Der Papst unter Löwen
Es war eine Premiere hoch über der Wüste Algeriens: Das Treffen von Papst Franziskus mit den rund 70 Journalisten, die ihn im Flugzeug bei seiner ersten Auslandsreise begleiten. Gleich zu Beginn, nach einem herzlichen „Guten Tag Euch allen!“ stellte er klar: „Ich gebe keine Interviews. Ich weiß nicht, aber es ist anstrengend für mich, das zu machen.“ Sagte es, und hielt dann doch gleich frei eine Rede von rund fünf Minuten, die genug Stoff für die mitreisenden Journalisten bot. Interessant war aber, was dann folgte. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch, begrüßte Franziskus die Journalisten einzeln und wechselte ein paar Worte mit jeder und jedem. Nach knapp einer Stunde war die Begegnung zu Ende. Der Run auf die fünf Satellitentelefone begann; denn jeder wollte als erster die Nachrichten in die Heimatredaktion schicken.
Immerhin hatte Franziskus eindringliche Worte gesprochen. Angesichts der Statistiken über Jugendarbeitslosigkeit, die er erst vergangene Woche gelesen habe, warnte der Papst davor, es bestehe wegen der Krisen in der Welt die Gefahr, dass eine ganze Generation ohne Arbeit entstehe. Dabei sei es gerade die Arbeit, die ein würdiges Menschsein ermögliche. Er kritisierte eine Haltung des „Abfalls“ in der gegenwärtigen Gesellschaft, die man vielleicht mit Ausgrenzung, Nichtbeachtung und Indifferenz gegenüber diesen Personen übersetzen könnte und die angesichts der Probleme der arbeitslosen Jugendlichen auch zunehmend auf diese ausgeweitet werde. Bisher habe man das vor allem bei den Alten erlebt. Jetzt seien auch die Jugendlichen davon betroffen. Diese Haltung des „Abfalls“ kritisierte Franziskus scharf.
Interessant war, dass Franziskus auf dem Weg zum Weltjugendtag viel über die Alten sprach. Ihm ist wichtig, beide Lebensalter zusammen zu sehen. Beide sind aus seiner Sicht „Brücken zur Zukunft“. Die Jugendlichen, weil sie die Kraft hätten und voranschritten; aber auch die Alten, weil sie das Wissen, die Fülle des Lebens hätten. Es müsse eine Kultur der „Inklusion“ gepflegt werden. Ziel müsse sein, alle in die Gesellschaft zu integrieren. In diesem Sinn möchte er die Jugendlichen in Rio auch nicht isoliert sehen und ansprechen, sondern immer in ihrem sozialen Kontext, als Teil der Gesellschaft.
Anschließend hieß es Schlange stehen, um mit dem Papst persönlich zu sprechen. Das erinnert ein wenig an die Ära Johannes Pauls II. Solange dieser gesundheitlich konnte, nahm er sich gerade bei Interkontinentalreisen viel Zeit für die Journalisten und ging durch die Reihen, um zu plaudern. Bei Franziskus war es nun umgekehrt; er ließ die Reihen zu sich kommen. Das war logistisch einfacher; denn der Platz in der A330 der Alitalia ist bei 70 Journalisten, die mit viel Technik bepackt sind, nicht gerade üppig. Sonst flog der Papst meist mit einer Boeing 777 bei Interkontinentalreisen. Da gab es mehr Platz. Also reihten sich alle schön in eine „Fila“ und sprachen mit dem Papst – meist über Persönliches, selten über Kirchenpolitik. Mancher hatte Bilder der Familie dabei, die der Papst segnete. Wir haben über seinen theologischen Lehrvater Lucia Gera gesprochen. Etwas verlegen machte Franziskus Werbung für ein Buch über die „Theologie des Volkes“, die Gera und damit auch ihn prägte. Ein brasilianischer Kollege überreichte eine Flagge seines Heimatlandes; Papstbiograf Sergio Rubin übergab ein I-Pad. Am Ende des persönlichen Gesprächs bat der Papst jeden, für ihn zu beten – auch auf Deutsch.
Auch wenn die Begegnung sehr herzlich war, so spürte man doch eine gewisse Zurückhaltung von Franziskus gegenüber den Medienvertretern. Das lag wohl nicht an der Begrüßung des Papstes durch eine der mitreisenden Journalistinnen. Sie hatte an das Vorurteil erinnert, demnach Journalisten bisweilen wie Löwen seien. Selbst Franziskus musste am Ende der Begegnung feststellen, dass die mitreisende Journaille keine gefährlichen Löwen seien. Das wird aber nichts an seiner Reserviertheit gegenüber der Presse ändern. Hier bleibt er seiner Linie aus der Zeit als Erzbischof treu.
