Trügerische Ruhe

Am zweiten Tag der Sedisvakanz scheint es in Rom ruhig zu sein. Beim mittäglichen Briefing hatte Vatikansprecher Federico Lombardi kaum interessante Neuigkeiten zu berichten. Wir wissen jetzt, dass 75 der 207 Kardinäle dauerhaft in Rom leben. 66 Kardinäle sind bereits aus der ganzen Welt angereist oder haben ihr Kommen für das Wochenende bzw. Anfang nächster Woche angekündigt. Wie viele davon jeweils zu den Papstwählern gehören, ist nicht bekannt. Die deutschen Papstwähler werden wohl bis zur Wochenmitte alle in der Ewigen Stadt eingetroffen sein. Bis dahin dürfte dann auch der Termin für den Beginn des Konklaves stehen. In den Gassen rund um den Vatikan kommen viel zur Überzeugung, dass die Kardinäle sich Zeit lassen wollen für Beratungen. Wackelt da gar der 11.3. als Starttermin für das Konklave?

Das ist alles Kaffeesatzleserei. Wie auch die Suche nach dem künftigen Papst. Denn hinter den Kulissen bzw. den Mauern der römischen Palazzi ist es alles andere als ruhig. Jeden Tag wird ein neuer Papabile „durch die Zeitungslandschaft getrieben“. Heute taucht zum Beispiel der Erzbischof von Florenz unter den Papabile auf: Giuseppe Betori. Der Bibelwissenschaftler feierte vergangenen Montag seinen 66. Geburtstag; passt also ins gesuchte Altersspektrum von knapp über 60 bis knapp über 70 Jahren. Er war Generalsekretär der Italienischen Bischofskonferenz und ist seit 2008 Erzbischof in Florenz. Was ihn auszeichnet? Er gehört wohl nicht zu den üblichen italienischen Seilschaften; ist ein Mann der Pastoral. Doch kann er auch einen Apparat wie die Kurie führen?

Vielleicht muss er das gar nicht können. Denn hier in Rom mehren sich Stimmen, die Kardinäle könnten in den kommenden Tagen nicht nur über den nächsten Papst sprechen, sondern auch über den nächsten Kardinalstaatssekretär. Der Frust über den bisherigen, Kardinal Tarcisio Bertone, ist so groß, dass man gerne über die Qualifikation des zweiten Mannes hinter dem Pontifex sprechen wolle bzw. gar über Anforderungen für eine Art Führungsmannschaft. Freilich kann die Wahl eines bestimmten Kandidaten zum Papst nicht an Bedingungen geknüpft werden, wie etwa Personalfragen; doch gibt es durchaus Strömungen, die dem neuen Stellvertreter Christi gerne ganz klare Aufträge mitgeben möchten. Dies geht sogar so weit, dass Kritiker des Rücktritts Benedikts XVI. es gerne sähen, dass der neue Papst möglichst in seiner ersten Predigt gleich feststellen möge, dass er bis zum Tode im Amt bleiben werde. Sie sehen das Papstamt durch Benedikts Schritt beschädigt. Die Forderung, die die Prälaten den italienischen Kollegen seit Tagen in die Blöcke diktieren, erscheinen absurd; zeigen aber, dass der Amtsverzicht Joseph Ratzingers bis in den Senat der Kirche hinein Verunsicherung hervorgerufen hat.

"Wahlkampf" vor der Basilika Santa Maria Maggiore (reuters)

Unterdessen hat eine Künstlergruppe schon einmal mit Wahlkampf für den afrikanischen Kardinal Peter Turkson begonnen. An mehreren Stellen der Stadt tauchten gestern am späten Nachmittag Plakate im Stile des italienischen Wahlkampfs auf. Unter den Journalisten rund um den Vatikan rechnet man derzeit einem afrikanischen Kandidaten nur geringe Chancen aus. Der Blick richtet sich da eher nach Amerika (Nord und Süd). Und natürlich nicht zu vergessen: Kardinal Betori, ein Italiener. Zumindest für heute.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.