Endspurt im Vorkonklave

Die Kardinäle sind auf der Zielgeraden. Heute Morgen fand die vorletzte Generalkongregation statt. Jetzt wird übers Wochenende noch heftig hinter den Kulissen gerungen und nach Koalitionen gesucht. Nationale Blöcke gehören allerdings eher der Vergangenheit an. Heute verlaufen die Grenzen eher nach inhaltlichen Fragen bzw. dieses Mal auch der Frage nach Ratzingerianer oder nicht. Wobei diese Kategorie auch schon wieder ein Doppeltes beinhaltet. Ratzingerianer sind einerseits die, die Benedikt XVI. inhaltlich, theologisch nahe stehen wie etwa Schönborn, Scola oder Ouellet; andererseits sind es aber auch jene, die Ratzingers „Reinigung“ der Kirche und der Kurie unterstützten und fortsetzen wollen. Interessant ist, dass Schönborn, Scola und Ouellet – alle drei zählen zu den Papabile – eng miteinander befreundet sind – seit vielen Jahren. Sie haben unter anderem gemeinsam für die Zeitschrift Communio gearbeitet. Mitbegründer der Zeitschrift war übrigens Joseph Ratzinger. Communio gilt als die Zeitschrift derer, die das II. Vatikanische Konzil eher „konservativ“ auslegen. Machen die drei Ratzingerschüler gemeinsame Sache? Machen sie den neuen Papst unter sich aus? Jedem von ihnen werden derzeit Chancen zugerechnet. Werden sie sich vereinen, um einen aus ihrer Mitte zum Nachfolger Benedikts zu machen?

115 Wähler - 115 Papabili

Es ist keine leichte Wahl. Einen geborenen Nachfolger scheint es nicht zu geben; anders als 2005. Damals war für viele klar. Joseph Ratzinger soll das fortsetzen, was Johannes Paul II. über mehr als zwei Jahrzehnte gemacht hatte. Ratzinger hatte ja die meiste Zeit an der Seite Wojtylas gearbeitet. Der Bayer hatte das Pontifikat des Polen theologisch entscheidend mitgeprägt. Ratzinger setzte den Kurs Johannes Pauls in vielen Bereichen fort. Das ist jetzt anders. In diesem Sinne geht damit auch eine Ära zu Ende; ist die anstehende Wahl auch eine Schicksalswahl. Wohin soll der Weg der Kirche künftig gehen? Dass alte Denkmuster heute nicht mehr tragen zeigt etwa die Rolle des italienischen Kardinal Camillo Ruini. Als langjähriger Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz und Kardinalvikar des Bistums Roms war er ein treuer Weggefährte der beiden letzten Päpste. Dennoch gehörte er im Vorkonklave zu denen, die eine flammende Rede für einen jungen, dynamischen und vor allem charismatischen Papst gehalten haben.

Aber wer kann das sein? Viele nennen den US-Amerikaner Timothy Dolan als möglichen Kandidaten. Der 63-Jährige vertritt konservative Werte; verzaubert mit seinem Lachen die Menschen, hat keine Berührungsängste gegenüber den Medien. Doch ist die Zeit reif für einen US-amerikanischen Papst? Vor allem Kirchenvertreter aus Asien und Afrika sind davon nicht so überzeugt. Gerade in der arabischen Welt könnte ein „Yankee“ auf dem Stuhl Petri die Situation der Katholiken erschweren. Und auch mit Blick auf die Katholiken in China warnen manche vor der Wahl eines US-Kardinals. Trotzdem wird neben Dolan stets auch sein Amtsbruder Sean O’Malley genannt. Der 68-Jährige ist Erzbischof in Boston. Er hat dort nach den Missbrauchsfällen, die zu Beginn des Jahrtausends in großer Zahl bekannt geworden waren, mit eiserner Hand aufgeräumt. Mittlerweile hat die Kirche dort wieder Fuß gefasst; steigen die Zahlen der Priesterberufungen wieder. O’Malley weiß die Hispanos Amerikas hinter sich; ist damit gleichsam eine Brücke zwischen den beiden Amerikas. O’Malley ist Kapuziner; das könnte eventuell den „Amerikaner“ schlagen und ihn damit zum Papabile machen. Allerdings sehen manche kritisch, dass er zu sehr auf das Thema Missbrauch fokussiert ist bzw. in der Öffentlichkeit so wahrgenommen wird.

Kurienerfahrung bringen übrigens beide Amerikaner keine große mit. Dabei war der Zustand der Zentrale auch heute wieder Thema in der Generalkongregation. Der neue Papst sollte also den Apparat etwas kennen; allerdings darf er auch nicht zu sehr mit ihm verbandelt sein. Es scheint die berühmte Quadratur des Kreises zu sein, die die Kardinäle ab Dienstag leisten müssen. Denn dann geht es los. Ab 7.00 Uhr heißt es Einrücken ins vatikanische Gästehaus Santa Marta. Um 10 Uhr beginnt der Gottesdienst „pro eligendo romano pontifice“ im Petersdom. Mittagessen gibt es in Santa Marta. Um kurz vor 16 Uhr werden die Kardinäle dann zum Apostolischen Palast gebracht. Von der Cappella Paolina ziehen sie dann ab 16.30 Uhr in feierlicher Prozession in die Sixtinische Kapelle ein. Dort legen sie den Eid ab. Gegen 17.30 Uhr wird das „Extra omnes“ erwartet. Dann schließt der Päpstliche Zeremonienmeister Guido Marini die schwere Holztür der Sistina; das eigentliche Konklave beginnt. Zunächst hält Kardinal Prosper Grech (87) noch eine Meditation. Danach verlassen auch er und die Zeremoniäre die Kapelle. Der erste Wahlgang findet statt. 2005 gab es dann gegen 20 Uhr das erste Rauchzeichen. Wie schon vor acht Jahren ist mit schwarzem Rauch zu rechnen. An den darauffolgenden Tagen finden vormittags und nachmittags jeweils zwei Wahlgänge statt. Sollte in den ersten 13 Wahlgängen bis Freitagabend kein Kandidat die 2/3-Mehrheit auf sich vereinen können, gibt es einen Tag Pause für Gebet und Gespräch. Vatikansprecher Federico Lombardi zeigte sich heute zuversichtlich, dass es so weit nicht kommen wird. Sieht der Jesuit vielleicht doch bereits einen klaren Favoriten? Unter Experten zeichnet der sich allerdings bisher nicht ab. Bei den Kardinälen übrigens dem Vernehmen nach auch nicht.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.