Endspurt in Münster

Das Rennen ist eröffnet. Wer soll es aber morgen richten? So offen wie dieses Mal war die Wahl des neuen Vorsitzenden der Bischofskonferenz schon lange nicht mehr. Zumindest wenn man den Bischöfen Glauben schenken darf. Vielleicht hat ja die Generaldebatte heute Vormittag etwas Klarheit gebracht. Zweieinhalb Stunden diskutierten die Bischöfe über die Situation der Kirche in Deutschland. Dabei ging es auch um die Bischofskonferenz selbst. Der scheidende Vorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch, ließ am Montagmittag gegenüber Journalisten durchblicken, dass er sich durchaus mehr Solidarität unter Bischöfen wünsche. Er habe in seiner sechsjährigen Amtszeit die Erfahrung machen müssen, dass die Verbindlichkeit gemeinsamer Beschlüsse mitunter als Gegensatz zur Autonomie des einzelnen Bischofs gesehen wurde.

Mehr Macht für die Bischofskonferenz?

Die fehlende Verbindlichkeit ist ein Problem für den Vorsitzenden. Der hat keine Weisungsbefugnis, sondern ist ein Moderator und idealerweise ein Brückenbauer zwischen den oft sehr divergierenden Positionen innerhalb der Bischofskonferenz. Wie das zusammen geht mit der Vorstellung des Papstes, den Bischofskonferenzen mehr Autorität zukommen zu lassen, ist eine spannende Frage. Denn dafür müssen sich die Bischöfe einig sein und auch an Beschlüsse halten. Das ist in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen. Auch gibt es eine Reihe von Bischöfen, die sich kein „deutsches Kirchenoberhaupt“ wünschen, das omnipräsent in der Öffentlichkeit der katholischen Kirche ein Gesicht gibt. Argwöhnisch werden untereinander Auftritte im Fernsehen und Zeitungsinterviews beäugt. Sofort steht der Verdacht im Raum, der entsprechende Bischofskollege wolle sich profilieren.

Statt sich auf eine Diskussion einzulassen, wird bisweilen scharf in einschlägigen katholischen Medien Kontra gegeben. Diese Erfahrung musste jüngst der Trierer Bischof Stephan Ackermann machen. Nach einem Zeitungsinterview, in dem er über Veränderungen in der Sexualmoral nachdachte, musste er sich scharfe Kritik seiner Kollegen Algermissen, Zdarsa und Ipolt anhören. Der sonst eher zurückhaltende Magdeburger Bischof Gerhard Feige sah sich daraufhin bemüßigt, seine Mitbrüder zur Raison zu rufen. Er halte es für unangebracht, wenn Bischöfe sich über die Medien vorführen und gegeneinander aufbringen lassen, so Feige gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur.

Die Kandidaten: Ackermann und Bode

Das Interview hat die Chancen von Bischof Ackermann auf den Posten des Vorsitzenden sicher nicht befördert. Der Trierer Bischof gehört zu den Kandidaten, die hier in Münster immer wieder genannt werden. Der 50-Jährige hat sich als Missbrauchsbeauftragter der Bischofskonferenz einen Namen gemacht. Allerdings wird seine Arbeit von einigen Bischofskollegen durchaus kritisch gesehen, weil er aus ihrer Sicht die Arbeit zu offensiv angegangen ist. In seinem Bistum ist Ackermann beliebt. Er setzt auf Dialog und hat im Dezember eine Diözesansynode gestartet, die ihn bei der künftigen Ausrichtung seiner Arbeit beraten soll.

Dem Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode werden mit die größten Chancen zugesprochen, Zollitsch als Vorsitzender nachzufolgen. Der 63-Jährige ist seit fast 20 Jahren Bischof in Osnabrück und bringt viel Erfahrung mit. Als langjähriger Jugendbischof hatte er für die Probleme der jungen Katholiken stets ein offenes Ohr und erwarb sich ein hohes Ansehen. Konservative Vertreter wie Kardinal Joachim Meisner sahen das stets kritisch. Seit 2010 ist er in der Bischofskonferenz Chef der Pastoralkommission und gilt als Brückenbauer innerhalb der Kirche, aber auch zwischen Kirche und Gesellschaft.

