Kinderschutz im Internet
Es war eine Art Premiere, zumindest wenn man den Angaben der Veranstalter traut, was da in dieser Woche an der Päpstlichen Universität Gregoriana stattgefunden hat: der erste interdisziplinäre Weltkongress zum Kinderschutz im Internet. Unter dem Thema „Child Dignity in the Digital World“ berieten drei Tage lang mehr als 150 Experten darüber, wie Kinder besser vor den negativen Seiten der Digitalisierung geschützt werden können. Von kirchlicher Seite hatte die Veranstaltung höchste Priorität. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin eröffnete am Dienstagabend den Kongress; Papst Franziskus schloss ihn am Freitag mit einem grundlegenden Statement zum Thema ab. Er warnte davor, die Folgen von Kinderpornografie und anderen Formen von sexuellem Missbrauch Minderjähriger im Internet zu unterschätzen. Der Kampf gegen diese Vergehen dürfe nicht durch einen falsch verstandenen Begriff von Freiheit im Internet gebremst werden, betonte der Papst. Franziskus fand dabei auch kritische Worte zum Verhalten der katholischen Kirche beim Thema Missbrauch. „In der katholischen Kirche gibt es ein wachsendes Bewusstsein, dass sie nicht ausreichend für Schutz von Minderjährigen in ihrem Innern gesorgt hat“, sagte er bei der Audienz für die Teilnehmer der Konferenz. Die Kirche müsse die Verantwortung für gravierende Taten anerkennen, die in den vergangenen Jahren ans Licht gekommen seien.
Zahlen zu Kindesmissbrauch im Internet erschreckend
Das Format erinnerte etwas an die Santa Marta-Group, die sich unter kirchlicher Federführung dem Engagement gegen Menschenhandel und moderne Sklaverei verschrieben hat. Wie dort kamen auch jetzt bei der internationalen Tagung zum Kinderschutz Vertreter der verschiedensten Bereiche zusammen, die von dem Thema betroffen sind: Vertreter von Kirche und Polizeibehörden ebenso wie aus der Wissenschaft und von Internetanbietern wie Facebook oder Microsoft. Treibende Kraft ist in diesem Fall der deutsche Jesuitenpater Hans Zollner, der 2012 mit Unterstützung des Erzbistums München und Freising und der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Ulm das Zentrum für Kinderschutz gründete, das seit 2014 an der Gregoriana angesiedelt ist. Von dort aus engagiert sich Pater Zollner mit seinen Mitarbeitern weltweit in der Präventionsarbeit. Der Kongress der vergangenen Woche war ein weiterer Meilenstein in der Arbeit des Zentrums.
Schon gleich zu Beginn am Dienstagabend wurde deutlich, wie dringend das Thema „Kinderschutz im Internet“ angepackt werden muss. Die italienische Bildungsministerin Valeria Fedeli sprach von geschätzten 18 Millionen Kindern, die in Europa Opfer sexuellen Missbrauchs seien. Der italienische Psychologe und Gründer eines italienischen SOS-Opfertelefons, Ernesto Caffo, berichtete, dass 2016 die „Internet Watch Foundation“ 57.335 URLs in 50 Ländern ausgemacht habe, die Bilder sexuellen Missbrauchs von Kindern verbreitet hätten. Bei 60 Prozent des Materials sei der Host in Europa gewesen. Gegenüber 2015 sei das eine Steigerung von 19 Prozent. Interpol identifiziere jeden Tag fünf Kinder, die Opfer von sexuellem Missbrauch im Internet geworden seien, so der Psychologe.
„Erklärung von Rom“ zum Kinderschutz verabschiedet
Zwei Tage lang hatten dann die Experten das Wort: Psychologen und Sexualwissenschaftler, Neurologen und Kriminalisten, dazu Vertreter der Kirche. Es ging um die Frage, wer die Opfer und wer die Täter von Kindesmissbrauch im Internet sind, welche Auswirkungen die Internetpornografie auf Kinder und Jugendliche hat, und wie sich neue technische Entwicklungen, etwa des Livestreamings, auswirken. Am Ende verabschiedeten die Teilnehmer eine „Erklärung von Rom“. Der dreiseitige Text ist eine „Handlungsaufforderung“ an die Verantwortlichen in den verschiedensten Bereichen, die beim Kinderschutz im Internet involviert sind: von der Politik über die IT-Unternehmen, die Strafverfolgungsbehörden bis zu Medizin und Wissenschaft.
Die Erklärung wurde am Freitagmorgen an Papst Franziskus übergeben. Die Teilnehmer der Konferenz hoffen, dass sein Engagement für die Würde der Menschen ihrem Anliegen für den Kinderschutz noch einmal Nachdruck verleiht. Die Erklärung ist daher mit einem Zitat des Papstes überschrieben: „Eine Gesellschaft lässt sich danach beurteilen, wie sie ihre Kinder behandelt.“ Franziskus nutzte die Gelegenheit, um alle Beteiligten in die Pflicht zu nehmen, allen voran die IT-Unternehmen. Sie sollten einen „angemessenen Teil ihrer großen Profite“ für den Schutz Minderjähriger investieren. Dazu seien Unternehmen verpflichtet, die Millionen Menschen mit Social Media und mit immer leistungsfähigerer, schnellerer und überall verfügbarer Software ausstatteten.
