Papst in den USA – Tag 4

25.9.2015: Gestern der US-Kongress, heute die UN-Vollversammlung – Papst Franziskus nutzt seine USA-Reise, um den Mächtigen der Welt ins Gewissen zu reden. Noch nie waren so viele Staats- und Regierungschefs bei einer Papstrede am Sitz der UNO anwesend wie heute. Franziskus nutzte die Gelegenheit und rief die Politiker auf, nicht zur zu reden und Papiere zu verfassen, sondern endlich auch zu handeln. Die Zeit drängt, mahnte der Papst eindringlich. Eine Zusammenfassung der Rede und erste Einordnung gibt es bei heute.de.  Bewegend war im Anschluss eine interreligiöse Feier am Ground Zero. Scharf verurteilte der Papst Gewalt, Hass und Zerstörung. Am Nachmittag besuchte er eine Schule in Harlem und traf sich mit Einwanderern. Zum Abschluss des Tages in New York feierte er mit rund 20.000 Menschen einen Gottesdienst im Madison Square Garden.

Typisch Franziskus?

Die UN-Rede des Papstes gehört sicher zu den großen politischen Reden von Franziskus. Sie war nicht besonders originell; aber sie ist eine konzentrierte Zusammenfassung seiner Vision für den Weg zu einer besseren, friedlicheren und gerechteren Welt. Die Rede heute war eher im Franziskus-Stil als die Kongress-Rede gestern. Da wirkte er doch sehr gebremst. Sicherlich verstärkte sich dieser Eindruck noch durch den Vortrag: gestern in einem, zwar gut geübten, Englisch, heute in der Muttersprache Spanisch. Aber heute fanden sich dann wieder mehr dieser typischen Franziskus-Formulierungen: die „erstickende Unterwerfung durch Kreditsysteme“, die die ärmeren Länder aus seiner Sicht ausgesetzt sind, die Wegwerfkultur, die „unverantwortliche Zügellosigkeit der allein von Gewinn- und Machtstreben geleiteten Weltwirtschaft“.

Es waren die Themen, die Franziskus am Herzen liegen: Umwelt, der Mensch im Zentrum allen Handelns, der Primat der Politik über Wirtschaft, globale Gerechtigkeit und vor allem gleiche Rechte für alle – auch die Armen und die ärmeren Länder – sprich Ausgrenzung. Eindringlich sein Appell, dass echter Frieden nicht durch Abschreckung erreicht werden kann. Es erinnerte an die Worte von Papst Paul VI., dass Frieden nicht einfach die Abwesenheit von Krieg ist. Franziskus: „Eine Ethik und ein Recht, die auf der Bedrohung gegenseitiger Zerstörung – und möglicherweise einer Zerstörung der gesamten Menschheit – beruhen, sind widersprüchlich und stellen einen Betrug am gesamten Gefüge der Vereinten Nationen dar, die zu einer ‚Vereinigung von Nationen aufgrund von Furcht und Misstrauen‘ würden.“

Abschaffung der Atomwaffen

Vor einigen Wochen war der Papst in einer italienischen Tageszeitung scharf angegriffen worden, weil er am Gedenktag von Hiroshima gefordert hatte, Atom- und Massenvernichtungswaffen zu ächten. Damit habe Franziskus bewiesen, wie realitätsfern er sei, denn gerade die Abschreckung habe zu einem Gleichgewicht der Kräfte geführt und schlimmere Kriege verhindert. Franziskus ließ sich von der Kritik nicht beeindrucken und forderte jetzt nicht nur die Ächtung, sondern sogar die Abschaffung der Atomwaffen.

Vatikansprecher Federico Lombardi erklärte, dass Vertreter der Volksbewegungen, die Franziskus im Juli bei seinem Besuch in Bolivien getroffen hatte, dem Papst eine Aufstellung von Anliegen mitgegeben hatten, damit dieser sie in der UN-Vollversammlung vortragen solle. Einige dieser Punkte seien in die Rede eingeflossen. Allerdings hatte sich bei dem Treffen in Santa Cruz de la Sierra gezeigt, dass der Papst und die Volksbewegungen in vielen Punkten  ähnliche Positionen vertreten.

