Gelingt ein Neuanfang in Köln?

Mit einer eindringlichen Bitte um die Chance für einen Neuanfang meldet sich Kardinal Rainer Maria Woelki aus seiner Auszeit zurück. Der Ton ist zurückhaltend, bittend, selbstkritisch. Mit dem Brief streckt der Erzbischof seinen Kritikern und Gegnern die Hand zur Versöhnung entgegen. In den nächsten Wochen und Monaten muss er zeigen, ob er auch die entsprechenden Taten folgen lässt. Die Auszeit scheint bei Woelki viel in Bewegung gebracht zu haben, vom neuen Ton bis zum Rücktrittsangebot, das er beim Papst eingereicht hat. Dass Franziskus Woelki im Amt belässt, ist für beide eine Bürde. Für den Kardinal beginnt nun eine Phase der Bewährung, die nicht leicht wird. Franziskus wird einen hohen Preis zahlen müssen, wenn der Neuanfang nicht gelingt. Woelki spricht zwar von eigenen Fehlern und Schuld, von der eigenen Mitverantwortung dafür, dass “ diese Zeit für viele Menschen in unserer Kirche eine so belastende Zeit ist“.

Kardinal Rainer Maria Woelki am Nachmittag auf dem Weg zu einem Empfang im Maternushaus in Köln. (Quelle: dpa)

Verhärtungen gelöst?

Vier Seiten Werben für einen Neuanfang legte Kardinal Rainer Maria Woelki seinem Erzbistum heute vor. Er lässt erkennen, dass die Auszeit für ihn eine „schwere Zeit“ war, „der inneren Auseinandersetzung, der Konfrontation, des Revue-passieren-Lassens, des Eingestehens, des Verabschiedens, des tastenden Neuanfangs“. Es sei eine Zeit gewesen, mich den Versäumnissen, den Fehlern und der Schuld in meinem Leben zu stellen und dabei auch Gelungenes und den Zuspruch zu sehen und wertzuschätzen – und aus beidem zu lernen“. Er spricht davon, dass manches in Bewegung gekommen sei, was sich „in der immer angespannteren kirchlichen Situation und zunehmenden, oft sehr persönlichen Anfeindungen meiner Person in unguter Weise in mir verhärtet hatte“.

Woelki scheint erkannt zu haben, dass sich die Kritik an seiner Person nicht nur um die Frage der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals und die Debatte um Missbrauchsgutachten dreht, sondern auch andere Bereiche betroffen sind. Die Verhärtungen beträfen „Zusammenhänge von Beteiligung und Leitung, Möglichkeiten der pastoralen Entwicklung sowie notwendige Reformen in der Kirche bis hin zu systemischen Veränderungen, welche die Realitäten von sexuellem, geistlichem und strukturellem Missbrauch auch mir aufgeben“. Richtungsweisend sei für ihn beim Nachdenken und Handeln die Perspektive der von Missbrauch Betroffenen. Ein Manko des Briefes ist, dass er sich an keiner Stelle direkt an die Betroffenen wendet. Das wäre wichtig gewesen, denn es gab in der Kommunikation mit den Betroffenen in der Vergangenheit entscheidende Fehler.

Offen, angstfrei und ehrlich reden

Der Kardinal möchte Räume schaffen, um „offen, angstfrei und ehrlich“ mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. „Dazu gehört vor allem, Ihnen zuzuhören: Ihrer Enttäuschung, Ihrem Ärger, Ihren Vorwürfen genauso wie Ihren Erwartungen, Wünschen, Ihrem Zuspruch und Ihren guten Ideen. Ich bitte Sie, geben Sie dem, geben Sie mir, Gelegenheit dazu.“ Er werde überall dorthin kommen, „wo Sie mir ihre Türen öffnen“. Er ist sich bewusst, dass nach der Auszeit die Arbeit erst so richtig beginnt. „Eine Auszeit löst keine Probleme“, stellt er fest. Versöhnung könne „nur in einem Miteinander gedacht, gewagt, konkret versucht werden“. Worte, denen jetzt Taten folgen müssen. Würde der Papst den Rücktritt in naher Zukunft annehmen, wie heute Reformgruppen in einer ersten Reaktion fordern, hätte Woelki den Brief so nicht schreiben brauchen. Dann hätte es ein Abschiedsbrief sein müssen. Die naheliegenden Handlungsmuster sind für den Vatikan offenbar keine Option.

Dem Druck der Mehrheit der Gläubigen und auch vieler Priester im Erzbistum, die eine Rückkehr Woelkis ablehnten, will man sich nicht beugen. In wenigen Wochen wir erkennbar sein, ob Woelki den Weg des Bittens um einen Neuanfang wirklich selbst wollte oder ob er doch eher von den vatikanischen Entscheidern gedrängt wurde. Völlig offen ist, ob seine Kritiker das Gespräch überhaupt wollen, ob sich wirklich Türen öffnen für ihn. Der Subtext des Briefes lässt erkennen, dass hier ein einsamer Hirte eine große Herde um eine Chance bittet. Damit wird einmal mehr klar, wie die Situation im Erzbistum Köln ist. Spannend wird sein, was die Einsicht Woelkis für Konsequenzen hat, dass es „systemische Veränderungen“ in der katholischen Kirche brauche. Nächste Woche sprechen die deutschen Bischöfe bei ihrer Frühjahrsvollversammlung in Vierzehnheiligen über den Synodalen Weg. Wird Woelki hier künftig anders agieren als in der Vergangenheit und Reformen mittragen? Das käme einem Wunder gleich; aber das scheint nötig, damit der Neuanfang in Köln gelingen kann.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

7 Kommentare

  • Erasmus
    02.03.2022, 22:43 Uhr.