Papst mahnt weltweite Zusammenarbeit an
Allerdings hob Franziskus hervor, dass es mit besseren Filtern und verfeinerten Algorithmen zur Identifizierung und Blockierung missbräuchlicher Inhalte allein noch nicht getan sei. Alle, die am technologischen Wachstum beteiligt seien, müssten auch die damit verbundenen ethischen Fragen in aller Breite angehen. Er verwies auf wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach „gewalttätige und sexuelle Bilder“ ernste und lebenslange Auswirkungen auf die Psyche von Kindern haben. „Es wäre eine schlimme Täuschung zu glauben, eine Gesellschaft, in der der abnorme Konsum von Sexualität im Netz unter den Erwachsenen überhandnimmt, könnte fähig sein, Minderjährige wirksam zu schützen“, mahnte Franziskus. Die „schrecklichen sittenwidrigen Aktivitäten“ im Internet müssten „mit Intelligenz und Entschiedenheit bekämpft“ werden. Dazu sei ein Ausbau der weltweiten Zusammenarbeit zwischen Regierungen und Ordnungsbehörden erforderlich.
Die Vertreterin der Bundesregierung bei dem Kongress, Cornelia Quennet-Thielen, bescheinigte der katholischen Kirche am Rande des Kongresses „immense Fortschritte in der Bekämpfung von Kindesmissbrauch“. Nach Bekanntwerden der Missbrauchsskandale in Deutschland im Jahr 2010 habe die Institution das Thema „sehr früh zur Chefsache gemacht“, sagte die Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung gegenüber Radio Vatikan am Rande des Kongresses „Es ist Öffentlichkeit hergestellt worden – auch innerhalb der Kirche und dank von Einzelpersönlichkeiten. Aber die Institution hat das Thema dann auch zu einer institutionellen Aufgabe gemacht.“ Das Bundesministerium und das deutsche Kindermissionswerk gehörten zu den Unterstützern der Veranstaltung. Der Kongress hat gezeigt, dass die katholische Kirche aus den Fehlern der Vergangenheit lernen möchte. Papst Franziskus erklärte bei der Audienz am Freitag, die Kirche fühle sich heute in besonderem Maß dem Schutz von Kindern verpflichtet. Die Arbeit des Kinderschutzzentrums der Gregoriana wie der Päpstlichen Kinderschutzkommission sind zwei Beispiele dafür.
Und die Aufarbeitung?
Der Kongress hat gezeigt, dass die katholische Kirche beim Thema Pävention sehr weit ist. Am Rande der Tagung wurde aber immer auch die Frage diskutiert, wie es um die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen steht. Papst Franziskus hat zwar in der Vergangenheit immer wieder betont, dass die Null-Toleranz-Politik gegenüber Tätern, die sein Vorgänger Benedikt XVI. eingeführt hatte, weiter gelte. Doch werden immer wieder Fälle bekannt, die nicht konsequent aufgearbeitet werden. Unklar ist noch immer, ob Hierarchen wie Bischöfe oder Ordensobere konsequent zur Rechenschaft gezogen werden, die eine Aufarbeitung verschleppt oder behindert haben. Pater Hans Zollner sprach zum Ende des Kongresses zudem das schwierige Thema an, wie die Opfer im Vatikan gehört werden. Er schlug unter anderem die Einrichtung eines Opferrats an.
Der Vatikan teilte am Samstag mit, dass in der vergangenen Woche hochrangige Vertreter der australischen Bischofskonferenz in Rom waren, um mit Kurienvertretern über die Lage der katholischen Kirche im Land zu beraten. Dabei ging es auch um die Arbeit der staatlichen Kommission zum Kindesmissbrauch. Am Freitag hatte ein Gericht in Melbourne entschieden, dass sich Kardinal George Pell im März 2018 einer ausführlichen Anhörung zu Missbrauchsvorwürfen stellen muss. Pell war lange Jahre in leitenden Funktionen in der katholischen Kirche in Australien und ist derzeit Chef des vatikanischen Sekretariats für Wirtschaft. Papst Franziskus hatte ihn Ende Juni für die Dauer der Untersuchungen in seinem Heimatland freigestellt. Der Gerichtstermin am Freitagmorgen dauerte nur rund 20 Minuten. Die Polizei hatte Kardinal Pell im Juni wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch männlicher Jugendlicher angeklagt.
