Papst Franziskus in der Türkei – Tag 3

Der dritte Tag stand fast ganz im Zeichen der Ökumene. Papst Franziskus machte den Orthodoxen ein „Einheitsangebot“. Er betonte, Einheit bedeute weder, „einander zu unterwerfen noch einzuverleiben“. Die katholische Kirche werde keine andere Forderung stellen, als gemeinsamen den  Glauben zu bezeugen und sich auf die Dinge zu besinnen, die für das erste Jahrtausend galten, also die Zeit vor dem großen Schisma zwischen Ost und West. Am Nachmittag forderte Franziskus bei einer Begegnung mit Flüchtlingen noch einmal mehr Einsatz der internationalen Gemeinschaft zur Lösung der Konflikte als Ursache der Migration. Auf dem Rückflug von Istanbul nach Rom stellte er sich rund 45 Minuten den Fragen der mitreisenden Journalisten.

Versöhnungsangebot an die Orthodoxie

Franziskus zeigt sich forsch und demütig zugleich. Demütig war gestern die Segensbitte an das Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, Patriarch Bartholomaios I. Etwas forsch war heute seine Ansprache am Ende der Göttlichen Liturgie aus Anlass des Andreasfestes in der orthodoxen Georgskathedrale in Istanbul. Zunächst erinnert er, dass das II. Vatikanische Konzil in seinem Ökumenismusdekret „Unitatis Redintegratio“ ja festgestellt habe, dass die orthodoxen Kirchen „wahre Sakramente besitzen, vor allem aber in der Kraft der apostolischen Sukzession  das Priestertum und die Eucharistie. Wodurch sie in ganz enger Verwandtschaft bis heute mit uns verbunden sind“. Für Franziskus scheint die Einheit schon recht greifbar nah zu sein. Er verzichtet mit seinem Hinweis auf die Lehre und Erfahrung das erste Jahrtausend als Grundlage der Gespräche auf den Jurisdiktionsprimat bei einer Einheit mit den orthodoxen Kirchen. Er nimmt für sich lediglich den „Primat der Liebe“ in Anspruch.

Den Gedanken mit der Besinnung auf das erste Jahrtausend hatte in früheren Jahren auch immer der Theologe und Kardinal Joseph Ratzinger als eine Möglichkeit für die Lösung des Problems mit den Orthodoxen ins Spiel gebracht. Schon Johannes Paul II. hatte in seiner Enzyklika Ut unum sint die anderen christlichen Kirchen aufgefordert, in einen Dialog über das Papstamt einzutreten. Benedikt XVI. hat dies bei seinem Besuch in Istanbul beim Andreasfest 2006 wiederholt. In den letzten Jahren hat sich die katholisch-orthodoxe Theologenkommission mit dem Thema befasst. Allerdings kam man bei der letzten Sitzung im Sommer dieses Jahres nicht zu einer Einigung. Vor allem die Russisch-orthodoxe Kirche war mit dem erarbeiteten Text nicht einverstanden. Franziskus erklärte bei der Pressekonferenz auf dem Rückflug, dass er bei seiner Begegnung mit dem „Außenminister“ der russisch-orthodoxen Patriarchen, Metropolit Hilarion, am Rande der Synode über das Thema Primat gesprochen habe. Ob er die Bedenken Moskaus gegen die aktuelle theologische Debatte ausräumen konnte, ist bisher nicht bekannt.

Ökumene ist mehr als Theologie

Eine andere Sorge der Orthodoxen entkräftete Franziskus bei der fliegenden Pressekonferenz: Der Unionismus sei ein Thema einer anderen Epoche gewesen. Das lehnt er als Einheitsmodell also ab. Auf die Frage, ob er angesichts der starken Gesten und Worte in Istanbul keine Verstimmung mit Moskau befürchte, ging Franziskus nicht näher ein. Er sagte lediglich, Patriarch Kyrill und er wollten beide ein Treffen. Allerdings sei diese Frage angesichts der aktuellen Entwicklungen, unter anderem in der Ukraine, etwas in den Hintergrund getreten.

Deutlich wurde an diesem Wochenende in Istanbul einmal mehr, dass die Menschen angesichts der in vielen Regionen immer schwieriger werdenden Situation für Christen diese nicht warten können, bis auf einem theologischen Weg eine Einheit erzielt worden ist. Bei der PK erklärte Franziskus, „wenn wir auf die Theologen warten, werden wir die Einheit nie erreichen“. Die Einheit sei vielmehr ein Weg, auf dem man gemeinsam unterwegs sei. Es gehe um eine geistliche Ökumene, um gemeinsames Beten, gemeinsames Arbeiten und gemeinsames Voranschreiten. Der Papst erzählte eine Begebenheit aus seiner Zeit in Deutschland Mitte der 1980er Jahre. Damals sei er zu einer Taufe in Hamburg gewesen. Ein Pfarrer habe ihm erzählt, dass er am Seligsprechungsverfahren arbeite für einen Priester, der von den Nazis getötet wurde. Das mit diesem aber auch ein protestantischer Pastor ermordet worden sei. Der Pfarrer habe zu seinem Bischof gesagt, dass er die Causa nur voranbringen werde, wenn er sie für beide machen könne. „Das ist die Ökumene des Blutes, die uns so sehr hilft“, so Franziskus. Bereits am Vormittag hatte der Papst selbskritisch festgstellt: Wie können wir im Übrigen die Botschaft des Friedens verkünden, der von Christus kommt, wenn es zwischen uns weiterhin Rivalität und Streitigkeiten gibt?“

