Papst in der Kritik

Im Vatikan ist noch Sommerpause. Es gibt nur wenige Papstauftritte und doch sorgt Franziskus gerade dabei für Sprengstoff – zumindest in Italien. Seine Aufforderung, Nuklear- und Massenvernichtungswaffen zu ächten, kommentierte die rechte Tageszeitung „Il Giornale“ aus dem Hause Berlusconi in dieser Woche mit scharfen Worten. Von einem selbstverliebten und exhibitionistischen Papst war da die Rede, der bisweilen Dummheiten von sich gebe und der Kirche schade. Zeitgleich eskalierte ein verbaler Schlagabtausch zwischen der italienischen Bischofskonferenz und der rechten Partei Lega-Nord, bei dem es letzten Endes um die Position des Papstes zu Flüchtlingen geht. Der Papst selbst bereitet sich unterdessen auf einen anstrengenden Herbst vor: zunächst Mitte September die Reise nach Kuba und in die USA, danach dann gleich die Synode zu „Ehe und Familie“. Im November heißt es dann etwas durchatmen, bevor Ende November die Reise nach Afrika ansteht und unmittelbar danach am 8. Dezember das Außerordentliche Heilige Jahr der Barmherzigkeit beginnt.

Schadet der Papst der Kirche?

Dieser Frontalangriff ließ schon aufhorchen, den der Leitartikler von „Il Giornale“  am Mittwoch in Richtung Franziskus machte. Er wolle zwar nicht sagen, dass sich die Prophezeiung des Nostradamus verwirkliche, „der vorhergesagt hat, dass ein ‚Papst der Gesellschaft‘ (also ein Jesuit), die Kirche zerstören werde. Aber wir sind nicht weit davon entfernt.“ In früheren Zeiten, als fast kein Blatt zwischen den Heiligen Stuhl unter der Leitung eines Kardinalstaatssekretärs Tarcisio Bertone und die Rechten in Italiens Politik inklusive der Forza Italia Silvio Berlusconis passte, wäre ein solcher Kommentar in einem Berlusconi-Blatt nahezu undenkbar gewesen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Dabei entzündete sich die Kritik des Leitartiklers Piero Ostellino an einer Aussage, die so auch schon die Vorgänger von Franziskus gemacht haben: Weg mit den Nuklear- und Massenvernichtungswaffen. Das hatte der Papst vergangenen Sonntag beim Gedenken an die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki vor 70 Jahren gefordert.

Der Vorgang zeigt, dass es eine große Verunsicherung in der Rechten gibt, weil dieser Papst sich nicht so eindeutig zuordnen lässt. Mit seiner Kritik am Kapitalismus und ganz konkret am Umgang mit Flüchtlingen, gießt er Wasser auf die Mühlen der Linken. Daher gibt es auch seit Tagen immer wieder Angriffe der rechten Lega-Nord auf den Papst und die katholischen Bischöfe. Der Lega-Nord-Politiker und Präsident der italienischen Region Venetien, Luca Zaia, kritisierte die ständigen Appelle des Papstes zur Aufnahme von Flüchtlingen: „Vielleicht hat dem Papst noch niemand erklärt, dass zwei von dreien gar keine Flüchtlinge sind.“ Franziskus solle sich nicht nur bei den Bischöfen informieren, die ständig die bedingungslose Aufnahme von Flüchtlingen forderten, sondern bei den Pfarrern, die vor Ort die dabei entstehenden Probleme erlebten. Er stellte zudem die Frage, ob die Kirche selbst genug für Migranten tue und nannte ein Beispiel in Treviso, wo Kirchenvertreter die Nutzung eines leerstehenden Seminars für Flüchtlinge abgelehnt hätten.

