Benedikt XVI.: Lasst Euch nicht verwirren!
„Steht fest im Glauben! Lasst euch nicht verwirren!“ Das ist die letzte Botschaft Benedikts XVI. an die Katholiken weltweit. Der Vatikan veröffentlichte am Abend des Todestags das Geistliche Testament Joseph Ratzingers. Neben dem Dank an Gott, die Eltern und Weggefährten nimmt die Warnung, sich nicht durch vermeintliche Gewissheiten der Natur- und Geisteswissenschaften verwirren zu lassen breiten Raum ein. „Ich habe von weitem die Wandlungen der Naturwissenschaft miterlebt und sehen können, wie scheinbare Gewissheiten gegen den Glauben dahinschmolzen, sich nicht als Wissenschaft, sondern als nur scheinbar der Wissenschaft zugehörige philosophische Interpretationen erwiesen.“ Glaube und Vernunft, wie verhalten sie sich zueinander und wie kann der Mensch Gewissheit finden als Fundament seines Glaubens? Diese Frage beschäftigte Joseph Ratzinger zeitlebens. Er sah die Antwort in einem Glauben mit klarem katholischem Profil, in der Rückbindung an die Tradition. Damit eckte er bei vielen an.
Glauben und Wissenschaft
Joseph Ratzinger erzählte einmal, dass sein Doktorvater mit Blick auf seine Dissertation davon sprach, dass darin das „rauflustige Inkognito des Verfassers“ erkennbar werde. Liest man die Zeilen seines Geistlichen Testaments, scheint das in seinem letzten Vermächtnis noch einmal durch. Genugtuung lässt sich herauslesen aus den Zeilen, wenn er über große Theologen des vergangenen Jahrhunderts schreibt, deren Hypothesen aus seiner Sicht ins Leere gelaufen seien. Seine Botschaft lautet: Lasst euch nicht verwirren durch Aussagen, dass Naturwissenschaften und Geschichtsforschung „unwiderlegliche Einsichten vorzuweisen hätten, die dem katholischen Glauben entgegenstünden“. Seit 60 Jahren begleite er nun schon den Weg der Theologie, besonders der Bibelwissenschaften. Er habe „mit den wechselnden Generationen unerschütterlich scheinende Thesen zusammenbrechen sehen, die sich als bloße Hypothesen erwiesen: die liberale Generation (Harnack, Jülicher usw.), die existenzialistische Generation (Bultmann usw.), die marxistische Generation“. Er sei aber auch Zeuge geworden, „wie aus dem Gewirr der Hypothesen wieder neu die Vernunft des Glaubens hervorgetreten ist und hervortritt“. Jesus Christus sei „wirklich der Weg, die Wahrheit und das Leben – und die Kirche ist in all ihren Mängeln wirklich Sein Leib“.
Das Testament ist bereits am 29. August 2006 verfasst. Seine Jesus-Bücher wird er anschließend noch schreiben und sich darin intensiv mit der Bibelwissenschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. Allerdings waren es bisweilen Schattenkämpfe, weil die Wissenschaft sich weiterentwickelt hatte. Die Frage, ob Ratzinger in den Büchern oder seinem Geistlichen Testament richtig oder falsch liegt, sollen Wissenschaftler beantworten. Entscheidend ist die Frage, die dahintersteckt. Ratzinger ist überzeugt, wie er es bei einem Gottesdienst beim Bayernbesuch 2006 formulierte: „Die Sache mit der Welt geht nicht auf ohne Gott!“ Was passiert aber, wenn immer weniger Menschen an Gott glauben? Für Joseph Ratzinger bestand die Lösung in einer Erneuerung des Glaubens, der sich stärker an der Tradition orientiert und der ein klares katholisches Profil hat. Ratzinger sieht in dem knapp eineinhalb Seiten umfassenden Text übrigens auch, dass der Glaube „im Dialog mit den Naturwissenschaften die Grenze der Reichweite seiner Aussagen und so sein Eigentliches besser verstehen lernte“.
