Synode 2023: Kirche ohne Autorität

Wie kann die Kirche wieder Autorität gewinnen? Das war eines der zentralen Themen am dritten und letzten Einkehrtag der Synodalen der am Mittwoch beginnenden Weltsynode in Sacrofano bei Rom. Der ehemalige Dominikanerobere Timothy Radcliffe bescheinigte der Kirche eine Krise der Autorität. „Die Krise des sexuellen Missbrauchs hat uns in Misskredit gebracht“, erklärte der 78-Jährige, der in seinen sechs Meditationen immer wieder Bezug auf den Missbrauchsskandal nahm. Neben der Frage, wie es um die Autorität in der Kirche steht, beschäftigte sich Radcliffe auch mit Rivalitäten und der Neigung zur Kontrolle in der Kirche. Seine Botschaft: „Stellen Sie sich die Freude vor, von jeglichem Wettbewerb untereinander befreit zu sein, so dass das Mehr an Mitspracherecht der Laien nicht bedeutet, dass die Bischöfe weniger haben, oder dass das Mehr an Autorität, das den Frauen zugestanden wird, nicht bedeutet, dass die Männer weniger haben, oder dass das Mehr an Anerkennung, das unseren afrikanischen Brüdern und Schwestern zuteil wird, nicht die Autorität der Kirche in Asien oder im Westen schmälert.“

Der ehemalige Obere des Dominikanerordens, Timothy Radcliffe, versuchte die Synodalen auf die schwierigen Debatten einzustimmen, die bei der Weltsynode ab morgen zu erwarten sind. (Quelle: VaticanMedia)

Vielfältige Autorität

Wie die Dubia-Anfrage der fünf Kardinäle gezeigt hat, gibt es in einigen Kreisen Unruhe, weil bei der aktuellen Synode auch Laien stimmberechtigt sind. Radcliffe redete am Morgen gar nicht lange um den heißen Brei und startete mit der Feststellung: „Es kann kein fruchtbares Gespräch zwischen uns geben, wenn wir nicht anerkennen, dass jeder von uns mit Autorität spricht.“ Die ganze Welt leide unter einer Krise der Autorität. Dieses Vakuum werde von gefährlichen Stimmen versucht zu füllen. Eine wichtige Voraussetzung für die Kirche, Autorität wieder zurückzugewinnen ist nach Radcliffe, dass sie die Menschen berühren müsse. „Ohne Freude hat keiner von uns irgendeine Autorität. Keiner glaubt einem unglücklichen Christen!“

Mit Verweis auf das Instrumentum Laboris der Weltsynode betont der Dominikaner, dass es verschiedene Autoritäten in der Kirche gebe etwa die der Armen, die der Tradition, der Hierarchie, die im Dienst der Einheit stehe. „Autorität ist vielfältig und verstärkt sich gegenseitig”, so Radcliffe. Er warnt davor, in einen Wettstreit oder Vergleich der Autoritäten etwa von Laien und Bischöfen zu treten. „Wir werden mit Autorität zu unserer verlorenen Welt sprechen, wenn wir in dieser Synode über konkurrierende Existenzweisen hinausgehen.“ Radcliffe erinnert daran, dass das Arbeitspapier der Synode ausdrücklich betont, die jungen Menschen im Blick zu haben und mahnt: „Junge Menschen werden nicht von unserem Glauben angezogen, wenn wir ihn domestizieren.“

Sich verändern lassen

Schon gestern hatte er in einer Meditation zum Emmaus-Gang betont, dass Jesus in der Szene nicht versucht habe, die Unterhaltung zu kontrollieren. „Er fragt, worüber sie reden; er geht dorthin, wohin sie gehen, nicht dorthin, wohin er gehen möchte; er nimmt ihre Gastfreundschaft an“, führte Radcliffe aus. Ein echtes Gespräch könne nicht kontrolliert werden. Eine echte Konversation sei risikohaft. Doch nur ein offenes Gespräch könne dazu führen, sich verändern zu lassen. Unterschiede seien fruchtbar und bringen Dinge hervor. „Ein Gespräch braucht einen imaginären Sprung in die Erfahrung des anderen“, ist der Dominikaner überzeugt. Wer richtig zuhöre, dessen vorgefertigte Antworten lösten sich in Luft auf. „Auch wir brauchen heilende Worte, die die Grenzen überwinden, die uns trennen: die ideologischen Grenzen von links und rechts, die kulturellen Grenzen, die einen Kontinent vom anderen trennen, die Spannungen, die manchmal Männer und Frauen trennen.“ Auch die Grenzen der Generationen müssten überwunden werden.

