Papst Leo XIV. – Kontinuität und eigene Akzente

Sechs Wochen ist Robert Francis Prevost jetzt Papst. Noch ist er dabei, sich in das neue Amt einzufinden. Doch er setzt erste eigene Akzente – organisatorisch und inhaltlich. An vielen Stellen wird deutlich, dass er sich als Brückenbauer versteht. Ein Mann der lauten Töne ist er nicht, das schließt aber nicht aus, dass er klare Positionen vertritt. Wichtige Personalentscheidungen sind bisher nicht gefallen; auch hat er noch keinen Nachfolger für sich als Chef des Bischofsdikasteriums ernannt. Die übrigen Behördenchefs sind, wie üblich, bis auf weiteres im Amt bestätigt. Vor Herbst ist hier nicht mit größeren Veränderungen zu rechnen. Mit Spannung wird erwartet, wohin die ersten Reisen gehen. Ende November könnte Leo zum Andreasfest nach Istanbul reisen mit Abstechern nach Ephesus und Nizäa, um an das Konzilsjubiläum zu erinnern. Spekuliert wird auch über eine Reise nach Argentinien und Peru. Damit könnte er den weißen Fleck auf der Reiseagenda seines Vorgängers füllen und seine Wahlheimat besuchen. Zugleich wäre es ein klares Zeichen an die USA, welche Prioritäten der „erste US-amerikanische Papst“ setzt, dessen Heimat nach eigenen Worten dort ist, woran das Herz hängt: Peru.

Papst Leo bei der Generalaudienz am Mittwochmorgen im Vatikan. (Foto: action press)

Bruch mit Franziskus

Leo XIV. wird zurückziehen in den Apostolischen Palast, er reaktiviert die Päpstliche Sommerresidenz in Castelgandolfo, wo er im Juli und August einige Tage verbringen wird, und bei der Übergabe des Pallium wird er nicht wie Franziskus den neuen Erzbischöfen am Fest Peter und Paul eine Schachtel mit dem kleinen Wollschal in die Hand drücken, sondern ihnen diesen wieder über die Schulter legen. Er setzt sich also klar ab von Franziskus. Das war schon beim ersten Auftritt nach der Wahl zu sehen, als er wieder die rote Mozzetta trug. Zugleich bleibt er bei schwarzen Schuhen und signalisiert so, dass er eben doch nicht einfach zum Vorher zurück will. Auch mit Blick auf die Arbeitsweise gibt es Unterschiede zu seinem Vorgänger. Leo XIV. führt das Amt des dauerhaften Privatsekretärs wieder ein. Franziskus hatte alle zwei bis drei Jahre seine Sekretäre ausgetauscht, weil er graue Eminenzen wie Stanislaw Dziwisz unter Johannes Paul II. und Georg Gänswein unter Benedikt XVI. verhindern wollte. Leo wählte nun einen Priester aus Peru mit der Absicht, dass dieser über längere Zeit an seiner Seite stehen und sein Büro organisieren soll.

Anderer Ton gegenüber der Kurie

Leo dürfte sein Amt in dem Sinne kollegialer ausüben als sein Vorgänger, indem er die Kurie wieder stärker integriert. Hier schlug er in den ersten Wochen andere Töne an als sein Vorgänger. „Die Päpste kommen und gehen, aber die Kurie bleibt“, erklärte er wenige Tage nach seiner Wahl beim Treffen mit Mitarbeitenden der Römischen Kurie und des Vatikanstaats. „Die Kurie ist die Institution, die das historische Gedächtnis einer Kirche, des Dienstes ihrer Bischöfe bewahrt und weitergibt. Das ist sehr wichtig. Die Erinnerung ist ein wesentliches Element in einem lebendigen Organismus. Sie ist nicht nur der Vergangenheit zugewandt, sondern sie speist die Gegenwart und ist Orientierung für die Zukunft. Ohne Erinnerung führt der Weg in die Irre, der Sinn geht verloren.“

Interessant ist, dass Leo XIV. beim Treffen mit den Mitarbeitenden des Staatssekretariats vor wenigen Tagen dessen besondere koordinierende Funktion innerhalb der Kurie hervorhebt. Eine Rolle, die zwar auch in der neuen Kurienkonstitution Praedicate Evangelium benannt wird, doch gegenüber den früheren Kurienkonstitutionen nicht mehr so stark betont wird. Leo bezieht sich nun wieder auf Paul VI. und versucht somit wohl etwas zurechtzurücken, was aus Sicht des Staatssekretariats unter Franziskus verloren ging. Leo konnte es sich dann am Ende des kurzen Treffens am 5. Juni doch nicht verkneifen, Paul VI. auch mit einer kritischen Bemerkung zu zitieren: „Dieser Ort soll nicht von Ehrgeiz und Rivalitäten vergiftet werden.“ Das erinnerte auch an Franziskus‘ Kritik an der Kurie.