Emotionale Rede an Ground Zero

Bewegend war der Besuch von Papst Franziskus an Ground Zero und die interreligiöser Feier dort. Er hielt eine sehr emotionale Rede. Darin würdigte er die Opfer und die Solidarität der New Yorker untereinander nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Er hoffe zudem, dass von der interreligiösen Feier ein Zeichen der Versöhnung und des Friedens ausgehe. Bei der Feier trugen Juden, Muslime, Vertreter asiatischer Religionen Gebete und Texte vor. Ein Jugendchor sang zum Schluss: „Lass Frieden sein auf Erden … und lass ihn bei mir beginnen. Danach tauschten die Teilnehmer den Friedensgruß aus. Die Rede des Papstes ist ein weiteres Beispiel dafür, dass es  Franziskus gelingt, das Unaussprechliche in Worte zu fassen.

Weniger das Wort als mehr die Geste stand am Nachmittag im Vordergrund, als Franziskus eine Schule in Harlem besuchte, in der Kinder von Einwandererfamilien unterrichtet werden. Der 78-Jährige ließ sich von den Kindern Spiele erklären und sprach mit Eltern und Lehrern. Danach nahm er ein Bad in der Menge. 80.000 säumten nach offiziellen Angaben die Strecke des Papamobils im Central Park.

Gott in der Stadt

20.000 erwarteten Franziskus zum Abschluss des Tages im Madison Square Garden zur Messe – dort, wo sonst Basketballer um Punkte kämpfen und berühmte Popstars auftreten. Franziskus meditierte in seiner Predigt über die Kirche in Großstädten. Er zeigte die Ambivalenz der Großstädte auf: Einerseits wiesen sie auf „die verborgenen Schätze in unserer Welt hin: auf die Verschiedenheit der Kulturen, Traditionen und historischen Erfahrungen; auf die Vielfalt der Sprachen, Kleider, Speisen“. Andererseits, so Franziskus, „die Großstädte verbergen ihrerseits die Gesichter all jener Menschen, die scheinbar keine Bürgerschaft haben oder Bürger zweiter Klasse sind“. Allerdings gelte: Auch mitten im Smog der Großstadt könne man Gott erkennen. Die Kirche lebte in den Städten und wolle wie Hefe im Teig sein. Er rief die Gläubigen auf, ihren Glauben selbstbewusst in der Stadt zu leben: „Geht hinaus und verkündet, geht hinaus und zeigt durch euer Leben, dass Gott in eurer Mitte ist als barmherziger Vater.“ Zwei Begriffe sind für ihn dabei zentral: Barmherzigkeit und Begegnung – zwei Schlüsselbegriffe des Pontifikats. In seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires, einer Megastadt mit rund 20 Millionen Bewohnern, inklusive der Außenbezirke, war für Bergoglio die Großstadtseelsorge ein wichtiges Thema.

Der Besuch von Papst Franziskus in New York ist damit schon beinahe Geschichte. Am Samstagmorgen Ortszeit geht es weiter nach Philadelphia. Dort wird Franziskus beim Weltfamilientreffen noch Gelegenheit haben, zum Thema Ehe und Familie zu sprechen. Es ist zu spüren, dass es einerseits zwar eine große Freude hier gibt über den Papst und den Besuch. Gleichzeitig merkt man aber auch, dass einige konservative Kreise mit den bisherigen Ansprachen nicht zufrieden sind. Sie wünschten, dass der Papst ausführlicher zu Moralfragen Stellung bezieht. In den Gesprächen hier drängt sich allerdings immer wieder die Frage auf, wie groß diese Gruppe der Konservativen in den USA wirklich zahlenmäßig ist. Medial sind sie sehr präsent, vor allem im Internet und den sozialen Medien. Aber kann man daraus auf ihre wirkliche Zahl rückschließen?

Autorenbild

Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.