Historisches im Vatikan

Gleich zweimal gab es in dieser Woche ein historisches Ereignis im Vatikan. Das eine sorgte für Schlagzeilen, das andere schaffte es nicht, große Aufmerksamkeit zu erzeugen. Heute haben zum ersten Mal seit 500 Jahren die Oberhäupter der katholischen und der anglikanischen Kirche gemeinsam gebetet. Papst Leo XIV. und König Charles III. nahmen an einem Gottesdienst in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan teil. Zuvor hatten sich die beiden bei einer Privataudienz getroffen. Es gab keine öffentlichen Reden beim Besuch des britischen Königspaars im Vatikan, dafür sprachen die Zeichen. Am Nachmittag wurde Charles Königlicher Konfrater in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern, Leo XIV. im Gegenzug Päpstlicher Mitbruder der Sankt-Georgs-Kapelle in Windsor Castle. Während der Besuch des britischen Königspaars im Fokus des Medieninteresses stand, nahm kaum jemand Notiz vom Treffen Papst Leos mit einer Gruppe von Betroffenen sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche. Dieses fand am Montag statt und wurde von den Teilnehmenden als historisch bezeichnet.

Historischer Gottesdienst in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan. (Foto: AFP/VaticanMedia)

Ökumenischer Gottesdienst

Vor 40 Jahren wollte der damalige Thronfolger Prinz Charles bei einem Besuch im Vatikan an einem Gottesdienst von Johannes Paul II. teilnehmen. Doch Königin Elisabeth II. sah die Zeit noch nicht reif für einen solchen Schritt. Heute war es soweit. Im Herzstück des Vatikans fand ein schlichter ökumenischer Gottesdienst statt, umrahmt von Gesängen des päpstlichen Chores, der Cappella Sistina, und auf anglikanischer Seite vom Chor der St. George’s Chapel im Schloss Windsor und dem Kinderchor der Königlichen Kapelle des St. James’s Palace. Der englische König ist das weltliche Oberhaupt der anglikanischen Kirche. Das geistliche Oberhaupt ist der Erzbischof von Canterbury. Der Posten ist aktuell vakant.

Anfang des Jahres war der langjährige Erzbischof Justin Welby zurückgetreten. Vorausgegangen waren Vorwürfe, er habe Missbrauchsfälle nicht konsequent aufgearbeitet. Zwar wurde die Bischöfin von London, Sarah Mullally, gerade vor wenigen Wochen zur Nachfolgerin bestimmt. Doch sie tritt ihr Amt erst Anfang 2026 an. So wurde der König jetzt vom Interims-Ehrenoberhaupt der Anglikanischen Kirche, dem Erzbischof von York, Stephen Cottrell, begleitet. Der leitete gemeinsam mit dem Papst den ökumenischen Gottesdienst in der Sistina. Leo XIV. zusammen mit einer anglikanischen Erzbischöfin als Vorsteher eines Gottesdienstes im Herzen des Vatikan. Dazu kam es dann heute aus den genannten Gründen doch nicht.

Missbrauch wichtiges Thema

Am Montag gab es bereits eine Premiere. Leo XIV. hatte Vertreter einer internationalen Organisation von Betroffenen sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche getroffen. Es war das erste Mal, dass ein Papst eine Opferorganisation getroffen hat. Bisher gab es nur Begegnungen von Päpsten mit einzelnen Betroffenen. Deshalb bezeichneten die Teilnehmer des Treffens, darunter der Begründer der deutschen Initiative Eckiger Tisch, Matthias Katsch, das gut einstündige Treffen als historisch. Die Organisation ECA (Ending Clergy Abuse – Missbrauch durch Kleriker beenden) vertritt nach eigenen Angaben Betroffene aus 30 Ländern.

Nach dem Treffen zeigte sich Katsch überzeugt, dass der Papst entschlossen handeln wolle mit Blick auf das Thema Missbrauch. Er sei aber noch dabei, über die richtigen Schritte zu entscheiden. Leo habe die Gruppe ermutigt, ihren Weg weiterzugehen und zugesagt, dass es weiteren Kontakt geben soll etwa mit der Päpstlichen Kinderschutzkommission. Die ECA-Vertreter hoffen, dass es in der Folge der Audienz weitere Gespräche mit hochrangigen Kurienvertretern geben werde. Bisher habe es nur ein Treffen mit Vertretern des Dikasteriums für die Gesetzestexte gegeben. Sie hoffen jetzt auf einen Kontakt mit dem Glaubensdikasterium, das im Vatikan für das Thema Missbrauch in erster Linie zuständig ist.

Nach dem Treffen mit dem Papst. Der ECA-Vorstand zieht eine positive Bilanz. (Foto: Erbacher)

In den vergangenen Wochen waren Zweifel darüber aufgekommen, wie Papst Leo beim Thema Missbrauch agieren wird. In einem Interview, das Ende September veröffentlicht wurde, hatte er sich dazu geäußert. Dabei hatte er auf eine entsprechende Frage der Journalistin sehr ausführlich und abgewogen geantwortet. In der Öffentlichkeit wurde meist nur seine Feststellung wahrgenommen, die Kirche könne sich „nicht ausschließlich auf dieses Thema konzentrieren“. Zugleich hatte Leo betont, dass die Betroffenen gehört und begleitet werden müssten. Auch an anderer Stelle hatte er deutlich gemacht, dass er das Thema ernst nehme und nichts unter den Teppich gekehrt werden dürfe. Die ECA-Vertreter, die den Papst am Montag getroffen haben, zeigten sich vorsichtig optimistisch, dass Leo XIV. das Thema voranbringen werde.

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Jürgen Erbacher

Seit August 2024 leite ich die ZDF-Redaktion "Religion und Leben", in der die Redaktion "Kirche und Leben katholisch", deren Leiter ich seit Juli 2018 war, aufgegangen ist. Für das ZDF arbeite ich seit 2005 und berichte über Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

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