Kardinal Koch empört mit Aussagen zur Reformdebatte

Einmal mehr wird deutlich, wie aufgeheizt die Debatte um Reformen in der katholischen Kirche ist. Der vatikanische Ökumeneminister, Kardinal Kurt Koch, bemühte jetzt in einem Interview mit der Zeitung „Die Tagespost“ einen Vergleich mit der NS-Zeit. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, reagierte empört und stellt eine Beschwerde bei Papst Franziskus in Aussicht, sollte Koch sich nicht umgehend entschuldigen. Angesichts dieser weiteren Eskalation, geraten die Inhalte in den Hintergrund. Kardinal Koch gehört zu den Vertretern, die seit Monaten von der Seitenlinie offen und verdeckt die aktuelle Reformdebatte kritisieren, ohne sich aufs Spielfeld zu begeben, um mit den Bischöfen selbst zu diskutieren. Der Ad Limina-Besuch der Bischofskonferenz im November wird hier eine Gelegenheit bieten. Am Abend erklärt Koch, er sei missverstanden worden.

Neue Eskalationsstufe

Kardinal Kurt Koch gibt in der Zeitung „Die Tagespost“ ein Interview. Darin geht es auch um die aktuellen Reformdiskussionen in Deutschland. Die Fragen sind bereits tendenziös. Es wird nicht vom „Glaubenssinn der Gläubigen“ gesprochen, sondern von einem „Gefühl der Gläubigen“ als möglicher Quelle von Offenbarung. Die Antwort von Kardinal Koch: „Es irritiert mich, dass neben den Offenbarungsquellen von Schrift und Tradition noch neue Quellen angenommen werden; und es erschreckt mich, dass dies – wieder – in Deutschland geschieht. Denn diese Erscheinung hat es bereits während der nationalsozialistischen Diktatur gegeben, als die so genannten ‚Deutschen Christen‘ Gottes neue Offenbarung in Blut und Boden und im Aufstieg Hitlers gesehen haben.“ Dem habe sich die „Bekennende Kirche“ mit der Barmer Theologischen Erklärung entgegengestellt, so Koch weiter.

Die Auseinandersetzungen um Veränderungen in der katholischen Kirche erreichen mit der Äußerung Kochs eine neue Eskalationsstufe. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, sprach von einer „völlig unakzeptablen Entgleisung“. „Die Vollversammlung der Bischöfe hat mit Entsetzen auf diese Äußerung reagiert, mit der sich Kardinal Koch in der theologischen Debatte disqualifiziert“, erklärte Bätzing bei der Abschlusspressekonferenz in Fulda am Donnerstag. Aus der Äußerung Kochs spreche „pure Angst, dass sich etwas bewegt“. Er könne versprechen, so Bätzing, „es wird sich etwas bewegen, und das wird auch Kardinal Koch, schon gar nicht durch solche Äußerungen, aufhalten können“. Bätzing verwies auf die Rückläufer aus verschiedenen Ländern zum weltweiten synodalen Prozess, die in den vergangenen Wochen in Rom eingegangen seien. Diese zeigten, dass die Fragen, die in Deutschland diskutiert werden, auch in anderen Ländern akut seien.

Koch: Wurde missverstanden

Koch schrieb am Abend an Bätzing. Der wollte sich zunächst nicht äußern und ließ erklären, dass er den Brief des Kardinals erst lesen wolle. Wie die katholische Nachrichtenagentur berichtet, fühlt sich der Kurienkardinal missverstanden. Er habe keineswegs den Synodalen Weg zur Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland mit der Nazi-Ideologie verglichen, „und ich werde dies auch nie tun“. Er habe bei seiner Kritik nicht den Synodalen Weg im Blick gehabt, sondern jene Christen, die unter Berufung auf den Zeitgeist die Lehre der Kirche verändern wollten. „Ich hoffe, weiterhin davon ausgehen zu können, dass diese Behauptung nicht die Meinung des Synodalen Weges ist“, so Koch laut Katholischer Nachrichtenagentur in seiner Erklärung.

Blickt man auf die Beratungen der Vollversammlung, wurde deutlich, dass der Dissens unter den Bischöfen bleibt. Viele sehen darin zunächst auch kein Problem. Schwierig wird es für viele, wenn einzelne Mitbrüder wie etwa der Passauer Bischof Stefan Oster erklären, dass die unterschiedlichen Positionen „kaum mehr versöhnbar“ seien. Es wird erwartet, dass sich alle bewegen. In Fulda scheint man sich nicht wirklich nähergekommen zu sein. Die Frage ist, wie sehr sich die Bischöfe als ein Kollegium verstehen. Es fällt auf, dass bei den gemeinsamen Gottesdiensten im Fuldaer Dom jenseits des Eröffnungsgottesdienstes und der Abschlussvesper große Teile der Konferenz fehlen. Am Donnerstagmorgen waren nur gut ein Drittel der Bischöfe anwesend. Es wirkt nicht so, als wären die Bischöfe gemeinsam unterwegs. Das wird noch verstärkt, wenn etwa ein prominenter Vertreter der konservativen Seite am Abend lieber mit einer Bekannten in ein Fuldaer Restaurant geht, als sich mit den Mitbrüdern auszutauschen und nach Brücken über die Gräben zu suchen.