Dank an Eltern und Wegbegleiter
Das Testament beginnt mit einem großen Dank, an Gott, die Eltern und Geschwister sowie die Weggefährten. Einmal mehr zeigt sich in den Zeilen die besondere Verbundenheit mit der bayerischen Heimat. „Danken möchte ich dem Herrn für die schöne Heimat im bayerischen Voralpenland, in der ich immer wieder den Glanz des Schöpfers selbst durchscheinen sehen durfte.“ Seine Sorge gilt auch in der Heimat der Verdunstung des Glaubens. „Ich bete darum, dass unser Land ein Land des Glaubens bleibt und bitte Euch, liebe Landsleute: Lasst euch nicht vom Glauben abbringen.“ In dem Geistlichen Testament wird deutlich, dass Ratzinger sich zeitlebens von Gott getragen fühlte, gerade auch auf den „dunklen und mühsamen Strecken“ seines Lebensweges. Zweifel spricht er nicht an. „Alle, denen ich irgendwie Unrecht getan habe, bitte ich von Herzen um Verzeihung“, schreibt er und bitte auch um das Gebet, „damit der Herr mich trotz all meiner Sünden und Unzulänglichkeiten in die ewigen Wohnungen einlässt“.
Das Testament ist 2006 verfasst. Ratzinger spricht damals schon von der „späten Stunde meines Lebens“. Knapp sieben Jahre wird er noch Papst sein, mehr als 16 Lebensjahre stehen ihm noch bevor. Einen Anlass zur Änderung scheint er nicht gesehen zu haben. Für ihn sind die beiden Gedanken zentral: der Dank und die Sorge um den Glauben. Joseph Ratzinger wollte mit seinem Wirken als Theologe, Bischof, Kardinal und Papst zur Festigung des Glaubens beitragen. Längst ist der Streit darüber entbrannt, ob ihm das gelungen ist oder nicht.
7 Kommentare
„Die Festigung des Glaubens ist ihm sicherlich nicht gelungen. Er ist stehen geblieben, fast wie bei einem Kinderglauben.“
Was für ein armer Mensch dieser Ratzinger war, der solch tragische Worte verfasst, die nichts geringeres schildern als sein eigenes Scheitern an der Wirklichkeit, die von Gott geschaffen ist, der sich seiner erbarmen möge.
RATZINGERS TÜBINGER TRAUMA ALS RETRAUMATISIERUNG
Joseph Ratzingers Mission und geistliches Vermächtnis erschließt sich am besten von seiner Sozialisation her. Er wuchs in einer liebevollen, zutiefst frommen FAMILIE auf, die allerdings häufig den Wohnort wechselte. Das hatte zur Folge, dass die Ratzingers kaum in lebensweltliche Bezüge wie Nachbarschaft, Vereine und Freunde vor Ort eingebunden waren und somit die Katholische Kirche zur eigentlichen Heimat wurde. Diese war vom nationalsozialistischen Mainstream angefeindet, was sich auch auf die Familie Ratzinger auswirkte.
Als Gendarm Ratzinger nach seiner Pensionierung 1937 nach einem zu kaufenden Haus Ausschau hielt, entschied er sich bewusst für ein altes Anwesen in dem kleinen Weiler HUFSCHLAG bei Traunstein, denn er sah den Krieg kommen, und er wollte keine Nazis als Nachbarn haben.
Für den 10-jährigen Joseph war Hufschlag bereits der vierte Wohnort. Mit zwölf Jahren trat er in das auf die Rekrutierung von Priestern ausgerichtete STUDIENSEMINAR ST. MICHAEL in Traunstein ein und erlebte hautnah den Abwehrkampf gegen die Gleichschaltungspolitik der nationalsozialistischen Machthaber mit. An seinem 14. Geburtstag musste er zwangsweise der HITLERJUGEND beitreten. Fortan wurden Gruppentreffen bevorzugt auf die Gebets- und Gottesdienstzeiten gelegt, bis dann nur wenige Monate später die Wehrmacht das Gebäude zum Lazarett umfunktionierte.
