Papst macht Jugend Mut

„Gemeinsam seid Ihr stark und könnt, ja sollt die Welt und die Kirche mitgestalten.“ So könnte man die Botschaft von Papst Franziskus an die Jugendlichen zusammenfassen. Nachzulesen in dem rund 60-seitigen Apostolischen Schreiben „Christus vivit – Christus lebt“. Darin fasst Franziskus seine Bilanz des synodalen Prozesses zum Thema „Jugend“ zusammen und gibt Grundkoordinaten für die kirchliche Jugendpastoral vor. Dabei steht für ihn nicht die kirchliche Lehre im Mittelpunkt, sondern die Frage, wie die Kirche jungen Menschen helfen kann, ihren Lebensweg zu finden. Zugleich wendet sich Franziskus über weite Strecken direkt an die jungen Menschen und ermutigt sie, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, sich ihrer Berufung zu stellen und trotz vieler Widrigkeiten dem Leben und dem Glauben positiv gegenüberzustehen. Wer ein Papier erwartet hat, mit dem der Papst die kirchliche Lehre und Moral reformiert, wird enttäuscht sein. Wer Franziskus und der Kirche zugesteht, dass Veränderungen in der katholischen Kirche Zeit brauchen, findet hier einen weiteren Baustein auf dem mühsamen Weg, den Tanker „katholische Kirche“ auf einen neuen Kurs zu bringen.

Kirche braucht epochale Reform

Franziskus lässt in dem ganzen Dokument nie einen Zweifel, dass die Kirche reformbedürftig ist. Er bittet Gott, „er möge die Kirche von denen befreien, die die Kirche alt machen, sie auf die Vergangenheit festnageln, bremsen und unbeweglich machen wollen“. Vor dem Hintergrund des Missbrauchsskandals stellt der Papst fest, „dieser dunkle Moment [kann] mit der unschätzbaren Hilfe junger Menschen tatsächlich eine Chance für eine Reform von epochaler Tragweite sein“. Mit dem Schreiben gibt Franziskus die Grundlinien dieser Veränderungen vor. Die Jugendlichen wünschen sich, so der Papst, eine Kirche, „die mehr zuhört und nicht ständig die Welt verdammt“. Sie wollten keine Kirche, „die immer mit zwei oder drei Themen, auf die sie fixiert ist, auf Kriegsfuß steht“. Interessant ist, dass Franziskus einmal mehr betont, dass die Kirche ihre Positionen auch verändern kann und muss. „Wenn sie auch die Wahrheit des Evangeliums besitzt, heißt das nicht, dass sie es in seiner Fülle verstanden hätte; sie muss vielmehr im Verständnis dieses unerschöpflichen Schatzes immer weiter wachsen.“

Zwar spricht er die strittigen Themen an, positioniert sich aber dabei nicht klar. Er spricht von „berechtigten Ansprüchen von Frauen, die größere Gerechtigkeit und Gleichheit verlangen“. Er macht sich die Aussage des Abschlussdokuments der Synode zu eigen, dass junge Menschen „den ausdrücklichen Wunsch [äußern] nach Auseinandersetzung mit der Frage zum Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Identität, zur Wechselseitigkeit/Reziprozität zwischen Mann und Frau und zur Homosexualität“. Er führt auch an, dass die Sexualmoral für junge Menschen oft unverständlich ist. Wie er selbst dazu steht, führt er nicht weiter aus. Eine der wenigen Festlegungen in diesem Kontext ist die Fokussierung bei der Paarbeziehung auf Mann und Frau.

Nicht nur Lehre und Moral predigen

Er warnt davor, die Jugendlichen mit „Unterweisungen“ über „die Übel der Welt von heute, die Kirche, christliche Soziallehre, Keuschheit, Ehe, Geburtenregelung und andere Themen“ zu langweilen. „Seien wir nicht so sehr darauf besessen, eine Menge an Lehrinhalten weiterzugeben, und versuchen wir vor allem, die großen Erfahrungen, die das christliche Leben tragen, hervorzurufen und zu festigen.“ Franziskus verschiebt also einmal mehr den Akzent, weg von der Fixierung auf wenige Themen. Das erinnert sehr an sein erstes Interview, in dem er eine neue Balance zwischen Moralthemen und sozialethischen Themen in der Kirche forderte. In seinem neuen Papier betont er, dass die Kirche den Jugendlichen zuhören und ihnen Raum bieten müsse, sich entwickeln zu können – und zwar auch den Jugendlichen, die nicht katholisch sind, ja auch den Nichtglaubenden. Es gehe darum, den jungen Menschen „Möglichkeiten [zu] bieten, wo sie uneigennützige Liebe und Förderung, Bejahung und Wachstum erfahren“.

