Besser schweigen oder nachdenken
Wenn ein Pontifex sich aufs politische Parkett begibt, kann er dort schnell ins Schlittern geraten. Das zeigt sich einmal mehr am Beispiel des jüngsten TV-Interviews von Papst Franziskus. Seine angebliche Aufforderung an die Ukraine, sich zu ergeben, hat weltweit heftige Reaktionen ausgelöst. Der Interviewer verbindet seine allgemeine Frage, ob eine „weiße Fahne“ bedeute, das Recht des Stärkeren zu akzeptieren, mit den Ereignissen in der Ukraine. Der Papst antwortet grundsätzlich und ist sich nicht bewusst, dass seine Worte auf die konkrete Situation gedeutet werden. Dieses Problem taucht bei Franziskus immer wieder auf und kratzt stets an seiner Autorität. Dazu kommt, dass seine Position zur Ukraine, aber auch zum Krieg in Gaza, von Anfang an sehr ambivalent ist.
Sorge um Zukunft der Ukraine
Franziskus will deutlich machen, dass Verhandlungen nie eine Kapitulation und kein Zeichen von Schwäche seien, sondern der Stärke. Er wünscht sich eine diplomatische Lösung für einen dauerhaften und gerechten Frieden. So erklärt Vatikansprecher Matteo Bruni wenige Stunden nach Veröffentlichung der Interviewausschnitte am Samstagabend die Intention des Papstes. Es ist das gute Rechte, ja vielleicht seine Pflicht, sich als Papst gegen Krieg und für Verhandlungslösungen einzusetzen. Doch dabei die Realität aus den Augen zu verlieren, ist gefährlich. Wer ist Aggressor und wer ist Angegriffener? Warum wendet sich Franziskus nicht an den russischen Präsidenten mit seiner Aufforderung zu Verhandlungen?
Im Vatikan ist seit Wochen die Sorge groß, dass sich der Konflikt in der Ukraine noch lange hinziehen werde, was weiterhin großes Leid für die Bevölkerung bedeuten würde. Zugleich fragen sich die Diplomaten des Papstes, wie lange die Unterstützung des Westens für die Ukraine andauern wird, ja andauern kann angesichts der großen finanziellen Mittel, die dafür notwendig sind. Daher drehen sich Gespräche im Staatssekretariat schon lange darum, wie der Krieg schnellstmöglich beendet werden kann und wie die Zeit nach dem Krieg aussehen soll. Das aktuelle Interview des Papstes hilft sicherlich nicht, den gordischen Knoten zu zerschlagen.
Fehlender Druck auf Aggressor
Bisweilen wirkt der Vatikan in dieser Situation etwas hilflos. Über zwei Jahre ist es nicht gelungen, einen Draht zur russisch-orthodoxen Kirche aufzubauen, zur politischen Führung gibt es ebenfalls offiziell keine Kontakte. Immerhin konnte der Vatikan bei der Vermittlung bezüglich des Austauschs von Gefangenen helfen. Anstatt den Angegriffenen Mut zu Verhandlungen zu machen, sollte der Papst den Aggressoren ins Gewissen reden, den Krieg, die Gewalt und die unmenschlichen Taten zu stoppen. Dann machen Verhandlungen Sinn und sind für die Angegriffenen noch immer schwer genug.
11 Kommentare
Ich habe die Klarstellung des Vatikans auf katholisch.de gelesen, sodass bei mir der Eindruck entstanden ist, dass die Äußerungen des Papstes aus dem Zusammenhang gerissen worden sind.
Das Bild der „weißen Fahne“, das für Kapitulation steht, hat der
Interviewer ins Gespräch gebracht, der Papst hat es nur aufgegriffen.
Dass die Situation in diesem Krieg immer schwieriger wird, je länger er dauert, wird wohl niemand bestreiten.
In den USA ist Wahlkampf, unsere Bundeswehr steht selbst ziemlich blank da was ihre militärische Ausrüstung angeht und man kann nichts hergeben, was man selbst nicht hat.
Die vorsichtige Haltung unseres Bundeskanzlers finde ich berechtigt, denn er will unbedingt vermeiden, dass Deutschland zur Kriegspartei wird.
Ich war von Anfang an der Meinung, dass Deutschland aufgrund seiner geschichtlich sehr speziellen Beziehung zu Russland sich auf humanitäre Hilfe, wie u.a. die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen aus der Ukraine, hätte beschränken sollen.
das bild der weißen fahne steht mitnichten nur für die kapitulation, sondern vor allem für die unverletztlichkeit von gesandten („parlamentäre“), die in verhandlungen treten sollen. in der tat sind die worte des papstes aus dem zusammenhang gerissen, einen fehler – wer macht die nicht – hat er hier dennoch gleichwohl gemacht und es steht auch einem papst gut an, einen solchen zuzugeben.
Was Ihren letzten Absatz anbetrifft, Übereinstimmung. Allerdings ist es bei Franziskus leider kein Einzelfall sich vorschnell und „recht locker“ zu äußern und seine Meinungen mussten schon oft von seinem Stab nachträglich eingefangen und uminterpretiert werden. Nicht gut und da ist das Alter auch keine Entschuldigung.