Sprung ins TÜBINGEN des Jahres 1969. Während sich der Dogmatiker Hans Küng mit dem Grundgesetz in der Hand in die Debatte mit den aufbegehrenden Studenten warf, war sein Kollege Joseph Ratzinger in höchstem Maße verschreckt. Er erlebte quasi zum zweiten Mal die GEFÄHRDUNG der katholisch-traditionellen Welt DURCH EINE INNERWELTLICHE HEILSIDEOLOGIE und floh in das, von den 68ern nicht heimgesuchte oberpfälzische Regensburg in die Nähe seiner Geschwister.
Die Bedrohung der christlich geprägten Zivilisation durch GOTTLOSIGKEIT wurde für Ratzinger zum Generalthema seines Lebens. Er spitzte dieses Thema 2005 bei der Predigt in der Messe für den zu wählenden römischen Papst auf die Begrifflichkeit einer „DIKTATUR DES RELATIVISMUS“ zu, der Jesus Christus als letztgültiges Maß entgegenzuhalten ist. Es war nicht zuletzt diese Programmatik, die Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. aus dem Konklave hervorgehen ließ.
Die Kehrseite von Ratzingers biographisch verankertem Narrativ des Kampfes der dem wahren Glauben Anhängenden gegen die BÖSE, VERDERBTE AUSSENWELT ist, dass er nicht mit dem allüberall wirkenden heiligen Geist rechnet, der positiv verändernde Kräfte freisetzt. So bleibt nur die Option einer zu konservierenden anachronistischen katholischen Tradition, die sich Neuem verschließt und immer mehr zum traditionalistischen Rückzugsbiotop all jener wird, die sich in einer gottlosen und dem Untergang geweihten Welt wähnen.
Ob ihm das gelungen ist oder nicht, darüber gibt es sicherlich kaum Streit. Er war von Beginn an umstritten und hat die Gräben zwischen der Amtskirche und ihren Gläubigen nur vertieft…
Wer ist „Amtskirche“? – der deutsche Episkopat etwa? Keine ängstlich-blass managerialen, bourgeois dotierten, verhalten medienaffinen und staatsnahen, mit zivilgesellschaflichem Ohr am Zeitgeist horchenden, sondern irgendwie kamphaushaften, in persönlichen Lebensumständen völlig freigeistig extrem bescheidenen Charismatiker? Was soll dieser Sprech, wie in anderem Kommentar „Stehengeblieben“ (hinterfragen Sie ihr kinematisches Progressideologem“) und „Kinderglauben“ (Matthäus 18,3)? Man liest es – und kann es irgendwie nicht mehr ertragen; ist das bestellt oder medial präfiguriert?
@Zufälliger Gastleser 06.01. 19:10
– Ihre Wortakrobatik in allen Ehren, ich halte es auch mit Matthäus, allerdings unter 23,9 wo Jesus sagt: „Und ihr sollt niemanden euren Vater (Pater, Padre, Papst) heißen auf Erden; denn nur EINER ist euer Vater, der im Himmel ist.“ Diese deutlichen Worte stellen den gesamten Priesteradel der „Amtskirche“ infrage, werden aber von diesem nicht gern zitiert. Überflüssig, die weiteren Verse Matthäus (23,8-11) zu zitieren, wo Jesus seinen Jüngern auch die Titel Rabbi und Lehrer explixit verweigert, weil sie nur ihm selbst und allein zukommen. Aber das wissen Sie ganz sicher, wollen es nur nicht erwähnen, oder ?
An einem Graben stehen sich zwei Seiten gegenüber. In den Äußerungen des verstorbenen Papstes findet man weniger Arroganz als in so mancher Kommentarspalte.
R.I.P.
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