Genn und Koch

Der Münsteraner Bischof Felix Genn ist ein sehr spiritueller Mensch. Er verteidigt bei Zölibat und Frauenpriestertum die traditionelle Lehre. Gesellschaftspolitisch schlug der 64-Jährige bisher eher leise Töne an. Genn wird von den eher konservativen Kreisen um Kardinal Joachim Meisner als idealer Kandidat für den Vorsitz gesehen. Er ist seit wenigen Monaten Mitglied der Bischofskongregation im Vatikan, die über einen großen Teil der Bischofsernennungen weltweit mitbestimmt.

Der Dresdner Bischof Heiner Koch ist bisher in der Bischofskonferenz kaum aufgefallen. Er gilt als guter Manager. Koch war Cheforganisator des Weltjugendtags 2005 in Köln. Als Rheinländer feiert er gerne Karneval. Der 59-Jährige gehört eher zum konservativen Flügel, gilt als Vermittler und sucht das Gespräch mit Kritikern und der säkularen Welt. Er ist 2016 Gastgeber des Katholikentags in Leipzig. Dort hat er auch den größten Kirchenneubau in den neuen Bundesländern seit 1990 gestartet: die Propsteikirche.

Marx und Overbeck

Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx gehört als Mitglied des achtköpfigen Kardinalsrat, der den Papst berät, zu den mächtigsten Männer der katholischen Kirche. Der 60-Jährige ist zudem Präsident der Kommission der EU-Bischofskonferenzen und seit Samstag Koordinator des neuen Wirtschaftsrats im Vatikan. Marx ist ein profilierter Sozialethiker, in Fragen der kirchlichen Lehre aber eher konservativ. Einige seiner Bischofskollegen sehen den Drang Marx‘ in die erste Reihe kritisch.

Der Essener Bischof Franz Josef Overbeck galt lange Zeit als Vertreter einer konservativen Linie. In der letzten Zeit fällt der 49-Jährige allerdings durch neue Töne auf. So forderte er etwa bei den Themen wiederverheiratete Geschiedene und gleichgeschlechtliche Partnerschaften die Kirche zum Umdenken auf. In seinem Bistum führte er einen groß angelegten Dialogprozess durch und suchte das Gespräch mit kritischen Theologen.

Schick und Woelki

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick genießt als „Außenminister“ der Bischofskonferenz in der deutschen Kirche und international großes Ansehen. Früher fiel der 64-Jährige durchaus auch mit überraschenden Forderungen auf, wenn er etwa den Pflichtzölibat in Frage stellte. In letzter Zeit sind solche Aussagen eher selten geworden. Manche Bischofskollegen sehen darin Farblosigkeit, andere die Fähigkeit zum Brückenbauen.

Als der Berliner Erzbischof, Rainer Maria Kardinal Woelki, 2011 sein Amt antrat, stempelte ihn die Presse als konservativen Ziehsohn des Kölner Kardinals Meisner ab. Doch der 57-Jährige emanzipierte sich schnell. Symptomatisch sein Treffen mit dem Berliner Schwulen- und Lesbenverband. Statt in die Bischofswohnung bei der Kathedrale zog er ins Arbeiterviertel Wedding und ließ jüngst erkennen, dass auch er in Moralfragen Änderungen für möglich hält. Am Dienstagmorgen fiel er mir einer flammenden Predigt beim Morgengottesdienst der Bischofskonferenz auf. Darin verurteilte er scharf „aktive Sterbehilfe“. Einige Gottesdienstbesucher applaudierten spontan am Ende der Predigt.

Gibt es am Ende eine Überraschung?

