Debatte in „brüderlichem Klima“

Es gab keine Sensation beim ersten Treffen aller Kardinäle seit sieben Jahren. Zwei Tage lang debattierte der „Senat der Kirche“ über die Kurienreform. Dabei zeigte sich, dass viele der Änderungen von den meisten positiv gewertet werden, vor allem ein Thema aber treibt manchem Kardinal die Schweißperlen auf die Stirn: die Öffnung der Chefposten vatikanischer Dikasterien, wie die Ministerien jetzt alle heißen, für Laien. Die Kritiker sehen juristische und theologische Probleme, die es noch besser aufzuarbeiten gelte, ist am Rande zu hören. Außerdem wurde über die Finanzen des Vatikans gesprochen. Hier sind wichtige Reformen durchgeführt worden, doch in den Kassen herrscht offenbar Ebbe. Ein wichtiges Ziel des Treffens scheint erreicht, die Kardinäle konnten sich etwas besser kennenlernen. Der amtierende Papst hingegen scheint weit entfernt von einem Rücktritt. Vor ihm liegen große Aufgaben. Er muss der Kurienreform Leben einhauchen und wichtige Personalentscheidungen treffen. Aber nicht nur das.

Wo bleiben die Frauen? Protest am Rande der Kardinalsversammlung im Vatikan. (Quelle: @joshjmac)

Welche Rolle hat das Kardinalskollegium?

Das Kommuniqué des Vatikans fiel am Dienstagabend dünn aus: acht Zeilen, die wenig über den Inhalt der Diskussionen aussagten. Immerhin eines wurde deutlich: Neben der Kurienreform diskutierten die Kirchenmänner über „viele Aspekte“ im Leben der Kirche. Wer über die Herausforderungen und den notwendigen Zuschnitt der Zentralverwaltung spricht, muss auch über die Herausforderungen der Kirche weltweit sprechen. Damit boten die beiden Tage zum einen dem Papst die Möglichkeit, zu erfahren, wo in einzelnen Regionen der Welt der Schuh drückt. Zum anderen hatten die Kardinäle auch die Chance, zu hören, was einzelne Mitbrüder über die grundsätzlichen Herausforderungen der Kirche sagen. Das war dann der Teil „Kennenlernen“ für ein künftiges Konklave.

Sieben Jahre hat Franziskus das Kardinalskollegium nicht mehr einberufen. Es scheint, als habe es seinen Sitz im Leben der Kirche verloren. Den müssen der Papst und seine Architekten bei einer Neuaufstellung der katholischen Kirche noch finden. Wo ist der Platz neben den Bischofssynoden, die Franziskus zunehmend als weltweite Dialogprozesse aufstellt und die sich nicht nur mit inhaltlichen Fragen beschäftigen, wie zuletzt zu Ehe und Familie, zur Jugend und dem Amazonasgebiet, sondern auch mit strukturellen Fragen wie der aktuelle Prozess zur Synodalität? Eine Aufteilung ist damit nicht möglich in dem Sinne, dass die Bischofssynode sich um die pastoralen und theologischen Fragen kümmert und das Kardinalskollegium um Strukturen und Organisation. Das Kardinalskollegium zu einem reinen Papstwahlverein zu machen, wäre sicher der falsche Weg.

Wo bleiben die Laien?

Allerdings stellt sich beim Kardinalskollegium wie bei der Bischofssynode eine entscheidende Frage: was ist mit den Laien, vor allem den Frauen. Als am Montagmorgen einige Frauen in roten Kleidern vor dem Eingang des Vatikans für mehr Einbeziehung in die kirchlichen Entscheidungsprozesse demonstrierten, wurden sie von der Polizei in Gewahrsam genommen und kamen erst nach vier Stunden wieder frei. Bei den Bischofssynoden sind immerhin einige Frauen anwesend und können sich in die Beratungen einbringen, doch Stimmrecht haben sie keines. Auch sind sie nicht in der Zahl repräsentiert, wie es dem Engagement der Frauen auf vielen Ebenen der Kirche entsprechen würde. Auch der „Senat der Kirche“ ist ein exklusiver Club geweihter meist älterer Männer.