Ein Weg dorthin kann nach Radcliffe sein, sich über die eigenen Ängste und Zweifel auszutauschen. „Das Mutigste, was wir in dieser Synode tun können ist, einander ehrlich unsere Zweifel und Fragen mitzuteilen, die Fragen, auf die wir keine klaren Antworten haben.“ Er verweist auf eine Aussage des damaligen Erzbischofs Jorge Mario Bergoglio in einem Gespräch mit dem Rabbiner Abraham Skorka. Darin stellt der heutige Papst fest: „Die größten Führer des Volkes Gottes waren Menschen, die Raum für Zweifel ließen.“ Eine schlechte Führungskraft sei diejenige, die selbstbewusst und stur ist. Radcliffe ist überzeugt, dass es bei der Synode mehr brauche als rationale Debatten, „wenn wir über unsere Differenzen hinausgehen wollen“. Die Synodalen müssten zu einer intensiveren Freundschaft mit Gott und untereinander kommen. „In der Synode haben wir die kreative Aufgabe, unwahrscheinliche Freundschaften zu schließen, insbesondere mit Menschen, mit denen wir nicht einer Meinung sind.“

Unterscheiden, nicht abstimmen

Die Synode ist, so Radcliffe, wie ein Orchester, im dem unterschiedliche Instrumente ihre je eigene Musik spielen. Doch wie in einem Orchester oder einem Fußballteam käme man nicht durch Abstimmung zu einer Entscheidung. Denn zur Wahrheit komme man nicht durch Mehrheitsvoten. Hier helfe die jesuitische Tradition der Unterscheidung. Ein Schelm, wer bei diesen Ausführungen nicht an die Verfahren des deutschen Synodalen Wegs denkt, der vielen im Vatikan ein Dorn im Auge war. Der Dominikaner versuchte mit seinen sechs Meditationen ein Fundament zu legen für die anstehenden Beratungen. Es wird sich zeigen, ob es hilfreich war, die drei Einkehrtage den Beratungen vorzuschalten. Der Aufenthalt in Sacrofano bot die Möglichkeit zu einem ersten Kennenlernen. Radcliffe sparte die kritischen Themen nicht aus, die im Vorfeld zu Kontroversen geführt hatten. Er bot keine Lösungen an. Aber wie ein roter Faden durchzog sich die Aufforderung, aus der eigenen Komfortzone herauszutreten und das Gespräch gerade mit denen zu suchen, die gegensätzliche Positionen vertreten. Mit konkreten Beispielen versuchte er die Synodalen zu erden und daran zu erinnern, dass bei allen Beratungen die Kirche nicht im luftleeren Raum agiert, sondern mit dem Ernst des Lebens konfrontiert wird, auf den sie Antworten geben muss.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

2 Kommentare

  • Silvia
    03.10.2023, 19:58 Uhr.

    Ich frage mich gerade, ob es wünschenswert wäre, wenn die Kirche ihre Autorität (von früher?) zurückgewinnen würde.

    Ich bin Jahrgang 1951, streng katholisch sozialisiert und erinnere mich noch gut daran, dass in der Franziskanerpfarrei, in der wir von 1959 bis 1966 wohnten, jeden Sonntag bei der Predigt ein fürchterliches Donnerwetter auf die versammelten Gläubigen nieder ging.

    Ich habe auch einmal in der damaligen Zeit zusammen mit meinen Eltern eine Straßenpredigt von Pater Leppich (SJ) miterlebt. Da hat sich genau dasselbe abgespielt.

    Mir wäre eine demütige, dienende Kirche lieber. Eine nahbare Kirche, die Menschen auf Augenhöhe begegnet. Die das, was sie lehrt, erklärt und zwar so, dass es möglichst jeder verstehen kann.

    So könnte Kirche ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen ohne Autorität zu beanspruchen.

  • Erasmus
    03.10.2023, 21:25 Uhr.

    STIMMBERECHTIGUNG VON SYNODALEN UND EPISKOPALE AUTORITÄT
    „Es kann kein fruchtbares Gespräch zwischen uns geben, wenn wir nicht anerkennen, dass jeder von uns mit Autorität spricht.“ (Radcliffe)
    Ein luzider Gedanke. Durch die Neustrukturierung der Institution Bischofssynode hat Franziskus die ständische Verfasstheit der Kirche – hier die Kleriker, dort die Laien – aufgebrochen. Und es ist gut, dass sich das auch in dem GLEICHEN STIMMRECHT für Bischöfe, Priester und Laien dokumentiert. Aber es ist ebenso zu begrüßen, dass nicht das Prinzip 50 + 1 gilt, das Gewinner und Verlierer produziert, sondern dass um Formulierungen gerungen wird, denen mehr als Zweidrittel der Stimmberechtigten zustimmen können. Auch wenn weniger als ein Drittel der Teilnehmer mit einer vom Plenum angenommenen Textpassage nicht einverstanden sind, haben diese nicht den Kürzeren gezogen; denn die LETZTENTSCHEIDUNG liegt beim Papst. Dieser wird die Ergebnisse der Synode ernst nehmen und genau studieren, aber er wird immer auch die Einheit der Weltkirche im Auge haben, wenn er eine Entscheidung trifft.
    Ich meine, die katholische Kirche tut gut daran, so viel SYNODALITÄT wie möglich zuzulassen, aber sie sollte auch auf der LETZTVERANTWORTUNG von Papst und Bischöfen bestehen, was mindestens ein Vetorecht voraussetzt.

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