P.S. Auffallend war, dass Franziskus zum Treffen mit den Journalisten alleine kam. Nur der Reisemarschall Alberto Gasbarri und Vatikansprecher Federico Lombardi waren an seiner Seite. Papst Benedikt XVI. wurde bei dieser Gelegenheit immer von einer ganzen Gruppe aus der päpstlichen Delegation umgeben, darunter Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, Innenminister Becciu und Privatsekretär Georg Gänswein. Letzterer ist in seiner neuen Funktion als Präfekt des Päpstlichen Hauses nicht mit auf Reisen. Der Präfekt ist für Termine im Vatikan und Italien zuständig, nicht im Ausland. Bertone und Becciu sind mit dabei. Für den Kardinalstaatssekretär dürfte es die letzte Auslandsreise sein. Denn es ist davon auszugehen, dass Franziskus ihn im Herbst, spätestens aber zum Jahresende in Ruhestand schicken wird. Und für 2013 sind keine weiteren Auslandsreisen geplant; auch wenn in den letzten Tagen das Gerücht aufkam, Franziskus würde dieses Jahr noch nach Mexiko fahren.
P.P.S. Nach dem Treffen mit dem Papst eroberten die Journalisten weitere Plätze im Flieger. Denn zunächst waren im vorderen Teil der Economy-Klasse zehn Reihen frei geblieben. So gab es anschließend mehr Platz zum Arbeiten und Schlafen. Das Haupt konnte jeder Journalist übrigens auf ein Kissen mit dem Wappen des amtierenden Papstes betten. Die Fluggesellschaft hat die Tradition fortgesetzt, für die Kopfstützen und Kissen eigens „Papstequipment“ anfertigen lassen, das übrigens so mancher Kollege gerne nach Ende des Fluges als Andenken mit nach Hause nimmt. Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass ein Papst mit einem „kleinen“ A330 fliegt. Benedikt XVI. flog im November 2011 mit einem Flugzeug gleichen Typs nach Benin. Was Reisen über den Atlantik anbetrifft, ist es aber eine Premiere. Allerdings ist es der übliche Typ, mit dem die Fluggesellschaft die Strecke Rom-Rio fliegt. Also war das beinahe so etwas wie Linie heute mit dem Papst auf Reisen. Interessant ist übrigens die Zusammensetzung der Journalistengruppe. Bei der ersten Papstreise nach Benedikt XVI. sind nur zwei deutsche Journalisten an Bord (KNA, ZDF). Frankreich ist mit den acht Kollegen vertreten, die auch Benedikt meist begleitet haben, darunter Le Monde, Le Figaro, Radio France, La Croix und AFP. Italien nimmt wie immer den Spitzenplatz ein. Mit 17 Journalisten sind es dieses Mal allerdings einige mehr als bei den letzten Papstreisen. Allein die RAI ist mit vier Kollegen dabei. Gut vertreten sind auch die US-Medien sind, darunter CNN, ABC-News, CBS-News, NBC-News, AP, Reuters und The Wallstreet Journal, und wie üblich das Zielland (9). Der Flug verlief übrigens sehr ruhig. Nur just zum letzten Snack nach 9000 Kilometern und gut 10 Stunden, als wir gerade bei Vitoria an der brasilianischen Küste entlang „schrammten“, begann es kurz zu wackeln. Die letzten 15 Minuten des Fluges war Papst Franziskus im Cockpit bei den Piloten. Gelandet wurde die Maschine allerdings vom Piloten der Fluggesellschaft.
P.P.P.S. Die Jugend stand auch im Zentrum der Begrüßungsansprache von Franziskus bei der Ankunft in Rio de Janeiro. Seine Rede war wenig politisch. Allerdings forderte er die erwachsene Generation auf, dem jungen Menschen „die Sicherheit und Bildung zu gewährleisten, damit er wird, was er sein kann“. Greift er da etwa eine der Forderungen der Protestantler der letzten Wochen auf? Explizit ging er weder auf dem Flug noch bei der Begrüßungsansprache darauf ein. Der brasilianische Kardinal Joao Braz de Aviz wertete gegenüber den mitreisenden brasilianischen Journalisten die Proteste positiv, so lange sie gewaltlos blieben. Im Vatikan hätte es einige Stimmen gegeben, die dem Papst angesichts der Demonstrationen von der Reise abgeraten hätten. Doch sie habe nie zur Disposition gestanden.
Sorry – dass der Text heute so lang ist. Aber über 11 Stunden Flug; da bleibt viel Zeit zum Schreiben;-) Und dann noch die Ereignisse von Rio:
Hier war es keine Höhle des Löwen – aber durchaus ungewohnte und sicherlich trotz anders lautender Aussagen des Vatikansprechers auch gefährliche Momente: ein Papamobil, das sich in Rio verfährt und plötzlich in der Menge stecken bleibt. Vatikansprecher Federico Lombardi wertete das Ganze anschließend als besonderes Erlebnis des Enthusiasmus. Papstsekretär Alfred Xuereb, der mit dem Papst in dem kleinen Fiat-Papamobil saß, erzählte Lombardi anschließend, dass er durchaus besorgt gewesen sei in diesem Moment; doch Papst Franziskus sei ganz ruhig geblieben und habe durch das offene Fenster die Menschen gegrüßt und Hände geschüttelt. Aus Sicherheitsgründen entschieden die brasilianischen Behörden dann kurzfristig, dass Franziskus das letzte Stück zum Palast des Governators mit dem Helikopter zurücklegt, um mögliche Proteste in der Umgebung des Palasts zu umgehen.