Mir zeigt die Geschichte vieler Päpste nur, daß die Herren Kardinäle im Konklave nicht immer vom Hl. Geist begleitet oder beeinflußt wurden. Das darf man wohl behaupten ohne die Erzschurken in den Schuhen des Fischers explizit beim Namen zu nennen. Zumindest bis weit in die Zeit der Renaissance spielte sehr viel häufiger Postengeschiebe, Geldzuwendungen und Bestechungen und/oder auch schon mal die Giftbecher zwischen den Dynastien eine Rolle. Absolut kein Unterschied zu den weltlichen Mächten, obwohl man sich besser dünkte.
es ist nicht mal lehre der kirche, dass päpste inspiriert sind. das behauptet auch nicht das dogma von 1870 – dann sollte man auch nicht insinuieren, dass es lehre der kirche sei, ihre amtsträger seien inspiriert.
„Widersteht nicht dem, der böse ist, sondern wenn dich jemand auf deine rechte Wange schlägt, so wende ihm auch die andere zu“ (Matthäus 5:39).Interpretieren wir doch alles um, so wie es uns grad passt! Gut, dass wir wieder viel schlauer sind! Was haben wir doch für ein Glück, dass der liebe Gott uns und nicht Jesus oder dem Papst so viel Verstand geschenkt hat!
Auch in der christlichen/katholischen Ethik hat ein angegriffener Staat das Recht, sich zu verteidigen. Das stellt auch der Papst nicht infrage.
Dem Papst geht es anscheinend darum, dass, wenn der angegriffene Staat nach Lage der Dinge zu der Erkenntnis kommen müsste, dass er den Krieg nicht gewinnen kann, im Interesse des eigenen, angegriffenen Volkes es besser ist, eine Beendigung des Krieges durch diplomatische Verhandlungen und Unterstützung durch Vermittler anzustreben anstatt das Sterben von Soldaten und Zivilisten noch eine Weile fortzusetzen.
Dieser Zeitpunkt scheint dem Papst jetzt gekommen zu sein.
Meine persönliche Meinung ist es, dass es auch der Ukraine nicht hilft, wenn der Krieg auf andere Staaten ausgedehnt wird, indem man z.B. Natosoldaten zur Unterstützung der Ukraine entsendet.
Weitere Eskalationen sind zu vermeiden, und so verstehe ich auch den Papst. Ein regionaler Konflikt darf nicht zu einem Weltkrieg ausgeweitet werden. Irgendwann muss auch der Angegriffene zu der Einsicht kommen, dass er durch weitere Kriegsführung nichts mehr gewinnen kann.
Die Bibel bietet für alles einen Interpretationsspielraum: von den Beispielen extremster ethnischer Säuberung bis zur Rache durch das auserwählte Volk, genehmigt und sogar angeordnet durch seinen Gott (siehe ua. bei 5. Moses und besonders bei Samuel 15, 2 sowie Josua 6, 21) und extremste Frauenverachtung, sei’s durch Abram mit seiner Sarai, die er dem Pharao und Abimelech „schenkte“ oder der gerechte Lot, der seine Töchter zur Vergewaltigung anbietet und ähnlich des Leviten unter Richter 19,22-30. Also meine Frage: wer hat denn die Interpretationshoheit ?
SCHUSTER BLEIB BEI DEINEM LEISTEN
Es war und ist gut, dass die katholische Kirche ihr Nicht-Involviert-sein in den Putin’schen Angriffskrieg genutzt hat, um sich für die Rückführung entführter ukrainischer Kinder und für Gefangenenaustausch einsetzen. Die aktuelle Einmischung des Papstes auf politischer Ebene ist bestenfalls NAIV, bedeutet schlimmstenfalls eine BESCHÄDIGUNG DES PAPSTAMTES.
Was gegenwärtig den Putin‘schen EXPANSIONSIMPERIALISMUS bremst, ist der von den USA innerhalb der NATO glaubhaft garantierte atomare Gegenschlagsmechanismus gemäß der Formel: „Wer als erster Atomwaffen einsetzt, stirbt als zweiter.“
Das für Putin wichtigste Datum dieses Jahres ist der 5. November. An diesem Tag sind in den USA Wahlen, und es ist leider so, dass die Chancen DONALD TRUMPS, wiedergewählt zu werden, groß sind. Putin wird im Rahmen seiner hybriden Kriegsführung mittels computergenerierter Bots und anderer manipulativer Interventionen auf den US-Wahlkampf massiv Einfluss nehmen.
Sollte TRUMP DER KOMMENDE US-PRÄSIDENT sein, hielte Putin alle Trümpfe in der Hand. Denn Europa wäre nicht nur nicht in der Lage, die dann ausbleibenden Mittelzuflüsse aus den USA zur Unterstützung der Ukraine zu kompensieren, sondern es wäre dann zudem in Frage gestellt, ob eine USA unter Trump Europa im Falle eines Falles bei Putin’schen – atomaren? – Übergriffen wirklich beistehen würden.
Solange aus Putins Sicht die Chance besteht, dass Donald Trump an die Macht kommt, gibt es für den Diktator im Kreml keinerlei Anlass für Verhandlungen. Insofern läuft das papale Gefasel über Verhandlungen auf nichts anderes als eine BEDINGUNGSLOSE KAPITULATION der Ukraine hinaus.
„Warum wendet sich Franziskus nicht an den russischen Präsidenten mit seiner Aufforderung zu Verhandlungen?“
Weil Letzterer verhandlungsbereit IST. Es war Selenskyj, der Verhandlungen per Dekret verboten hat.
Außerdem hätten sich UA und RU längst im Frühjahr 2022 geeinigt, wenn der Westen nicht gewollt hätte, dass der Krieg weiter geht.
Besser schweigen oder nachdenken – das wünsche ich mir sehr oft von Poltikern und auch Journalisten, ehe sie Kommentare loswerden. In diesem Fall wäre das besonders notwendig gewesen.
Aber wieder einmal vielen Dank für Ihren sehr fairen Kommentar.
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