Der Papst in Belgien – Tag 1
Das Thema Missbrauch war das bestimmende Thema am ersten Tag des Besuchs von Papst Franziskus in Belgien. Sowohl König Philippe als auch der belgische Premier De Croo sprachen es bei der Begrüßung des Papstes am Morgen mit deutlichen Worten an. Franziskus griff es in seiner Ansprach auf und ging weit über das vorbereitete Redemanuskript hinaus. „Der Missbrauch von Minderjährigen ist eine Schande. Diese Schande müssen wir anerkennen, um Vergebung bitten und das Problem lösen“, erklärte er beim Treffen mit Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft in Brüssel. Auch beim Besuch an der katholischen Universität Löwen am Nachmittag war der Missbrauchsskandal und der immense Vertrauensverlust der Kirche Thema. Am Abend traf sich der Pontifex mit 17 Betroffenen sexualisierter Gewalt.
Ungewöhnlich scharfe Kritik der Politik
Es wirkte beinahe wie ein Schlagabtausch zwischen König, Premier und Papst. Wie in vielen anderen Ländern Europas steht auch die katholische Kirche in Belgien in der Kritik wegen des Umgangs mit sexualisierter Gewalt. Im Januar hatte der Papst den ehemaligen Bischof von Brügge, Roger Vangheluwe, aus dem Klerikerstand entlassen. Er war 2010 zurückgetreten, nachdem er zugegeben hatte, seinen Neffen 13 Jahre lang missbraucht zu haben. Eine Untersuchung der belgischen Bischofskonferenz führte damals mehr als 500 Betroffene sexualisierter Gewalt durch Geistliche auf. König Philippe griff in der Begrüßung des Papstes am Morgen als erster das Thema auf, schilderte noch eher neutral das Engagement von Franziskus. „Sie haben konkret gehandelt, um diese abscheuliche Gewalt zu bekämpfen. Kinder wurden schrecklich verletzt und fürs Leben gezeichnet“, erklärte der König. Der Monarch stellte aber auch kritisch fest: „Es hat so lange gedauert, bis ihre Schreie gehört und anerkannt wurden.“
Deutlicher wurde im Abschluss der Premierminister. Vertuschung dürfe nicht akzeptiert werden, konstatierte Alexander De Croo. Worte reichten nicht mehr aus, konkrete Schritte seien notwendig. „Die Opfer müssen gehört werden. Sie müssen einen zentralen Platz einnehmen. Sie haben ein Recht auf die Wahrheit“, forderte der Regierungschef. Es müsse Gerechtigkeit herrschen. Dies sei nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch ein grundlegender Schritt zur Wiederherstellung des Vertrauens. „Die Menschenwürde steht an erster Stelle und nicht die Interessen der Institution. Um in die Zukunft blicken zu können, muss die Kirche ihre Vergangenheit aufklären. Um in die Zukunft blicken zu können, muss die Kirche ihre Vergangenheit aufklären.“
Franziskus antwortet klar
So klar wurde selten im Angesichts des Papstes dieses Thema angesprochen. Franziskus applaudierte dem Premier und reagierte, fügte dem vorbereiteten Redetext in der Passage zum Missbrauch deutliche Worte hinzu. Er sprach von einer „Geißel, gegen die die Kirche entschieden und entschlossen vorgeht, indem sie den Verwundeten zuhört und sie begleitet und weltweit ein umfassendes Präventionsprogramm durchführt“. Er verglich den Missbrauch mit den Massakern an den unschuldigen Kindern durch König Herodes. „Heute gibt es dieses Verbrechen in der Kirche; die Kirche muss sich schämen und um Vergebung bitten und versuchen, diese Situation mit christlicher Demut zu lösen.“ König, Premierminister und Papst äußerten sich in dem Kontext auch zum Thema Zwangsadoptionen, die De Croo zusammen mit dem Missbrauch als „schmerzhafte Wunden“ bezeichnete.
In seiner politischen Rede hatte Franziskus am Morgen auf dem königlichen Landsitz Schloss Laeken Belgien als eine Brücke bezeichnet, „die den Handel fördert, die Kulturen miteinander in Austausch bringt und zum Dialog führt“. Europa brauche Belgien, um auf dem Weg des Friedens und der Geschwisterlichkeit unter den Völkern weiterzugehen. „Dieses Land erinnert alle anderen daran, dass man die Büchse der Pandora öffnet, dass alle Winde heftig zu wehen beginnen und das Haus erschüttern und zu zerstören drohen, wenn man unter den verschiedensten und unhaltbaren Vorwänden beginnt, Grenzen und Verträge nicht mehr zu respektieren und es den Waffen überlässt, Recht zu schaffen und das geltende Recht umzustoßen.“ Franziskus mahnte, „wir sind nahe an einem quasi weltweiten Krieg“.
Offene Diskussionskultur gefordert
Am Nachmittag besuchte Franziskus die katholische Universität Löwen und traf sich dort mit Dozenten. Die 600-Jahr-Feier der Universität im kommenden Jahr ist der Hauptgrund für den Besuch des Papstes in Belgien. Auch bei diesem Termin gab es neben würdigenden Worten für den Papst auch kritische Töne mit Blick auf die katholische Kirche. Der Rektor der Universität, Luc Sels, fordert eine offene Diskussionskultur. Den notwendigen Raum für abweichende Meinungen, der Umgang der Kirche mit Homosexualität und die Frage nach der Rolle der Frau in der Kirche bis hin zum Priesteramt sprach der Soziologe an. Franziskus ermutigte die Dozenten in seiner Ansprach, die Grenzen des Wissens zu erweitern. „Das brauchen wir: eine Kultur, die die Grenzen weit macht, die weder ‚sektiererisch‘ ist, noch sich über andere erhebt, sondern im Gegenteil, in den Teig der Welt einen guten Sauerteig einbringt, der zum Wohl der Menschheit beiträgt.“
Zwei Wochen nur liegen zwischen der 45. und der 46. Auslandsreise. Doch die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein. In Südostasien viel Anerkennung für den Papst und die katholische Kirche, in Belgien, im Herzen Europas, wird trotz Wertschätzung für den Pontifex und dem Jubel hunderter Menschen am Straßenrand viel Kritik laut. Beides ist Realität, der sich Franziskus stellt.
Ein Kommentar
Ich finde gut, wie konstruktiv unser Papst die Kritik aufnimmt. Vielleicht sollte man auch berücksichtigen, dass es viele Gegenden in der Welt gibt, in denen unser Papst dafür niedergemacht wird und in denen Bischöfe immer noch glauben, dass es bei ihnen keinen Missbrauch gebe. Das sind meist dieselben Gegenden, in denen Priester Nonnen vergewaltigen, Frauen und Schwule als minderwertige Menschen 2. Klasse gelten, das Kondomverbot von JP2 als der Weisheit letzter Schluss und B16 für das Hochhalten der Antisemitismen enthaltenden Messe von 1962 gelobt wird.
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