Kontinuität mit Franziskus

Mehrfach betone Leo XIV. mittlerweile, dass er beim Thema Synodalität am Kurs seines Vorgängers festhalten will. Beim Treffen mit Vertretern der Ökumene und der anderen Religionen, die an seiner Amtseinführung teilgenommen hatten, stellte der neue Pontifex fest: „Im Bewusstsein, dass Synodalität und Ökumene zudem eng miteinander verbunden sind, möchte ich Ihnen versichern, dass ich beabsichtige, die Bemühungen von Papst Franziskus zur Förderung des synodalen Charakters der katholischen Kirche fortzusetzen und neue und konkrete Formen für eine immer intensivere Synodalität im ökumenischen Bereich zu entwickeln.“ Beim Treffen mit den Bischöfen Italiens erklärte er gestern, Synodalität möge „zur Mentalität im Herzen, in den Entscheidungsprozessen und in der Art des Handelns“ werden. Was er konkret darunter versteht, hat er in den ersten Wochen noch nicht erläutert. Die spannende Frage wird sein, wie er die Trias Primat, Kollegialität und Synodalität in eine gute Balance bringen wird.

Bestimmendes Themen in vielen seiner Reden und Predigten sind die Versöhnung und der Frieden. Dabei hat er alle Ebenen im Blick. In seinem Telefonat mit dem russischen Präsidentin Wladimir Putin fordert er von diesem ein konkretes Zeichen des Friedenswillens, womit er weit über die Position seines Vorgängers hinausging. Der Krieg in der Ukraine, aber auch andere Konflikte sind immer wieder Thema beim Angelus, bei den Generalaudienzen und anderen Anlässen. Beim Treffen mit Vertretern von Volksbewegungen und Friedensinitiativen stellte er Ende Mai fest: „Es gibt zu viel Gewalt in der Welt, es gibt zu viel Gewalt in unseren Gesellschaften. Angesichts der Kriege, des Terrorismus, des Menschenhandels, der weit verbreiteten Aggressivität brauchen Kinder und junge Menschen Erfahrungen, die sie zur Kultur des Lebens, des Dialogs, des gegenseitigen Respekts erziehen.“

Neue Kultur des Dialogs

Aus Sicht von Leo brauche es Zeugen für einen anderen, gewaltlosen Lebensstil. „Daher sind diejenigen Opfer von Unrecht und Gewalt, die der Versuchung zur Rache widerstehen zu wissen, die glaubwürdigsten Protagonisten gewaltloser Prozesse zum Aufbau des Friedens, und dies auf lokaler, alltäglicher Ebene bis hin zur Weltordnung. Gewaltlosigkeit als Methode und Stil muss unsere Entscheidungen, unsere Beziehungen, unser Handeln auszeichnen.“ Entsprechend forderte er am Dienstag von den Bischöfen Italiens, „ich hoffe also, dass jede Diözese Wege der Erziehung zur Gewaltlosigkeit, Initiativen der Vermittlung in lokalen Konflikten, Projekte des Willkommens, die die Angst vor dem anderen in eine Chance der Begegnung verwandeln, fördern kann.“

Jede Gemeinde soll nach der Vorstellung des Papstes zu einem „Haus des Friedens“ werden, „in dem die Menschen lernen, Feindseligkeit durch Dialog zu entschärfen, in dem Gerechtigkeit geübt und Vergebung geschätzt wird. Frieden ist keine spirituelle Utopie: Er ist ein bescheidener Weg, der aus alltäglichen Gesten besteht, die Geduld und Mut, Zuhören und Handeln miteinander verbinden“. Damit stellt sich Leo in die Tradition seines Vorgängers, der immer wieder eine neue Kultur der Begegnung und des Dialogs gefordert hatte. Franziskus hatte dazu an verschiedenen Stellen Projekte initiiert oder gefördert wie das integrative Schulprojekt Scholas occurrentes. Spannend ist es jetzt, welche konkreten Schritte Leo XIV. beim Thema Dialog gehen wird. Das betrifft die Kurie aber auch das Kardinalskollegium, das Bischofskollegium und die Gesamtheit der Gläubigen sowie den säkularen Bereich angesichts der Vielzahl an Konflikten. Wiederholt hat er den Vatikan als Ort der Vermittlung angeboten. Unter dem Missionar Leo könnte der Heilige Stuhl einen neuen Schwung erfahren im Bereich des Dialogs und des Brückenbauens.

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Jürgen Erbacher

Seit August 2024 leite ich die ZDF-Redaktion "Religion und Leben", in der die Redaktion "Kirche und Leben katholisch", deren Leiter ich seit Juli 2018 war, aufgegangen ist. Für das ZDF arbeite ich seit 2005 und berichte über Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

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