Die jungen Menschen müssten in ihrer Freiheit respektiert werden, sie seien schließlich keine Kinder mehr, sollten aber begleitet werden. Wie das konkret aussehen kann, führt Franziskus in dem Schreiben aus; auch gibt er einige Hinweise, wie die Unterscheidung möglich sein kann, wenn junge Menschen auf der Suche nach ihrem Lebensweg sind. Dabei hat der Papst nicht nur die Kirche im Blick. Er brandmarkt die Ausgrenzung und auch Manipulation vieler junger Menschen durch Politik und Wirtschaft. Er verweist darauf, dass die Realität vieler Jugendlicher geprägt ist von Krieg, Armut und Ausbeutung. Franziskus kritisiert eine „ideologische Kolonisierung“ und fordert die Jugendlichen auf, ihren je eigenen Weg zu gehen und nicht zu Kopien von Moden zu werden. Mit den Worten eines jungen italienischen Heiligen warnt der Papst davor, „dass alle als Originale geboren werden, aber viele als Fotokopien sterben“. Er ermutigt die Jugendlichen, eine Familie zu gründen und sich durch der Hände Arbeit zu verwirklichen. Jeder solle auch für sich prüfen, ob ein geistlicher Beruf eine Option ist.

Mischt Euch ein

Das Papier ist durch und durch von einer positiven Sicht auf den Menschen und die Welt geprägt sowie von der Überzeugung, dass Gott alle Menschen liebt und dass jeder Christ aufgefordert ist, durch sein Leben Zeugnis zu geben. Die Jugendlichen fordert Franziskus auf, das Leben nicht „vom Balkon aus“ zu beobachten, sondern wie Jesus in das Leben einzutauchen. „Ich bitte euch, lasst nicht zu, dass andere die Hauptdarsteller der Veränderung sind! Ihr seid die, denen die Zukunft gehört!“ Die Jugendlichen sollten zu Konstrukteuren einer besseren Welt werden. „Kämpft auf jegliche Art für das Gemeinwohl, seid Diener der Armen, seid Protagonisten der Revolution der Liebe und des Dienstes, die fähig sind, den Pathologien des konsumistischen und oberflächlichen Individualismus entgegenzutreten.“

Im vorliegenden Papier zeigt sich Franziskus einmal mehr als Seelsorger. Er sieht die Herausforderungen, vor denen die jungen Menschen in Kirche und Welt stehen. Er mahnt beide Sphären zu Veränderungen und fordert einen aktiven Platz für die Jugendlichen. Wer sonst in der Welt erhebt seine Stimme für sie? Das Papier ist ein Appell an die Gewissen der Handelnden in Politik, Kirche, Wirtschaft und Gesellschaft. Neu für kirchliche Verhältnisse ist der Ton, mit dem Franziskus die Jugendlichen anspricht. Neu ist die Selbstkritik, dass die Kirche bisher die Jugendlichen oft zu wenig ernst nimmt und zu hohe Ansprüche an sie stellt. Problematisch ist, dass Franziskus gerade bei den kritischen Themen nicht klarer Position bezieht. Andererseits wird einmal mehr deutlich, dass er nicht in das Kleinklein der strittigen Themen abgleiten will, sondern Grundsätzliches abhandeln möchte. Er verweist an vielen Stellen auf seine anderen Apostolischen Schreiben Evanglii gaudium, Amoris Laetitia und Gaudete et exsultate. Damit fügen sich die Aussagen ein in die Vision der Kirche, die er in den vergangenen sieben Jahren wiederholt dargelegt hat; dieses Mal auf die junge Generation hin durchbuchstabiert.

Autorenbild

Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

6 Kommentare

  • Wanda
    03.04.2019, 0:58 Uhr.

