Frieden, Bewahrung der Schöpfung und die Kirche

Ein Tag voller Begegnungen, vieler Worte und Emotionen war das heute hier in Assisi. Papst Franziskus ist an die Quellen seines Pontifikats gekommen. Als erster Papst der Geschichte hat Jorge Mario Bergoglio den Namen Franziskus gewählt. Einige sahen darin eine Anmaßung, denn der Name steht für ein anspruchsvolles Programm. Doch Bergoglio scheint dies nicht zu belasten. Er ist selbstbewusst dem Poverello aus Assisi auf der Spur – und in dessen Gefolge letztendlich Christus. In diesem Sinn ist das heute eine Pilgerfahrt gewesen, auf der Franziskus offensichtlich nicht große neue Töne anschlagen wollte; sondern die Botschaften, die das Pontifikat bisher prägen, vertiefen und präzisieren wollte.

Tausende säumten in Assisi die Straßen ...

Vieles, was heute zu hören war, ist bereits bekannt: die Aufforderung an die Peripherien zu gehen, Bergoglios harsche Kritik an der Gleichgültigkeit, mit der die Menschen auf das Schicksal der Flüchtlinge, aber auch von Alten, Kranken und mit hoher Arbeitslosigkeit kämpfenden Jugendlichen reagieren, die Warnung vor einer Verweltlichung der Kirche und schließlich der Aufruf zur Bewahrung der Schöpfung. Alle diese Themen sind nicht neu; aber Franziskus scheint sich bewusst zu sein, dass er dicke Bretter bohren muss, um Veränderungen in Kirche und Gesellschaft herbeizuführen.

... und warteten auf Papst Franziskus.

Er versucht die Menschen durch die Art seines Vortrags zu gewinnen. Immer wieder stellt er abseits des Manuskripts den Anwesenden konkrete Fragen, scherzt. Neuvermählten etwa gebe er immer den Rat: „Von mir aus streitet euch; wenn die Teller `mal fliegen, okay; aber beendet keinen Tag, ohne wieder Frieden geschlossen zu haben.“ Müttern, deren Jungs mit 30 noch Zuhause wohnen gibt er den Ratschlag: „Hört einfach auf, ihre Hemden zu bügeln.“ Bei den Begegnungen des Papstes mit den Menschen wechseln sich Momente des konzentrierten Zuhörerns mit Lachen und Applaus ab. Und dabei lässt er sich stets viel Zeit, um einzelne Menschen zu grüßen, zu umarmen und mit ihnen zu sprechen. 45 Minuten lang dauerte sein Gang durch die Kirche heute Morgen beim ersten Termin im Zentrum für behinderte Kinder. Am Ende hatte er vermutlich wirklich alle Kinder, ihre Eltern und Betreuer einzeln gegrüßt. Entsprechend emotional war diese Begegnung auch gewesen.

Interessant waren einige spontan hinzugefügte Äußerungen beim Treffen mit Ehren- und Hauptamtlichen des Bistums Assisi. Kein Bischof könne ein Bistum leiten ohne Pastoralräte, kein Pfarrer eine Gemeinde ohne Pfarrgemeinderäte. Was er auf oberster Ebene praktiziert, wünscht er sich auch für die unteren Ebenen: keine Leitung ohne Beratung. Allerdings aufgepasst: In der vergangenen Woche wurde im Zusammenhang mit dem Kardinalsrat mehrfach betont, dass am Ende die Entscheidungen der Papst fällt. Das dürfte dann aus seiner Sicht wohl auch für die anderen Ebenen gelten. Allerdings macht alle Beratung keinen Sinn, wenn die Ergebnisse des Prozesses nicht berücksichtigt werden.

Franziskus war in seiner Art zurückhaltend in Assisi. Er hat in allen Situationen direkt die jeweiligen Menschen angesprochen. Das war beeindruckend. Er spulte nicht ein vorgeplantes Programm ab, sondern zeigte Flexibilität und ließ sich von der Begeisterung der Menschen anstecken. Dazwischen gab es auch sehr persönliche Momente; war es doch eine Pilgerfahrt, die der Papst unternommen hatte; schließlich war Jorge Mario Bergoglio heute zum ersten Mal in Assisi. Angesichts dieser Tatsache verwundert es vielleicht umso mehr, dass er nach seiner Wahl im März dieses Jahres ausgerechnet den Namen Franziskus gewählt hat. Doch bei der Begegnung mit den Jugendlichen am Abend, einem der letzten Programmpunkte, zeigte sich noch einmal, warum dieser Papst doch sehr franziskanisch ist. Es ging um Ehe und Familie, die nicht nur bei jungen Leuten angesichts der offensichtlichen Spannung zwischen der traditionellen katholischen Lehre und der Lebenswirklichkeit vieler Menschen durchaus ein sperrige Themen sind. Da kritisierte der Papst eine „Kultur des Provisorischen“ und warb für eine lebenslange treue Partnerschaft von Mann und Frau als Ideal der Familie.

Da war er wieder der Papst, der sich selbst als „Sohn der katholischen Kirche“ bezeichnet und als solcher ihre Werte und Traditionen vertritt. Aber auch in Assisi wurde deutlich, dass bei aller Treue zur Lehre der katholischen Kirche diesem Papst Franziskus der Mensch vorgeht vor den Prinzipien.

P.S. Franziskus sprach übrigens gewohnt einfach, schnörkellos und direkt: „Der franziskanische Friede ist keine Gefühlsduselei.“ Der Friede des heiligen Franziskus sei der Friede Christi. Er rief zum Ende der bewaffneten Konflikte auf. „Mögen die Waffen schweigen und überall der Hass der Liebe weichen, die Beleidigung der Vergebung und die Zwietracht der Einheit! Hören wir den Schrei derer, die weinen, leiden und sterben aufgrund der Gewalt, des Terrorismus oder des Krieges – im Heiligen Land, das der heilige Franziskus so sehr liebte, in Syrien, im ganzen Nahen Osten, in der Welt.“ Bisher gibt es nur wenige Texte von heute in Ausschnitten in deutscher Übersetzung bei Radio Vatikan. Es lohnt sich aber sicherlich in den nächsten Tagen immer wieder auch auf der offiziellen Reiseseite vorbeizuschauen. Dort müssten nach und nach auch die offiziellen deutschen Übersetzungen kommen.

 

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.