Klare Worte der Bischofskonferenz

Zaia reagierte auch auf die Kritik des Generalsekretärs der Italienischen Bischofskonferenz, Bischof Nunzio Galantino, der der Lega Nord vorgeworfen hatte, als „billige Marktschreier“ mit „geistlosen“ Äußerungen zur Einwanderung auf Stimmenfang zu gehen. Mitte der Woche legte Galantino dann noch einmal nach und griff in einem Interview der Onlineausgabe der Wochenzeitung Famiglia Cristiana die Regierung an. Die Regierung sei in Bezug auf die Migranten abwesend, es reiche nicht aus, die Flüchtlinge aus dem Meer zu retten, um das nationale Gewissen zu beruhigen. Man müsse die Flüchtlinge auch in der Gesellschaft aufnehmen. Dabei könne man etwa von Deutschland lernen, so Galantino. Das Interview wurde zwar später von der Zeitschrift wieder zurückgezogen mit dem Hinweis, es habe sich in den Passagen zu politischen Fragen um vertrauliche Gesprächsinhalte gehandelt. Doch die Vorwürfe waren nun einmal in der Welt.

Prompt kam die Antwort der Lega Nord. Lega Chef Marco Salvini konterte mit der Aussage: „Ich kritisiere nicht die Kirche, aber die, die in ihrem Namen im Delirium reden oder Geschäfte machen.“ Salvini hatte in den vergangenen Wochen über Twitter mehrfach Aussagen des Papstes ironisch und kritisch kommentiert. Mit der Geschäftemacherei spielt er auf ein Thema an, das in Italien seit langer Zeit schwelt. Kritiker werfen der Kirche vor, dass sie, anders als etwa von Papst Franziskus gefordert, ihre Immobilien lieber als Pensionen und Hotels einsetze denn als Flüchtlingsunterkünfte. Italienische Medien berichteten gestern, dass ein Viertel der Hotel- und Pensionsbetriebe in Rom in kirchlicher Hand sei. Für etwa 40 Prozent davon werde keine Grundsteuer gezahlt. Ende Juli hatte das oberste Gericht Italiens an der Steuerbefreiung kirchlicher Schulen gekratzt und zwei katholische Schulen zur Nachzahlung der Grundsteuer verurteilt. Bischof Galantino hatte damals von einer „ideologischen Entscheidung“ gesprochen.

Entweltlichung

Der Ton wird rauer. Die Kirche in Italien, wie auch in anderen Ländern, wird immer mehr kritisch angefragt und muss sich an den eigenen Taten messen lassen. Auf alte Privilegien zu pochen, hilft nicht weiter. Von Privilegien befreit, lässt sich auch befreiter die eigene kritische Position vertreten. Die berühmte Freiburger Rede Benedikts XVI. lässt grüßen. Die verbalen Gefechte der vergangenen Woche sind ein Zeichen dafür, dass auch im Bereich des Politischen unter Franziskus das, was früher als selbstverständlich erschien, nicht mehr gilt. Es entstehen  neue Brüche und neue Koalitionen. Auffallend ist übrigens, dass sich in den aktuellen Debatten nicht der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, äußert, sondern immer der Generalsekretär Galantino. Bagnasco ist unter Franziskus weitestgehend verstummt, während Galantino, den der Papst sehr schätzt, zu einer zentralen Figur in der italienischen Kirche geworden ist.

Premiere

Heute gab es im Vatikan eine kleine Premiere. Erstmals seit 61 Jahren hat ein Papst an Mariä Himmelfahrt ein Mittagsgebet auf dem Petersplatz abgehalten. Die Vorgänger von Franziskus waren an diesem Tag immer in Castel Gandolfo im Rahmen ihrer Sommeraufenthalte in den Albaner Bergen. Sie feierten dort am Morgen einen Gottesdienst in der Pfarreikirche und beteten dann vom Papstpalast aus mit den Gläubigen den Angelus. 2013 verbrachte Franziskus an Mariä Himmelfahrt einen Tag in Castel Gandolfo und absolvierte das „traditionelle Papstprogramm“ für diesen Tag mit öffentlichem Gottesdienst und Angelus. 2014 war er an diesem Tag auf Reisen in Südkorea. Papst Pius XII. hatte just an Mariä Himmelfahrt 1954 erstmals einen Angelus öffentlich gebetet, in Castel Gandolfo.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.