Der Papst in Südostasien – Tag 10

Viel Lob und wenig Kritik hatte Franziskus heute für die Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft Singapurs parat. Das kritischste Thema sparte er aus. Während er sonst die Todesstrafe mit scharfen Worten geißelt, 2018 eigens deren Ablehnung in den Katechismus der Katholischen Kirche schreiben lies, schwieg er heute öffentlich dazu. Franziskus würdigte Singapur als „ein Mosaik von Ethnien, Kulturen und Religionen, die in Harmonie zusammenleben“ und wo die soziale Gerechtigkeit sowie das Gemeinwohl einen hohen Stellenwert besäßen. Er mahnte einmal mehr zur Vorsicht bei der KI. „Diese Technologien sind dann am ergiebigsten, wenn man sie nützt, um einander näher zu kommen, um Verständnis und Solidarität zu fördern, und nicht dazu, um sich auf gefährliche Weise in einer fiktiven und ungreifbaren Wirklichkeit zu isolieren.“ Am Nachmittag feierte er in einem Sportstadion eine Messe mit rund 50.000 Menschen. Respekt und Liebe seien wichtiger als Geld und Macht, betonte das Kirchenoberhaupt bei der Gelegenheit. „Wenn es etwas Gutes gibt und es in dieser Welt bleibt, dann nur, weil in zahllosen und vielfältigen Umständen die Liebe über den Hass gesiegt hat, die Solidarität über die Gleichgültigkeit, die Großherzigkeit über den Egoismus. Ohne dies wäre auch hier niemand in der Lage gewesen, eine so große Metropole zu errichten“, erklärte Franziskus.

Das Motto des Papstbesuchs in Singapur: „Einheit, Hoffnung“.(Quelle: Erbacher)

Leistung nicht überbewerten

Die Ehre wurde schon zahlreichen Staatsoberhäuptern in Singapur zuteil: Auch Papst Franziskus ist im Botanischen Garten des Stadtstaats jetzt mit einer Orchidee verewigt. Die „Dendrobium Papa Franciscum“ blüht weiß. Die Orchidee ist Singapurs Nationalblume. Zumindest zwei Exemplare kamen heute zum Einsatz. Einmal bei der Begrüßungszeremonie im Parlamentsgebäude, wo auch die offizielle Übergabe des blühenden Geschenks stattfand und anschließend beim Treffen mit Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft im Kulturzentrum der Universität. Dort zeigte sich Franziskus von der Geschichte des kleinen Staats beeindruckt. „Singapur ist ein leuchtendes Beispiel dafür, was die Menschheit erreichen kann, wenn in Harmonie, mit Verantwortungsbewusstsein und im Geiste der Inklusivität und Geschwisterlichkeit zusammengearbeitet wird.“

Dass Meinungs- und Versammlungsfreiheit im Land eingeschränkt sind, das Land seit seiner Unabhängigkeit quasi in einem Einparteiensystem von ein und derselben Partei regiert wird und es nur wenige oppositionelle Politiker gibt, sprach der Papst nicht an. Seine Kritik setzte an anderen Stellen an. So warnte er davor, dass „ein gewisser Pragmatismus und eine gewisse Überbewertung der Leistung“ die unbeabsichtigte Folge haben könnten, „dass dadurch Ausgrenzung derjenigen legitimiert wird, die kaum an den Errungenschaften des Fortschritts teilhaben“. Er mahnte den Schutz der Würde der Gastarbeiter an, denen ein angemessener Lohn garantiert werden müsse. Mit Blick auf die Familie stellet er fest, dass unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen ihre Grundpfeiler in Frage gestellt und bedroht würden.

Liebe steckt hinter allem

Am Gottesdienst am Nachmittag nahmen auch viele Katholiken aus dem benachbarten Malaysia teil. Allerdings waren die rund 50.000 Karten sehr schnell vergriffen, was bei vielen Gläubigen auch zu Frust geführt hatte. Franziskus nahm sich vor der Messe viel Zeit für eine Fahrt durch das Stadion mit dem Mini-Papamobil. Immer wieder reichten ihm die Sicherheitsleute Babys zum Segnen, kleine Kinder schüttelten dem Papst die Hand und Jugendliche kamen, um mit dem Papst ein Selfie zu machen. Wie schon an anderer Stelle dieser Reise stellte Franziskus das Thema „Liebe“ ins Zentrum seiner Predigt. Nichts Bleibendes entstehe ohne Liebe. Hinter jedem Werk gebe es viele Geschichten der Liebe zu entdecken, „von Männern und Frauen, die in einer Gemeinschaft miteinander verbunden sind, von Bürgern, die sich für ihr Land einsetzen, von Müttern und Vätern, die sich um ihre Familien sorgen, von Fachleuten und Arbeitern aller Art und jeden Grades, die sich rechtschaffen in ihren verschiedenen Rollen und Aufgaben einsetzen.“ Mit einem Zitat von Papst Johannes Paul II. bei dessen Besuch 1986 in Singapur weitete er das Thema Liebe dann auf ein zweites zentrales Thema dieser Reise – die Harmonie in der Vielheit: „Daher ist die Liebe gekennzeichnet von einem tiefen Respekt vor allen Menschen, unabhängig von ihrer Rasse, ihrem Glauben oder was sie sonst von uns unterscheidet.“

Es fällt auf, dass Franziskus immer wieder während dieser Reise seinen Vorgänger Johannes Paul II. zitiert. Das ist sicher kein Zufall. Denn bei aller Sympathie für das aktuelle Kirchenoberhaupt aufgrund seines starken sozial-ethischen Profils, gibt es doch in theologischen Fragen auch Unterschiede. Viele Gläubige, Bischöfe, Priester und Ordensleute sind in Fragen von Moral und Lehre eher konservativ, wie das an vielen Stellen des globalen kirchlichen Südens der Fall ist. Für sie ist Johannes Paul II. ein wichtiger Orientierungspunkt. Franziskus versucht nun, eine Kontinuität zu seinem Vorgänger aufzuzeigen, um so die Skepsis abzubauen. Das ist ein schwieriges Unterfangen, denn die starke traditionelle Ausrichtung des Katholizismus hat tiefe Wurzeln. Vielleicht nimmt sich Franziskus auch deshalb so viel Zeit und reist immer wieder in diese Regionen, um für eine andere Vision von Kirche und katholischem Glauben zu werben.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

2 Kommentare

  • Novalis
    13.09.2024, 0:22 Uhr.

    JP2 hat bei allen Schattenseiten – blinde Zerstörungswut gegen die Befreiungstheologie, Fühllosigkeit in Sachen Kindesmissbrauch, reaktionäre Auslegung des 2. Vatikanum, Homophobie – auch gerade in Sache Arbeitsetheik und Arbeiterethik sehr Luzides geschrieben. Dass Franziskus DIES aufgreift, ist wenig verwunderlich, ja sogar klug. Denn das ist das Weitsichtigste, das JP2 gemacht hat; spannend auch, dass er nicht B16 benutzt 🙂

    • Jürgen Erbacher
      Jürgen Erbacher
      13.09.2024, 4:55 Uhr.

      Franziskus zitiert vor allem Johannes Paul II. bei seinen Besuchen in den betreffenden Ländern. Benedikt XVI. war nie in Asien während seines Pontifikats, „nur“ einmal zum Weltjugendtag in Australien. Da kann Franziskus nicht so leicht anknüpfen.

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