An Christenverfolgung erinnert

„Wir können uns den Luxus eines isolierten Handelns nichtmehr leisten. Die heutigen Christenverfolger fragen nicht, welcher Kirche ihre Opfer angehören“, erklärte am Morgen Patriarch Bartholomaios in seiner Ansprache. Die Verfolgung von Christen sowie die aktuellen Krisen und Kriege, unter denen auch viele Christen leiden, waren heute mehrfach Thema. In einer gemeinsamen Erklärung stellten Papst und Patriarch fest: „Wir können uns nicht abfinden mit einem Nahen Osten ohne die Christen.“ Sie forderten eine „geeignete Reaktion der internationalen Gemeinschaft“. Die nahm Papst Franziskus am Nachmittag auch in den Blick, als er rund 100 jugendliche Flüchtlinge traf. „Die erniedrigenden Bedingungen, unter denen viele Flüchtlinge leben müssen, sind untragbar!“ Er appellierte an die Politik, zu einer „größeren internationalen Übereinstimmung“ zu kommen, um die Konflikte zu lösen, die Ursache von Migration sind. Bei der Pressekonferenz erklärte er erneut, dass er bereit sei, in den Irak zu reisen. Allerdings sei aktuell nicht die Zeit dafür, da eine solche Reise die Autoritäten dort in große Schwierigkeiten bringen würde, auch wegen der Sicherheit. Am Vormittag hatte er in seiner Ansprache beim Andreasfest Armut, wachsende Arbeitslosigkeit und die Zunahme sozialer Ausgrenzung als mögliche Ursachen für kriminelle Aktivitäten und die „Rekrutierung von Terroristen“ ausgemacht.

Islam ist nicht gleich Terrorismus

Bei der Pressekonferenz ging Papst Franziskus auch auf das Thema Islamophobie ein. Angesichts der terroristischen Akte nicht nur im Irak und in Syrien sondern auch in Afrika gebe es Reaktionen, die sagten, wenn das Islam ist, dann rege ich mich darüber auf. Und viele Muslime fühlten sich dadurch angegriffen und sagten, dass sie nicht so seien, dass der Koran ein Buch des Friedens sei, dass das nicht muslimisch sei. Das verstehe ich. Ich glaube, man kann nicht sagen, dass alle Muslime Terroristen sind. Wie man auch nicht sagen, kann, dass alle Christen Fundamentalisten sind, auch wenn es welche gibt. Er habe beim Gespräch mit Präsident Erdogan gesagt, dass es gut wäre, wenn alle islamischen Leader, in der Politik, Religion und Wissenschaft, gemeinsam klar dies verurteilen würden. „Das würde dem großen Teil der islamischen Welt helfen. Wir brauchen eine weltweite Verurteilung: ‚Wir sind nicht so. Der Koran ist nicht so!‘“

Zu dem Moment der Stille in der Blauen Mosche erklärte Franziskus, er habe für die Türkei, vor allem aber für Frieden gebetet – und für sich. Schließlich sei er nicht als Tourist in die Türkei gekommen sondern als Pilger. Was den interreligiösen Dialog anbetreffe, scheine es, als sei er an einem Ende angekommen. Franziskus sprach von einem qualitativen Fortschritt, den der Dialog machen müsse, ohne dies näher zu erläutern. Am Freitag hatte er schon mehr Kreativität bei den Formen des Dialogs gefordert. Doch welche neuen Wege er beschreiten will, sagte er nicht.

Zum Abschluss der Pressekonferenz streifte Franziskus noch kurz ein politisches Thema. Angesprochen darauf, warum er während seines Aufenthalts in der Türkei nicht über das Schicksal der Armenier gesprochen habe, stellte er fest, dass er sich eine Öffnung der Grenze zwischen Armenien und der Türkei wünschen würde. Er sei sich zwar bewusst, dass es geopolitische Probleme gebe. „Doch wir müssen beten für die Aussöhnung dieses Volkes“, so Franziskus.

Mann des Dialogs

Dialog, Begegnung, Gespräch – das sind die Grundprinzipien im Pontifikat von Papst Franziskus. Das zeigte sich einmal mehr bei der Reise in die Türkei. „Ein echter Dialog ist immer eine Begegnung zwischen Menschen mit einem Namen, einem Gesicht, einer Geschichte und nicht nur eine Auseinandersetzung von Ideen“, so der Papst bei der Göttlichen Liturgie am Sonntagvormittag. Er versteht sich als Pontifex, als Brückenbauer. Ob die Angebote und Vorschläge, die er macht, bis ins Ende durchgedacht sind, ist für Franziskus zweitrangig. Für ihn ist der Weg bereits ein Ziel. Wenn es ihm so gelingt, abgerissene Gesprächsfäden wieder aufzugreifen oder dünne Gesprächsfäden zu stärken, dann könnte seine „Politik“ zum Erfolg führen.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.