Und die tun sich in Teilen schwer damit, dass künftig Laien Chefs vatikanischer Behörden werden sollen. Das bedeute eine Aufteilung von Leitungs- und Weiheamt. Vor allem die Dikasterien, die jurisdiktionelle Vollmachten hätten, könnten nicht von Laien geführt werden, sind sie überzeugt. Dazu gehören etwa die Dikasterien für Glauben, die Bischöfe oder den Klerus. Hinter der Kritik steckt die Frage, ob die Jurisdiktionsgewalt nur durch Delegation durch den Papst verliehen wird, oder ob dazu auch die Weihe notwendig ist. Denn laut II. Vatikanischem Konzil gebe es eine Einheit der „Sacra potestas“, die sich im dreifachen Amt der Heiligung, der Lehre und der Leitung manifestiere. Wer Weihe- und Leitungsamt trenne, stehe damit nicht in der Tradition des II. Vatikanums. Natürlich übten auch die Kurienkardinäle ihre Jurisdiktionsgewalt im Namen des Papstes aus, aber nicht allein aufgrund einer von ihm verliehenen „missio canonica“, sondern weil sie Teil des sakramentalen Amts eingebunden in die Hierarchie der Kirche sind.

Das ist eine Aufgabe für die Theologen. Bis sie die Frage geklärt haben, könnte der Papst aber bereits in den Dikasterien Laien zu Chefs ernennen, die keine Jurisdiktion ausüben. Das wären Ehe und Familie, Bildung und Kultur, Ganzheitliche Entwicklung des Menschen. Zwei von den drei Dikasterien sind bereits mit Kardinälen besetzt. Es ist unwahrscheinlich, dass Franziskus diese abberuft. Kardinal Czerny ist erst seit Anfang des Jahres Chef des Sozialministeriums und Kardinal Kevin Joseph Farrell dürfte als Camerlengo auch seinen vatikanischen Posten im Familienministerium behalten. Für das Dikasterium für Bildung und Kultur soll bereits ebenfalls ein Kardinal auserkoren sein.

Wann fallen Personalentscheidungen?

Damit ist der Spielraum eng für Franziskus. Denn die Dikasterien für Ökumene und Ostkirchen verlangen einen Kardinal an der Spitze, so Experten. Gleiches gelte für den interreligiösen Dialog. Die Evangelisierungsbehörde leitet der Papst selbst. So dürfte für die Laien erst einmal nur die zweite Reihe bleiben, vom Chefposten des Medienministeriums abgesehen, den seit 2018 der italienische Laie Paolo Ruffini innehat. Wichtig wäre, dass Franziskus seine Personalentscheidungen jetzt bald träfe. In vielen Dikasterien wissen die Mitarbeitenden nicht, was jetzt gilt, weil die Chefs aus den alten Behörden noch da sind, trotz Fusion.

Dazu kommt, dass die Leiter mehrerer Behörden nahe am Pensionsalter sind. Die Kardinäle Marc Quellet, Bischofsdikasterium, und Luis Francisco Ladaria, Glaubensdikasterium, sind 78. Der Chef des Ostkirchendikasteriums, Kardinal Leonardo Sandri, wird im November 79. Der langjährige Bildungsminister, Kardinal Giuseppe Versaldi, ist bereits 79 und teilt sich aktuell die Leitung des neuen Dikasteriums für Bildung und Kultur mit dem ehemaligen Chef des Kulturrats, Kardinal Gianfranco Ravasi, der im Oktober 80 wird. Es ist also Zeit zu handeln, auch um inhaltlich klare Akzente zu setzen, denn jede Personalentscheidung ist auch eine Richtungsentscheidung. Quellet, Sandri und Ravasi wurden noch von Benedikt XVI. ernannt. Auf oberste Ebene trägt die Kurie auch im zehnten Jahr des Pontifikats an entscheidenden Stellen noch längst nicht die Handschrift des amtierenden Papstes.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

7 Kommentare

  • Novalis
    30.08.2022, 21:48 Uhr.