    DIE WORTE HÖR‘ ICH WOHL …
    „Richtungsweisend war und ist mir dabei die Perspektive der von Missbrauch Betroffenen, das, was sie erlebt und erlitten haben, als Kompass für mein Nachdenken und Handeln – und auch für das Arbeiten an mir selbst.“ (WOELKI im Fastenbrief vom Aschermittwoch)
    Wie war das noch im Herbst 2020? Am 29. Oktober saßen Kardinal Woelki, Generalvikar Hofmann, zwei Rechtsprofessoren und der Beirat für Missbrauchsbetroffene in einer eilig einberufenen Sitzung zusammen. Der Erzbischof war mit dem Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl unzufrieden und suchte nach Legitimierungsargumenten für sein Vorhaben, ein zweites Gutachten auf den Weg zu bringen. Zu diesem Zweck INSTRUMENTALISIERTE ER ausgerechnet MISSBRAUCHSOPFER. Die herbeigerufenen Betroffenen werden von den Juristen in die Richtung indoktriniert, dass das WSW-Gutachten mangelhaft sei. Ohne die Chance gehabt zu haben, das Gutachten einzusehen, wird der Sprecher des Betroffenenbeirats, Patrick Bauer, zu einer später vom Erzbistum zitierten Aussage gedrängt: „Wir sind enttäuscht und wütend, dass die Münchener Kanzlei derart schlecht gearbeitet und damit (das) Versprechen einer gründlichen, juristisch sauberen Aufarbeitung gebrochen hat.“
    Bauer distanziert sich später von seiner eigenen Aussage und legt den Sprecherposten nieder. Einige Mitglieder verlassen den Beirat und erklären in Interviews, dass sie sich EIN WEITERES MAL MISSBRAUCHT fühlten.“
    Wenn es um seine Macht und seinen erzbischöflichen Stuhl geht, kennt Woelki weder SKRUPEL noch finanzielle Grenzen. Trotz einer vielköpfigen „Hauptabteilung Medien und Kommunikation“ hat Woelki 820.000 EUR für PR-Beratung ausgegeben. Hinzu kommen 588.000 EUR für Rechtsberatung und gut 1,27 Millionen Euro für zwei juristische Gutachten. Das alles ohne das vorgeschriebene Plazet der zuständigen Gremien.
    Den jetzt vom Rückkehrer eingeschlagenen Weg halte ich für eine gemeinsame Strategie von Papst Franziskus und Kardinal Woelki. Wenn der präferierte Wiedereinstieg in Köln nicht klappt, nimmt Franziskus das Rücktrittsgesuch des Kardinals an, und schon tut sich ein ATTRAKTIVER POSTEN im Vatikan auf. Gegenwärtig ist nämlich die Leitungsposition des vatikanischen „Entwicklungsministeriums“ vakant, das sich um Migranten, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Entwicklungspolitik kümmert. Für Woelki geradezu maßgeschneidert.

    • Wanda
      03.03.2022, 16:17 Uhr.

      Erasmus 02.03. 22:43
      – Deprimierend… Kurz eine persönliche Anmerkung: habe hier schon einmal erklärt, dass ich (ungläubig) in einer streng katholischen aber liebevollen Familie aufwuchs und erzogen wurde. Zweifel waren überhaupt kein Thema. Das Wort unseres sehr beliebten und lebensfrohen, realistischen Pfarrers war Gebot. Trotz meiner später eher atheistischen als agnostischen Weltanschauung war mir die röm.-kath. Kirche immer wertvoll und zwar als eine breit akzeptierte Vermittler-Institution bei internationalen Konflikten und drohenden militärischen Auseinandersetzungen. Diese ihr zuerkannte moralisch-ethische Reputation ist leider kaum noch erkennbar. Ein enormer Verlust, dessen Auswirkungen noch gar nicht absehbar sind und dabei denke ich durchaus an die aktuelle Tragödie um die Ukraine…

  • Wanda
    02.03.2022, 23:31 Uhr.

    Einfach unmöglich, damit ist es nicht getan. Die röm.-kath. Amtskirche ist auf diese Weise nicht reformfähig und Papst Franziskus offenbar nicht reformwillig oder aber nicht fähig. Nun wird endlich auch in SPANIEN der Missbrauch als Thema angegangen: man will das deutsche Vorgehen mit einer unabhängigen Untersuchungskommission zum Vorbild nehmen. Weitere Länder, wo sich der Klerus bisher sperrte, werden folgen (siehe Lateinamerika). Höchste Zeit…

  • Novalis
    03.03.2022, 10:20 Uhr.

    Allein, dass es bislang im Erzbistum Köln KEINE Räume für angstfreies Reden gibt – gäbe es sie, müssten sie ja nicht geschaffen werden-, ist entlarvend.

    • Wanda
      05.03.2022, 14:44 Uhr.

      @Novalis 03.02. 10:20
      – Muss gestehen, habe nie davon gehört. Sind diese „Räume für angstfreies Reden“ eine Laien-Initiative ?

      • Novalis
        07.03.2022, 13:40 Uhr.

        Nein, das steht oben, das ist metaphorisch.

  • Heilbründl
    05.03.2022, 8:48 Uhr.

    Es wurde von Größe zeigen, freiwillig nicht mehr anzutreten.

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