Kirchen in der Krise und doch relevant
Vier Tage Kirchentag und fast niemand hat es gemerkt. Wer in diesen Tagen durch Frankfurt lief, dem konnte das durchaus passieren. Der 3. Ökumenische Kirchentag fand, von wenigen Gottesdiensten abgesehen, „digital und dezentral“ statt. Die Themenpalette war dennoch breit: von den kircheninternen Problemen, über aktuelle gesellschafts-politische Fragen bis zu spirituellen Angeboten mit Bibelarbeiten. Statt den über 100.000 Teilnehmenden, die zu Beginn der Planungen in Frankfurt erwartet wurden, haben nun rund 160.000 Menschen digital die Angebote des ÖKT genutzt. Statt 2.400 Veranstaltungen waren es am Ende knapp 100. Die politische Prominenz war dennoch zahlreich vertreten, ein Zeichen dafür dass die Politik den Kirchen trotz Krisen eine große Relevanz beimisst.
Eucharistische Gastfreundschaft
Ein kleiner Schritt für die Ökumene ein großer Schritt für die katholische Kirche war es, als am Samstagabend im Frankfurter Dom offiziell eucharistische Gastfreundschaft praktiziert wurde. Dort fand einer von vier konfessionellen Gottesdiensten statt, bei denen die Gläubigen der jeweils anderen Konfession zum Empfang der Eucharistie oder des Abendmahls eingeladen waren. Der Vatikan hatte im Vorfeld ein Veto eingelegt und theologische Bedenken angemeldet. Ortsbischof Georg Bätzing, zugleich Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, ließ sich davon nicht beirren. Er war als Teilnehmer bei dem Gottesdienst anwesend. Nicht dass damit etwas Neues erfunden worden wäre. Dass Evangelische die Kommunion empfangen, gehört in vielen Gemeinden zum Alltag. Doch mit dem ÖKT wurde diese Praxis erstmals öffentlich und mit bischöflicher Zustimmung praktiziert. Damit ist sie aus der Tabuzone heraus. Jetzt bleibt abzuwarten, was das für die weiteren Reformdebatten in Deutschland und den Dialog mit Rom bedeutet.
Für katholische Christen standen auch die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und der Zugang von Frauen zu allen kirchlichen Ämtern auf der Tagesordnung. Beide Kirchen mussten sich kritische Fragen zur Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt stellen lassen. Auf evangelischer Seite wurde Anfang der Woche die Arbeit des Betroffenenrats ausgesetzt. Im Streit um Kompetenzen und Arbeitsweisen hatten viele Mitglieder in den vergangenen Wochen den Betroffenenrat, der im Herbst vergangenen Jahres eingerichtet worden war, verlassen. Erneut wurde beim Kirchentag die Forderung laut, es müsse eine unabhängige Aufarbeitung in der Verantwortung des Staates geben.
Kirchen sollen Brücken bauen
Der ÖKT machte deutlich, dass die Kirchen nicht nur für Krise und innerkirchliche Debatten stehen, sondern dass sie Verantwortung übernehmen wollen in der Gesellschaft und sich am Diskurs über die aktuell brennenden Themen beteiligen möchten. Angesichts der zunehmenden Polarisierung sehen viele Politikerinnen und Politiker die Kirchen als Brückenbauer und entscheidende Player, wenn es um die Erneuerung des sozialen Kitts in Deutschland geht. „Wir müssen die Wunden heilen, die Corona in unserer Gesellschaft geschlagen hat“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor dem Abschlussgottesdienst am Sonntag in Frankfurt. Dieser Prozess werde länger dauern als die 15 Monate, die die Pandemie bereits andauert, fügte er hinzu.
Die Kirchen sind sich bewusst, dass sie die Rolle des Brückenbauers nur übernehmen können, wenn sie selbst intern und zwischen den Konfessionen Brücken bauen, wenn Abgrenzung einem Miteinander in versöhnter Verschiedenheit Platz macht. Hier haben die Kirchen allerdings selbst noch einen großen Weg vor sich. Und so mancher Bischof wirkte in den Tagen von Frankfurt eher ernüchtert, gar ratlos, wie dieser notwendige Brückenbau gelingen kann. Hier zeigt sich vielleicht wieder ein Manko des digitalen ÖKT. Wären zehntausende Gläubige mehrere Tage durch die Straßen gezogen, hätten gesungen, diskutiert und mit ihrer Lebensfreude andere angesteckt, wäre die Lethargie vielleicht abgefallen, die selbst Bischöfe befallen zu haben scheint. So bleiben am Ende zwiespältige Gefühle. Es war gut, den ÖKT nicht abzusagen. Eine richtige Aufbruchstimmung vermochte er als digitales Event aber auch nicht zu vermitteln.
4 Kommentare
Originalton des inzwischen unbedeutenden Kardinals Müller zur Eucharistischen Gastfreundschaft: „Das ist nicht katholisch.“ Anlass zur Diskussion ? Wohl eher nicht. Und zum Verhalten des Vatikan ist auch bereits alles gesagt worden. Franziskus als Erneuerer war eine lang gehegte, aber schliesslich enttäuschte Hoffnung…
Der sich für bedeutend haltende Kardinal Müller ist zu korrigieren. Er meint römisch-katholisch, noch dazu in lehramtlicher Engführung.
Das genuin katholische Prinzip des „et – et“ (sowohl – als auch) hat eine Weite, die viel Verschiedenes zulässt.
„Ein kleiner Schritt für die Ökumene ein großer Schritt für die katholische Kirche war es, als am Samstagabend im Frankfurter Dom offiziell eucharistische Gastfreundschaft praktiziert wurde.“
Ich bin Bischof Georg Bätzing sehr dankbar, dass er einen Kontrapunkt zu Rom setzte und dem schon lange angestrebten Anliegen des gemeinsamen Empfangs der Eucharistie quasi seinen Segen und damit einen öffentlichkeitswirksamen Stellenwert verlieh.
Ein zweiter wichtiger Punkt war für mich, dass eine Frau den katholischen Part der Predigt des Abschlussgottesdienst übernommen hat, die Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen, Sr. Dr. Katharina Ganz OSF. Sie fand klare Worte, die in Rom widerhallen sollten:
„Menschengemachte Ungerechtigkeiten beseitigen.
Einseitige männliche Herrschaft überwinden. …
Die Menschenrechte in den eigenen Reihen respektieren.
Frauen den Zugang zu allen Ämtern und Diensten ermöglichen.
Ein neues Miteinander zwischen den Geschlechtern und ökumenische Geschwisterlichkeit leben.“
Der Gläubigen werden immer mehr, die Roms Reformfähigkeit anzweifeln und ihr Glaubensleben in die eigene Hand nehmen.
@Erasmus 19.05. 00:59
– Gut zu lesen. Will die Kirche überleben, tut sie gut daran den Worten der Franziskanerin Taten folgen zu lassen…
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