Radikale Umkehr für die Kirche
Die Nachricht des Tages kommt heute aus Kuba. Dort hat der Erzbischof von Havanna, Jaime Lucas Ortega y Alamino, jetzt die Rede veröffentlicht, die Kardinal Bergoglio im Vorkonklave gehalten hat. Seit Tagen ist bekannt, dass diese kurze Ansprache von dreieinhalb Minuten die versammelten Kardinäle nachdrücklich beeindruckt hat. Was bei Joseph Ratzinger 2005 die Predigt beim Gottesdienst zum Einzug ins Konklave mit der berühmten Formulierung von der „Diktatur des Relativismus“ war, war bei Bergoglio diese kurze Rede vier Tage vor Beginn des Konklaves am 8. März. Kardinal Ortega bat hinterher Bergoglio um einige schriftliche Notizen des Vortrags. Mit ausdrücklicher Zustimmung des Papstes, so der kubanische Kardinal, habe er sie nun veröffentlicht.
Vier Punkte trug Bergoglio vor, die so etwas wie sein Regierungsprogramm sind. Einige der Inhalte haben sich schon in den Worten und Gesten der ersten Tage des Pontifikats abgezeichnet. Eigentliche Aufgabe der Kirche, so Bergoglio im Vorkonklave, sei die Evangelisierung. Die Kirche sei deshalb dazu berufen, aus sich herauszugehen und in die Peripherien zu gehen, nicht nur geografisch, sondern auch existentiell; also dorthin wo Sünde, Schmerz, Ungerechtigkeit, Ignoranz und jede Form von Elend herrschten. Wenn die Kirche nicht so aus sich herausgehe, werde sie selbstreferenziell. Es komme zu einem theologischen Narzissmus. Eine selbstreferenzielle Kirche schließe Christus in sich ein und lasse ihn nicht hinaus in die Welt. Letztendlich sei eine solche Kirche eine „verweltlichte Kirche“. In Anlehnung an den Konzilstheologen Henri de Lubac (1896-1991) bezeichnet Bergoglio dies als das „schlimmste Übel“, das über die Kirche kommen könne. Da klingt übrigens etwas von der Aufforderung der Entweltlichung der Kirche Benedikts XVI. an, die er in seiner Freiburger Rede im September 2011 gefordert hatte.
Der Begriff der „spirituellen Mondänität“ Lubac’s taucht bei Kardinal Bergoglio immer wieder auf. 2007 etwa in einem Interview nach dem Konsistorium, dem Treffen aller Kardinäle in Rom, sagte der damalige Erzbischof von Buenos Aires: „Spirituelle Mondänität ist, wenn man sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Es ist das, was Jesus unter den Pharisäern erkennen kann: ‚Ihr, die ihr euch selbst verherrlicht, die ihr einander selbst verherrlicht.’“ Eine solche Kirche bezeichnete Bergoglio jetzt im Vorkonklave als „weltliche Kirche“, die in sich selbst, aus sich selbst und für sich selbst lebe. Vor diesem Hintergrund müsse man mögliche Veränderungen und Reformen der Kirche angehen, die notwendig seien für die Rettung der Seelen. Der neue Papst, so Bergoglio abschließend, müsse aus der Betrachtung und Verehrung Christi heraus der Kirche helfen, zu den „existentiellen Peripherien“ zu gehen.
Das ist es, was Franziskus nun umzusetzen versucht. Bei seiner ersten Generalaudienz heute etwa beklagte er, dass es zu viele Pfarreien gebe, die in sich verschlossen seien. „Uscire, uscire, uscire!“ lautet die Devise des neuen Pontifex, der übrigens auch heute wieder nur auf Italienisch sprach. Selbst seine Grüße an die fremdsprachigen Pilger ließ er zusammen mit einer Kurzfassung seiner Rede von Mitarbeitern des vatikanischen Staatssekretariats vortragen – auch auf Spanisch, seiner Muttersprache. Franziskus will eine Kirche, die bei den Menschen ist, die herauskommt aus der Sakristei, aus Eitelkeiten und Karrierismus. Franziskus’ Botschaft heute: „Herausgehen aus sich selbst, aus einer Art, den Glauben müde und gewohnheitsmäßig zu leben, aus der Versuchung, sich in den eigenen Schemata einzuschließen, die letztendlich dazu führen, den Horizont des kreativen Handelns Gottes zu beschneiden.“
P.S. Die „Autoreform“ (bitte hier nicht missverstehen – „auto“ im Sinne von automatisch) geht übrigens weiter. Dem Vernehmen nach benutzt jetzt auch Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone nicht mehr die große Limousine, mit der er noch im Vorkonklave täglich vorgefahren ist, sondern ein kleineres Modell eines Herstellers, der auch in Köln produziert.
P.P.S. Es wirkt schon etwas seltsam, wenn der Papst die fremden Sprachgruppen auf Italienisch grüßt und diese Grüße dann übersetzen lässt. Denn eigentlich spricht Franziskus ja neben Spanisch und Italienisch auch Deutsch, Englisch und Französisch sowie etwas Portugiesisch. Offiziell heißt es, dass der Papst keine Sprache bevorzugen oder benachteiligen will. Daher spreche er zunächst nur Italienisch. Das könne sich aber noch ändern. Wie an vielen anderen Stellen gilt auch für die Sprachen: Man ist in einer Phase des Experimentierens und Eingewöhnens. Gespannt darf man sein, ob Franziskus am Ostersonntag in über 60 Sprachen grüßen wird, wie das seine Vorgänger gemacht haben. Angeblich soll es so sein. Es bleibt spannend!
P.P.P.S. Im vatikanischen Presseamt wurde heute eine DVD vorgestellt, die das Vatikanfernsehen über den Pontifikatswechsel zusammengestellt hat. 50 Minuten emotionale Bilder wurden versprochen. Allerdings gab es noch kein Ansichtsexemplar für Journalisten. Die italienische Fassung wird ab 2. April mit der Tageszeitung Corriere della Sera verkauft. Verraten wurde aber schon, dass Kardinal Comastri in dem Film mit Zustimmung von Franziskus das Geheimnis der ersten Worte des neuen Papstes nach der Wahl lüftet. Kardinal Bergoglio sagte demnach: „Ich bin ein großer Sünder. Vertrauend auf die Barmherzigkeit und Geduld Gottes, unter Schmerzen nehme ich [die Wahl] an.“