    Franziskus bittet Gott, die Kirche von den Personen, die er als Ballast und Bremser etc. empfindet zu befreien ? Er als Papst hat es doch in der Hand ein Machtwort zu sprechen und all jene die sich schuldig bzw. mitschuldig gemacht haben in die Wüste zu schicken, wo sie kein Unheil mehr anrichten können.
    Was also soll das Rumeiern ?

  • Novalis
    03.04.2019, 16:01 Uhr.

    Ein gutes Dokument, dass die frohe Botschaft Jesu Christi auf eine angenehme und gewinnende Art verheutigt. Gut gemacht, Papst Franziskus! Sehr gut erkannt: Niemand braucht eine Kirche, die verurteilt. Diese Kirche ist gottlob gestorben mit dem Rücktritt des letzten Papstes. Dabei weiß jede*r, was ein*en Katholik*in/en ausmacht: Der Glaube und das Bekenntnis zum Nicaenum. Das ist seit 1700 Jahren bekannt und klar. Und mehr ist nicht notwendig.

    • Silberdistel
      04.04.2019, 10:17 Uhr.

      Novalis
      03.04., 16:01 h
      Naja das Christentum, nicht vielleicht der Katholizismus, reicht dann schon etwas weiter als bis zum Bekenntnis des Nicaenum oder etwa des Konzils von Nicäa. Welche erst die Verfolgung anderer Christen als Herätiker und Ketzer möglich gemacht hatten. Insofern erschließt sich vielleicht auch, warum Papst Franziskus von einer „epochalen Reform“ spricht. Beim Nicaenum ist wohl etwas substanzielles verloren gegangen, das sich bis dato als Skoliose der Kirche durchgereicht hat.

      • Novalis
        05.04.2019, 12:28 Uhr.

        Das Nicaenum ist hinreichend. Da steht unter anderen Thomas Aquinas für ein, der, wie Sie sicher wissen, nicht die unbedeutendste Rolle als Lehrautorität in der Kirche hat. Informieren Sie sich also bitte, ehe Sie Falsches schreiben.

      • Wanda
        08.04.2019, 18:28 Uhr.

        Angesichts der vielen und gravierenden Skandale und Fehlentwicklungen, die ihrem Heilsanspruch und der Ur-Idee des Nazareners diametral entgegenstehen, kann von der Amtskirche und ihren Spitzenrepräsentanten, einschliesslich der Päpste und nicht erst seit Franziskus, seit langem schon nur noch eine Art hilf- und konzeptloser Mängelverwaltung festgestellt werden.
        Das, wohlgemerkt, betrifft nicht die Gläubigen. Die hätten sehr wohl ihre Vorstellungen einer funktionierenden und humanen Glaubensgemeinschaft, nur werden sie vom obersten klerikalen Klüngel wohlweislich nicht gefragt und das wird wohl auch so bleiben. Wer sägt schon gern an dem Ast, auf dem er sitzt ?

  • Wanda
    11.04.2019, 18:52 Uhr.

    Ex-Papst Ratzinger hat sich in einem Aufsatz (in Rücksprache mit Franziskus wie er betont) zu den Missbrauchs- und Pädophilie-Skandalen in der Hl. Mutter Kirche geäussert und eindeutig die schnöde 68er-Welt da draussen als verantwortlich ausgemacht, auch wenn die meisten Täter vom Hl. Geist erleuchtete und erwählte Geistliche waren. Mit anderen Worten: die Institution Amtskirche war/ist wehrlos r den Vorgängen in der Gesellschaft ausgeliefert. Soweit der ehemalige Chef der Glaubenskongregation, dessen Aufgabe es ua. war, diese üblen Fälle zu untersuchen, zu einem abschliessenden Ergebnis zu bringen und die Täter zu benennen. Es mag jeder selbst beurteilen, ob er dieser Pflicht nachgekommen ist. Von den persönlichen angeblichen Vertuschungen in seiner Zeit als Kardinal mal abgesehen.
    – Was jedoch wesentlich schwerer wiegt ist (wenn es denn zutrifft), dass die Veröffentlichung dieses Aufsatzes in Abstimmung mit Papst Franziskus zustande gekommen ist.

Kommentare geschlossen

Dieser Beitrag kann nicht länger kommentiert werden.