ“ einschätzen, sind auch nicht besser. […]*

      3) Von wem Psychologie lernen? Von Freud, den Sie so gerne bemühen? Vielleicht steckt mehr Weisheit in der Haltung derjenigen, die nicht alle Lehren über Bord werfen, als in der Haltung derjenigen, die laienpsychologische Erklärungen liefern.

      4) Ach so, das muss man sich „erringen“. Na, dann erringen Sie mal schön. btw, ich habe „Dieu ou rien. Entretien sur la foi“ gelesen, das Interview mit Kardinal Sarah. Ich war beeindruckt von dem Mann, seinem klaren und mutigen Lebensweg in einer Diktatur – damit können wir alle nicht dienen – und der Präzision seiner Gedanken. Anders als bei manchem „modernen“ Theologen hatte ich bei ihm den Eindruck, dass sein „Ja“ ein „Ja“, sein „Nein“ ein „Nein“ ist. Wäre ich Kardinal, wüsste ich, für wen ich im nächsten Konklave stimmen würde.

      *Der Beitrag wurde wegen des Verstoßes gegen die Netiquette editiert.

  • silberdistel
    04.10.2015, 8:07 Uhr.

    Da wollte es ein maximal frustrierter mal richtig krachen lassen mit allen Konsequenzen für sich und sein bisheriges Umfeld. Ein „soziologisches Selbstmordattentat“ sozusagen. Obwohl, die Problematik ist hinlänglich bekannt und es gibt auch ein deutsches Pendant dazu: Dr. David Berger (Der heilige Schein/Warum schwule Priester perfekt für die katholische Kirche sind), der behauptet das 40 Prozent der rk-Priester schwul sind. Über die Orientierung des Restes darf gemunkelt werden…
    Vielleicht sollte es die Kirche einfach lassen mit der so hoch gesteckten Sexualmoral die allenfalls ein Sekundärthema von ´evangelii gaudium´ ist, die man bewiesenermaßen selbst nicht einhalten kann. Und es einfach lassen mit dem Richten darüber, outsourcen und das Gott himself überlassen?!

  • Wanda
    04.10.2015, 17:39 Uhr.

    – nun hat einer aus dem „internsten“ Kreis die Dinge und Realität benannt. Das kann man gut oder schlecht finden, eigentlich ist nur und ganz nüchtern betrachtet ein simpler Sachstand festgestellt worden, den man einfach nie wahrhaben wollte.
    Wie aber sieht es nun danach aus und welche Konsequenzen wird es haben ? Seien wir realistisch: werden vor allem konservative Eltern einen homosexuellen Geistlichen als Religionslehrer für ihre Kinder akzeptieren ? Nicht zu vergessen: auch wenn´s total falsch ist, so manche stecken die Homosexuellen und die Pädophilen in eine Kategorie.
    Da wird wohl noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten sein…

  • Silvia
    04.10.2015, 18:11 Uhr.

    Im Falle des og. Priesters aus der Glaubenskongregation kommt noch ein Zölibatsbruch hinzu. Er hätte auch gehen müssen, wenn er mit einer Frau liiert wäre.

    Deshalb ist es nicht damit getan, wenn sich die Kirche nur mit dem Thema „Homosexuelle Priester“ befasst sondern das Thema „Zölibat“ gehört in seiner Gesamtheit auf den Prüfstand.

    Bisher ist es doch so, dass gerade homosexuelle Priester den Pflichtzölibat verteidigen, weil man unter sich bleiben will.

    David Berger war übrigens kein Priester, er ist Laientheploge hat aber auch in Rom eine höhere Position gehabt.

    Ich habe sein Buch gelesen.

    Aber auch er war ein Erzkonservativer, der „die Lehre“ mit Zähnen und Klauen nach außen hin verteidigt hat, bis er ausgerechnet von kreuz.net geoutet worden ist.

    Die verlogene katholische Sexualmoral insgesamt gehört auf den Prüfstand gestellt.

    Sie predigen Wasser und trinken selbst Wein.

    • Jürgen Erbacher
      Jürgen Erbacher
      04.10.2015, 20:03 Uhr.

      David Berger war Mitglied der „Päpstlichen Akademie Thomas von Aquin“ gewesen, da er ein Thomas-Experte ist. Damit zählt man nicht zur Kurie. Aber die Ernennung erfolgt normalerweise durch den Papst.

  • Silvia
    04.10.2015, 20:42 Uhr.

    Also mir geht die verlogene, doppelte Moral meiner Kirche mal wieder gewaltig auf die Nerven.

    Es ist sehr gut, dass der o.g. Priester sich geoutet hat. Das Timing ist natürlich ein Hammer, aber gut so.

    Dass es dieses Doppelleben auch bei Mitgliedern der Glaubenskongregation gibt, ist natürlich besonders hart, sitzt diese Kongregation doch über andere Katholiken zu Gericht.

    Ich kann das kirchliche Lehramt immer weniger ernst nehmen. Inzwischen habe ich auch in meiner Gemeinde Hardliner kennen gelernt, bei uns sitzen die sogar im Kirchengemeinderat, und das widert mich total an.

  • Silvia
    07.10.2015, 21:57 Uhr.

    Hier noch mal ein Interview mit David Berger:

    http://www.fr-online.de/politik/david-berger-die-angst-im-vatikan-vor-der-homosexualitaet-,1472596,32101318.html

    Interessanter Weise war auch der Kurienpriester, der sich jetzt geoutet hat, besonders konservativ.

    Ich frage mich in solchen Fällen immer,wie ein Mensch ein solches Doppelleben längere Zeit psychisch aushalten kann.

    Homoseuelle Männer, die das rk Priesteramt wählen, tun dies ja nicht selten, weil sie sich quasi davor schützen wollen, ihre sexuelle Orientierung, die sie selbst für sündhaft halten, auszuleben. Oft sind diese Priester besonders fromm und in Sachen Sexualmoral den Gläubigen gegenüber besonders rigide.

    Wenn das Verdrängen der eigenen Sexualität dann irgendwann nicht mehr gelingt, bricht die ganze Existenz zusammen.

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