    Und Ouellet ist ja zum Fremdschämen, wenn man die Vorwürfe ernstnimmt.
    „Vor allem die Dikasterien, die jurisdiktionelle Vollmachten hätten, könnten nicht von Laien geführt werden, sind sie überzeugt. Dazu gehören etwa die Dikasterien für Glauben, die Bischöfe oder den Klerus. Hinter der Kritik steckt die Frage, ob die Jurisdiktionsgewalt nur in der Delegation durch den Papst verliehen wird, oder ob dazu auch die Weihe notwendig ist. Denn laut II. Vatikanischem Konzil gebe es eine Einheit der „Sacra potestas“, die sich im dreifachen Amt der Heiligung, der Lehre und der Leitung manifestiere. Wer Weihe- und Leitungsamt trenne, stehe damit nicht in der Tradition des II. Vatikanums.“
    Es billig jetzt dann einzuschieben: „Das ist eine Aufgabe für die Theologen.“
    Denn hier klärt die Kirchengeschichte die Frage: Lai*innen haben selbstverständlich aus ihrem Taufcharisma heraus jurisdiktionelle Akte gesetzt. Man muss dazu nicht mal nach Spanien gehen, wie H.Wolf mit der Äbtissin von Huelgas nicht müde wird hinzuweisen. Wir hatten in Deutschland genügend Äbtissinnen, die nicht nur mit Viril(!)stimme im Reichstag saßen, sondern außer Beichte abnehmen und Eucharistiefeiern alle jurisdiktionellen Akte eines Klosters nicht als delegierte, sondern als gebornene Verantwortliche ausgeübt haben. Der Vatikan möge sich also entscheiden: Waren sie um der Einheit der sacra potestas willen sakramental geweiht? Oder ist der Laie jurisdiktionsfähig? Tertium non datur.

  • Wanda
    31.08.2022, 1:26 Uhr.

    Eine Frage, die schon interessiert: von welcher Polizei wurden denn die friedlich protestierenden Damen vorübergehend in Haft genommen und wo verbrachten diese die 4 Stunden ?

    • Jürgen Erbacher
      Jürgen Erbacher
      31.08.2022, 8:45 Uhr.

      Es war die italienische Polizei. Sie ist für die Sicherheit auf dem Petersplatz und rund um den Vatikan zuständig. Entsprechend wurden die Frauen in der für diese Aufgaben zuständigen Polizeidienststelle nahe des Vatikans festgehalten.

      • Wanda
        31.08.2022, 21:03 Uhr.

        Ein wenig überzogen oder drohte von diesen Damen Gewalt ? Das Foto jedenfalls suggeriert das in keiner Weise. Symptomatisch wie der Vatikan mit Kritik und anderer Meinung umgeht. Traurig…

  • prospero
    31.08.2022, 13:27 Uhr.

    Mit einer Sache sollte man sich abfinden – das Kardinalskollegium ist seit einem Jahrtausend ein Gremium, das kraft seiner Begründung und Strukturierung von den Päpsten unmittelbar abhängig war und ist. Damit steht auch fest, dass es in absehbarer Zeit wohl zu keinen ausschlaggebenden Veränderungen dieser Institution kommen wird. Auch wenn sich das Gesicht des gegenwärtigen Kollegiums in den letzten Jahren veränderte, bleiben seine „ideologischen“ Grundlagen weiterhin erhalten. Selbst wenn die „alte Garde“ im Laufe der letzten Jahre zahlenmäßig an Mitgliedern verlor, ist deren Einfluss nach wie vor erhalten geblieben.

    Zu einer Änderung dieser Situation wird es nicht kommen, umso mehr solange der bayerische „Schattenpapst“ in irgendeiner Form seinen Einfluss geltend macht. Es ist jetzt schon einige Jahre her als dem aus den USA stammenden Kurienkardinal Burke der Ausspruch My pope is Benedict zugeschrieben wurde. Selbst wenn dieser Satz nicht buchstäblich auf diese Weise formuliert wurde, spiegelt er jedoch eine Haltung wider, an der sich nicht wenige Kardinäle orientieren könnten.. Es steht wohl außer Frage dass sich Franziskus schon seit langer Zeit dieses Problems bewusst ist und ihm (heute mehr denn je) offensichtlich die Kraft fehlt, in entsprechender Weise gegenzusteuern.

    Franziskus hatte wohl von allem Anfang die Idee durch die Umgestaltung des Wahlkollegiums seinen Einfluss auf das nächste Konklave geltend zu machen. Tatsächlich kennt die Papstgeschichte nur wenige Vorgänger, die gemessen an der Länge ihrer Amtszeit eine ähnlich große Zahl von Konsistorien zur Ernennung neuer Mitglieder zusammenriefen. Trotz dieser Entwicklung besteht bei der Suche nach einem Nachfolger nach wie vor die allgegenwärtige Gefahr, dem Spruch neuen Wein in alte Schläuche zu füllen gerecht zu werden. Natürlich wurden bei der vergangenen Versammlung der synodale Prozess und andere Entwicklungen offiziell positiv beurteilt – wer würde sich schon gegen den Papst stellen !!! So mancher mag aber mit Sicherheit dem Prinzip „Doch wie’s da drin aussieht, geht niemand was an !“ folgen und sich seine ganz eigene Meinung bilden, die er spätestens bei der nächsten Papstwahl deutlich macht.