P.S. Die Erklärung von Kardinal Kurt Koch im Wortlaut, wie sie von der Katholischen Nachrichtenagentur veröffentlicht wurde.

An der Pressekonferenz nach der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz hat der Vorsitzende, Bischof Georg Bätzing, mir vorgeworfen, im Interview mit der „Tagespost“ hätte ich den Synodalen Weg mit einem Nazi-Vergleich heftig kritisiert. Er hat mich ultimativ aufgefordert, diese „inakzeptable Entgleisung“ zurückzunehmen und mich „umgehend zu entschuldigen“.

Ich antworte umgehend, kann aber meine grundsätzliche Aussage nicht zurücknehmen, und zwar schlicht deshalb, weil ich keineswegs den Synodalen Weg mit einer Nazi-Ideologie verglichen habe, und ich werde dies auch nie tun. Der Sachverhalt ist vielmehr folgender:

Im Interview wurde mir die Frage gestellt, man könne immer wieder hören, „dass es angeblich neue Offenbarungsquellen gibt“: „Der Zeitgeist und das – ich nenne das mal so – Gefühl spielt da offenbar eine Rolle. Lässt sich denn die Lehre der Kirche auf diese Weise ändern?“ Auf diese allgemein formulierte Frage habe ich auch in einem allgemeinen Sinn zu antworten versucht. Es war mir ein Anliegen, in diesem Zusammenhang die Barmer Theologische Erklärung in Erinnerung zu rufen, weil ich sie, auch aus ökumenischen Gründen, auch heute noch für wichtig halte. Um den Lesenden den Inhalt verständlich zu machen, musste ich kurz notieren, worauf diese Erklärung reagiert hat. Damit habe ich in keiner Weise den Synodalen Weg mit der Mentalität der „Deutschen Christen“ verglichen und auch nicht vergleichen wollen. Wie die so genannten „Deutschen Christen“ – Gott sei es gedankt – nicht alle Deutschen Christen gemeint hat, so habe ich mit meiner Aussage in keiner Weise alle Synodalen im Blick gehabt, sondern nur jene Christen, die die in der Frage formulierte Behauptung vertreten. Und ich hoffe, weiterhin davon ausgehen zu können, dass diese Behauptung nicht die Meinung des Synodalen Weges ist.

Um ein mögliches Missverständnis, das nun allerdings zu meinem Bedauern eingetreten ist, zu vermeiden, habe ich einen zweiten Abschnitt hinzugefügt, den ich hier in Gänze zitieren will, weil er für mich der wichtigste ist: „Der christliche Glaube muss stets ursprungsgetreu und zeitgemäß zugleich ausgelegt werden. Die Kirche ist deshalb gewiss verpflichtet, die Zeichen der Zeit aufmerksam zur Kenntnis und ernst zu nehmen. Sie sind aber nicht neue Offenbarungsquellen. Im Dreischritt der gläubigen Erkenntnis – Sehen, Urteilen und Handeln – gehören die Zeichen der Zeit zum Sehen und keineswegs zum Urteilen neben den Quellen der Offenbarung. Diese notwendige Unterscheidung vermisse ich im Orientierungstext des Synodalen Weges.“ Allein in diesem Zusammenhang habe ich eine Kritik am Orientierungstext formuliert, jedoch in keiner Weise den Synodalen Weg mit einem Nazi-Vergleich kritisiert. Wenn Bischof Bätzing in der Pressekonferenz erklärt hat, die Zeichen der Zeit seien „Quellen der Erkenntnis und für die Entwicklung der Lehre“, dann kann ich ihm durchaus zustimmen. Doch Quellen der Erkenntnis sind etwas anderes als „Offenbarungsquellen“ – davon abgesehen, dass ich diesen Begriff in sich für sehr problematisch halte. Und es stellt sich dann sogleich die weitere Frage, von welchen „Zeichen der Zeit“ als Quellen der Erkenntnis und mit welchem Interesse ausgegangen wird.