Zudem sei angemerkt, dass Kardinalstaatssekretär Parolin am Dienstag wohl mit gemischten Gefühlen zur Eröffnung des Kongresses an die Gregoriana gekommen sein dürfte. Vor dem Eingang warteten die Journalisten auf den zweiten Mann der katholischen Kirche mit unangenehmen Fragen. Denn Mitte September wurde durch eine Mitteilung des Vatikans bekannt, dass gegen einen Mitarbeiter der Nuntiatur in Washington strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen wurden wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornografischer Bilder. Ende September hatte die kanadische Justiz einen Haftbefehl gegen den Mitarbeiter ausgestellt. Dieser soll bei einem Aufenthalt in Kanada die Bilder über einen kirchlichen Rechner heruntergeladen und weiterverbreitet haben. Parolin erklärte gegenüber den Journalisten, es handle sich um eine „schwere Strafe“ von allen, die beteiligt seien. „Wir behandeln den Fall mit größtmöglichem Einsatz, äußerster Sorgfalt und größter Ernsthaftigkeit“, fügte Parolin hinzu. Papst Franziskus hatte am Montag mit dem Nuntius in den USA, Erzbischof Christophe Pierre, über den Vorfall beraten.
11 Kommentare
vielleicht wäre es an der zeit, dass pell und gerhard ludwig müller den kardinalat verlieren wegen ihrer verfehlungen. das würde die kirche wenigstens ein stück weit glaubwürdiger machen.
Alberto Knox
09.10.2017, 12:39 Uhr.
Meines Wissens nach ist Kardinal Müller nicht selbst des Missbrauchs angeklagt und steht auch nicht wegen Vertuschung vor Gericht, dh., er steht und stand nie in dieser Frage vor Gericht.
Was Pell angeht, muss man erst mal abwarten.
es gäbe aber genug, um ihn innerkirchlich zu belangen. und es gab und gibt durchaus vernünftige menschen, die das fordern, wie zb. pater mertes sj. und der weiß, wovon er spricht. oder wollen sie das leugnen?
Nun, sein eiskaltes ignorierendes Verhalten kürzlich in Regensburg reiht ihn ein in den Kreis der Schuldigen.
Der Mann müsste eigentlich als Mitwisser und Billiger vor Gericht…
sehe ich auch so.
„Was haben die Römer uns denn gebracht???“
Bei dermaßen viel Verweisen auf die weltliche Obrigkeit wäre doch ein Update der Antwort auf die Frage angebracht, auf welcher Seite der Ur-Kirchen-Tür denn die heutige Kirche sich befindet, als damals die fundamentalen Anhänger des gescheiterten Jeschua inständig hofften, daß die Beauftragten der Staatsmacht wennschon entschlossen aber doch auch ahnungslos an ihrem Haus vorübergingen. Dazwischen liegen Welten.
Nunja, die Basiliken haben sie uns gebracht. Da muß wohl irgendwann die Tür aufgegangen sein und man hat sich geeinigt und weil das schon lange her ist, ist das bereits zum Traditionalismus geworden und die römische Sprache zur Kirchensprache.
Und das Evangelium war die Mitteilung des römischen Kaisers an die Untertanen, die davon froh und begeistert sein mußten.
Da die Kirche auf Stein gebaut ist, gibt es sie immer noch.
Es bleibt das Gschmäckle, das die Frösche dafür demonstrieren ihre Teiche trocken zu legen.
🙂
Persönlich bin ich für das Zölibat. Es gibt wohl kein schöneres Geschenk als sein eigenes Leben nur Gott und den Menschen zu widmen.
Doch wenn man die damit verbundenen Auflagen und Verzichte nicht tragen kann, dann wäre es doch besser ganz und gar zu verzichten, Gott und die Menschen vor solch einem ´Geschenk´ zu erlösen und besser in ein laisiertes Leben zurück zu kehren. Sicher ist es kein profanes Leben.
Es gibt sehr viele schöne Stellen der hl. Schrift, die gerade die Schönheit der Kindschaft betonen.
Silberdistel
11.10.2017, 19:40 Uhr.
Letzteres hat unser Pfarrer im Februar getan, nämlich in ein laisiertes Leben zurück zu kehren.
Ich hätte ihn gerne behalten, auch mit Ehefrau.
@zdf-Meldung 14.10. =
In einem Veruntreuungsprozess im Vatikan ist der Hauptangeklagte Giuseppe Profiti zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden. Der frühere Direktor der päpstlichen KINDERKLINIK Bambino Gesu soll Stiftungsgelder der Klinik für die Renovierung der Privatwohnung von Kardinal Tarcisio Bertone abgezweckt haben. Profiti darf die nächsten fünf Jahre kein öffentliches Amt im Vatikan annehmen und sich keine Straftat zu Schulden kommen lassen. Auch muss er eine Geldstrafe von 5.000 Euro zahlen und die Prozesskosten tragen.
Das kann man wohl nur insofern kommentieren, das man im Vatikan endlich endlich gewillt ist, aber auch sowas von richtig hart durchzugreifen. (Ironie off!)
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