Einige Beobachter meinten nach dem Gottesdienst, er scheint es doch zu können; auch wenn Woelki mehrfach zu verstehen gegeben hat, dass er das Amt des Vorsitzenden nicht will. Ob er dann am Ende wirklich ablehnen würde, falls die Wahl auf ihn fällt, ist ungewiss. Glaubt man den Medien, läuft es auf ein Duell zwischen Marx und Bode hinaus. Allerdings fällt auch der Name Genn immer wieder. Der würde sich für eine Verschlankung der Strukturen der Bischofskonferenz einsetzen. Damit könnte er durchaus die Stimmen einer ganzen Reihe von Bischöfen bekommen, die das Sekretariat in Bonn als zu mächtig ansehen. Ob übrigens der langjährige Sekretär der Bischofskonferenz, Jesuitenpater Hans Langendörfer, für eine weitere Amtszeit zur Verfügung steht, scheint nicht ganz so selbstverständlich, wie der scheidende Vorsitzende Zollitsch gestern beim Pressetermin zu Beginn der Vollversammlung glauben machen wollte.

Am Ende könnte es auch eine Überraschung geben. Ähnlich wie bei der ersten Wahl von Karl Lehmann 1987. Zwar war Lehmann damals schon zwei Jahre stellvertretender Vorsitzender gewesen. Doch alle hatten damals mit der Wahl des Münchner Erzbischofs, Kardinal Friedrich Wetter, gerechnet. Zünglein an der Waage waren damals und sind heute die Weihbischöfe. Sie stellen mit 37 der 64 Stimmberechigten die Mehrheit.

Der Vorsitzende braucht übrigens in den ersten beiden Wahlgängen eine Zweidrittelmehrheit (42 Stimmen), danach reicht auch eine einfache Mehrheit (32 Stimmen). Eigentlich besteht die Bischofskonferenz aus 66 Mitgliedern. Aktuell sind 63 stimmberechtigte Mitglieder anwesend. Neben dem Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst fehlt aus Krankheitsgründen auch der Freiburger Weihbischof Bernd Uhl. Der Apostolische Exarch für die Ukrainer, Bischof Petro Kryk, ist zwar Mitglied der Bischofskonferenz, hat aber kein Stimmrecht. 2011 änderten die Bischöfe ihre Statuten; seitdem ist nur eine Wiederwahl möglich. Das ist Standard bei vielen Bischofskonferenzen in der Welt. In der langen „Lehmann-Ära“ (1987-2008) hatte der Vatikan mehrfach die Bischofskonferenz gedrängt, die Statuten entsprechend zu ändern. Diese wiedersetzte sich, weil man das als Einmischung Roms und Verhinderung einer Wiederwahl Lehmanns sah. Nachdem dieser aus gesundheitlichen Gründen Anfang 2008 zurücktrat, stand Satzungsänderung nichts mehr im Wege. Die Bischöfe nahmen sie bei der Frühjahrsvollversammlung 2011 in Paderborn vor. Die Beschränkung auf maximal zwei Mal sechs Jahre macht den Weg frei für jüngere Kandidaten, die dann ohne Probleme und große Spekulationen nach zwei Amtsperioden wieder ins Glied zurücktreten können.

P.S. Die Vollversammlung hier in Münster wird noch keinen Beschluss zum Thema wiederverheiratete Geschiedene fassen. Der scheidende Konferenzvorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch, erklärte, man werde das Thema hier beraten, aber erst beim nächsten  Ständigen Rat darüber beschließen. Jeder Bischof fand übrigens auf seinem Platz gestern das neue Buch von Kardinal Walter Kasper mit dessen Rede zum Thema „Ehe und Familie“ vor, die er beim Konsistorium in Rom Ende Februar gehalten hat.

P.P.S. Geduld brauchen wir wohl auch bei der wissenschaftlichen Studie zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle. Zwar beraten die Bischöfe hier in Münster darüber. Die Ergebnisse sollen aber in einer eigenen Pressekonferenz vorgestellt werden.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.