Diesbezüglich nehme ich offene Fragen im „Orientierungstext“ und in anderen Texten des „Synodalen Weges“ wahr. Und diesbezüglich stehe ich nicht allein da. Wer beispielsweise die zweite Beilage der „Tagespost“ wahrnimmt, wird feststellen, dass ähnliche Fragen von einem Alttestamentler, einem Dogmatiker, einem Praktischen Theologen und einem Philosophen, alles verdiente Universitätsprofessoren, an den „Orientierungstext“ gestellt werden. Meine kritische Anmerkung kann also nicht einfach Ausdruck einer völlig verfehlten Theologie sein.

Es war in keiner Weise meine Absicht, jemanden zu verletzen. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass wir auch heute aus der Geschichte, auch aus einer sehr schwierigen, lernen können. Wie die heftige Reaktion von Bischof Bätzing und andere zeigen, muss ich nachträglich feststellen, dass dieser Versuch mir misslungen ist. Und ich muss wahrnehmen, dass Erinnerungen an Erscheinungen und Phänomene in der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland offensichtlich tabu sind.

Diejenigen, die sich von mir verletzt fühlen, bitte ich um Entschuldigung und versichere sie, dass dies nicht meine Intention gewesen ist und nicht ist.

Meine kritische Rückfrage kann ich allerdings nicht zurücknehmen. Ich habe sie nicht aus „purer Angst, dass sich etwas bewegt“, und nicht mit der Absicht der „Delegitimierung“, wie mir Bischof Bätzing unterstellt, aufgeworfen, sondern aus theologischer Mit-Sorge um die Zukunft der Kirche in Deutschland. Denn hinter meiner Anfrage steht die viel grundlegendere Frage, was unter „Offenbarung“ zu verstehen ist. Diese Frage sehe ich in den Texten des Synodalen Weges nicht in genügender Weise geklärt. Ich wäre dankbar, wenn diese wichtige Frage einer weiteren theologischen Klärung unterzogen würde.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

2 Kommentare

  • Zufälliger Gastleser
    30.09.2022, 9:57 Uhr.

    Schaut man in die Barmer Theologische Erklärung hinein, kann man den Hinweis durchaus gelten lassen. „Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“ und „Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.“

  • Erasmus
    30.09.2022, 11:28 Uhr.

    EIN KURIENKARDINAL ALS AXT IM WALDE
    Der AfD ist es gelungen, eine neue perfide Kommunikationsstrategie im politischen Diskurs zu etablieren. Man überschreitet bewusst die Grenzen des Sagbaren, weiß, dass man öffentliche Empörung ernten wird, und rudert dann wieder zurück, indem man sich halbscharig entschuldigt oder den TABUBRUCH nachträglich relativiert.
    Das aus AfD-Sicht Erfolgreiche dieses Vorgehens liegt darin, dass man nicht nur enorme Aufmerksamkeit erheischt, sondern dass die bewusst inszenierte verbale GRENZÜBERSCHREITUNG Wirkungen erzielt und SICH IN MANCHEN KÖPFEN FESTSETZT, auch wenn sich der Urheber später davon distanziert.
    Es ist erschreckend, wenn in diesen Tagen ein Mann der politischen Mitte wie FRIEDRICH MERZ aus der Ukraine geflüchtete Frauen, Kinder und Jugendliche des Sozialtourismus in die BRD bezichtigt und sich dann zeitnah sofort dafür entschuldigt. Da war ihm nicht etwas herausgerutscht – er hat es auch getwittert -, sondern er hat sich kalkuliert als ASYLANTENKRITIKER zu erkennen gegeben. Schließlich will er ja AfD-Wähler für die CDU zurückgewinnen.
    Was hat wohl einen hochgestellten Kleriker wie Kurienkardinal Kurt Koch geritten, eine Analogie zwischen dem deutschen synodalen Weg und den so genannten „Deutschen Christen“ herzustellen, die „GOTTES NEUE OFFENBARUNG in Blut und Boden und IM AUFSTIEG HITLERS gesehen haben“? Vor ein paar Tagen erst hatte Koch dem Synodalen Weg unterstellt, es wären „weitgehend Funktionäre, die jetzt die Diskussionen prägen.“
    Koch fühlt sich und die hierarchische Klerikerkirche, die er repräsentiert, offensichtlich angegriffen. Aber erklärt das eine derartige „inakzeptable Entgleisung“ (Bischof Bätzing)? Man scheint in Rom nervös zu werden, und das m. E. nicht wegen eines angeblichen deutschen Sonderweges, sondern weil die Inhalte des Synodalen Weges weltweit in den Ortskirchen auf Resonanz stoßen. In einem Jahr ist in Rom Bischofssynode zum Thema „FÜR EINE SYNODALE KIRCHE“, und die könnte mehr Dynamik entwickeln, als dem römischen Establishment lieb sein kann.

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