  • Wanda
    31.08.2022, 20:48 Uhr.

    Was die Öffnung von Chefposten der röm.-kath. Kirche für Laien angeht, sollte der Priesteradel noch einmal gründlich bei Matthäus 23 nachlesen, was dieser Jesus ihnen angewiesen hat …“ihr aber seid alle Brüder“… Dessen ausdrückliches Verbot, sich überheblich die Titel Rabbi, Lehrer oder gar Vater (Padre/Papst/Pater) anzueignen, kann jeder (Verse 8-12) selbst nachlesen. Der röm.-kath Geistlichkeit jedenfalls scheinen diese Textstellen bei Matthäus total unbekannt zu sein.

  • Erasmus
    03.09.2022, 3:25 Uhr.

    „Vor allem ein Thema aber treibt manchem Kardinal die Schweißperlen auf die Stirn: die Öffnung der Chefposten vatikanischer Dikasterien, wie die Ministerien jetzt alle heißen, für Laien.“ (Erbacher)

    Die Beunruhigung der Kurienkardinäle ist von Franziskus durchaus gewollt, denn er hat sich zum Ziel gesetzt, den speziell in Rom grassierenden Klerikalismus einzudämmen. Zudem ist er willens, die zum Machtapparat pervertierte Kurie ihrem eigentlichen Auftrag des Dienstes an der Kirche Jesu Christi zuzuführen. Insbesondere zwei seiner Maßnahmen werden Wirkung entfalten. Die Begrenzung des Dienstes in der Kurie auf maximal zwei Mal fünf Jahre wird narzisstischen Karrierismus verhindern, und die Berufung von LaiInnen in die Kurie wird eingefahrene Kommunikationsstrukturen und machtorientierte Seilschaften aufbrechen. Franziskus hat erkannt, dass er LAI:INNEN auch LEITUNGSPOSITIONEN ZUGÄNGLICH MACHEN muss, denn andernfalls würde sich im Kurienalltag sehr rasch eine Über-Unterordnungs-Struktur zwischen Klerikern und LaiInnen ausbilden.

    Um ein Beispiel für einen konkreten Veränderungsprozess zu geben: Franziskus hat im Juli dieses Jahres drei Frauen – statt wie angekündigt derer zwei – in die AUSWAHLKOMMISION für Bischöfe berufen. Man kann sich gut vorstellen, dass dieses Gremium aufgrund der von den Frauen eingebrachten Impulse und Akzentsetzungen eine Belebung und Profilierung erfahren wird.

    Wenn Franziskus‘ Kritiker darauf verweisen, dass das II. Vatikanische Konzil dem Bischofsamt die „SACRA POTESTAS“ („heilige Vollmacht“) zuerkannte, die die Weihe- (potestas ordinis) und Hirtengewalt (potestas iurisdictionis) umfasst, so ist dem entgegenzuhalten, dass dies „einen Bruch mit der kirchlichen Rechtsgeschichte“ (Thomas Schüller) bedeutete. Denn mehr als tausend Jahre galt in der Kirche, dass die Bischofsweihe zu bestimmten sakramentalen Vollzügen – wie das Konsekrieren von Priestern oder das Weihen der heiligen Öle – ermächtigt, während die „potestas iurisdictionis“ – also die Leitungsgewalt – durch „kanonische Sendung“, das heißt durch einen nicht sakramentalen Akt verliehen wird.

    Durch die „Sacra potestas“ wird die hierarchische Ständekirche zementiert, während die vorkonziliare Rechtstradition eine KIRCHE DER TEILHABE ermöglicht. Mit der apostolischen Konstitution „Praedicate Evangelium“ vom Pfingstsonntag dieses Jahres stellt Franziskus erfreulicherweise die Weichen in Richtung einer zukünftig partizipativeren und synodaleren Katholische Kirche.

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