Papst: „Hört auf den Schrei des Blutes“
Papst Franziskus hat am zweiten Tag seines Besuchs in der Demokratischen Republik Kongo die Gewalt im Land scharf verurteilt. „Bringt die Waffen zum Schweigen, bereitet dem Krieg ein Ende. Es reicht!“ rief er den internen und externen Kräften zu, die seit Jahren für bewaffnete Gewalt, Massaker und Vergewaltigungen verantwortlich sind, für Plünderung und Zerstörung von Dörfern vor allem im Osten des Landes. Beim Treffen mit Opfern berichteten diese von der brutalen Gewalt, mit der Täter vorgehen. Am Morgen hatte Franziskus beim Gottesdienst in der Hauptstadt von Kinshasa die rund eine Million Teilnehmenden dazu aufgefordert, sich für Frieden und Versöhnung einzusetzen. Zum Abschluss des Tages traf Franziskus Vertreter verschiedener Sozialeinrichtungen. Die katholische Kirche ist im Bildungs- und Sozialbereich sehr aktiv in der Demokratischen Republik Kongo.
Für eine „Amnestie der Herzen“
Das Land und die Menschen leiden hier im Kongo an vielen Stellen: Korruption, Ungerechtigkeit und Gewalt bestimmen das Leben. Bei allen Gelegenheiten macht Papst Franziskus deutlich, dass er diese Schicksale wahrnimmt und findet tröstende Worte. Beim Gottesdienst am Morgen spricht er von den „brennenden Wunden, die ständig von Hass und Gewalt infiziert werden, während die Medizin der Gerechtigkeit und der Balsam der Hoffnung nie einzutreffen scheinen“. Doch die Menschen sollten nicht in Frustration, Traurigkeit und Angst verharren. Er zeigt sich überzeugt, dass die Botschaft Jesu eine Perspektive aufzeigen könne. Sie helfe von Groll und Missgunst zu befreien. Franziskus fordert eine „Amnestie der Herzen“. Vergeben bedeute nicht, das Geschehene zu vergessen. Doch für den Papst ist es die einzige Möglichkeit, aus der Gewalt- und Hassspirale auszubrechen.
Eine zweite Quelle des Friedens sei die Gemeinschaft. „Es gibt kein Christentum ohne Gemeinschaft, genauso wie es keinen Frieden ohne Geschwisterlichkeit gibt“, betonte Franziskus in seiner Predigt. Wie schon bei der Ankunft erklärte er, „dass ethnische, regionale, soziale und religiöse Unterschiede nachgeordnet sind und kein Hindernis darstellen, dass die anderen Brüder und Schwestern sind, Mitglieder derselben menschlichen Gemeinschaft“. Entsprechend seien die Christen dazu berufen, „ein Friedensgewissen der Welt zu sein: nicht nur kritische Gewissen, sondern vor allem Zeugen der Liebe; nicht Verfechter der eigenen Rechte, sondern derjenigen des Evangeliums: der Geschwisterlichkeit, der Liebe und der Vergebung; nicht Verfolger der eigenen Interessen, sondern Missionare der verrückten Liebe, die Gott für einen jeden Menschen hat.“
Vom doppelten „Nein“ und doppelten „Ja“
Ein emotionaler Moment war die Begegnung mit den Opfern von Gewalt am Mittwochnachmittag. Eigentlich wollte Franziskus in den Osten des Landes reisen, doch die Sicherheitslage verhinderte das. So kam eine kleine Gruppe von Betroffenen nach Kinshasa, um den Papst zu treffen. Sie berichteten von unvorstellbaren Verbrechen. Ladislas Kambale Kombi, 16, wurde Augenzeuge, wie sein Vater brutal ermordet, der Leichnam zerstückelt wurde. Kambale Kakomi Fiston, 13, wurde neun Monate von Entführern festgehalten. Die heute 17-jährige Vengo da Walikale berichtete, wie sie 2020 verschleppt und anschließend über 19 Monate immer wieder misshandelt und vergewaltigt wurde, manchmal mehrmals täglich. Sie wurde schwanger. Es gelang ihr die Flucht. Sie brachte Zwillinge zur Welt.
Scharf waren die Worte von Papst Franziskus als Reaktion in Richtung der Täter solcher Gräueltaten. Er sprach von einem Krieg, „der durch eine unersättliche Gier nach Rohstoffen und Geld entfesselt wird, die eine Kriegswirtschaft antreibt, die nach Instabilität und Korruption verlangt“. Er sprach von einem Skandal und Heuchelei: „Menschen werden vergewaltigt und getötet, während die Geschäfte, die Gewalt und Tod verursachen, weiter gedeihen!“ Er rief zu einem doppelten „Nein“ zu Gewalt und Resignation sowie einem doppelten „Ja“ zu Versöhnung und Hoffnung auf. Ein Schlüsselwort für ihn auch an dieser Stelle: die Gemeinschaft und Geschwisterlichkeit. „Man kann die Zukunft nicht aufbauen, wenn man in den eigenen Partikularinteressen verharrt, sich in die eigenen Gruppierungen, Ethnien und Clans zurückzieht.“ Grundlegend dafür sei es, die „Herzen zu entmilitarisieren“. Das bedeute nicht, Böses nicht anzuprangern, und auch keine Straffreiheit für Gräueltaten. Es gehe vielmehr darum, „das Gift zu entfernen, den Groll abzulegen, die Gier zu entschärfen, das Ressentiment auszulöschen; zu all dem ‚Nein‘ zu sagen, scheint schwach zu machen, aber in Wirklichkeit macht es frei, weil es Frieden gibt. Ja, Friede kommt aus den Herzen, aus Herzen, die frei von Groll sind“.
Keine Alternative zur Versöhnung?
Franziskus mahnte auch am zweiten Tag seiner Afrikareise die externen Kräfte, die für Gräueltaten mitverantwortlich sind oder diese gar anfachen. „Ich richte einen eindringlichen Appell an alle Menschen, an alle internen und externen Kräfte, die die Fäden des Krieges in der Demokratischen Republik Kongo ziehen und das Land ausplündern, geißeln und destabilisieren. Ihr bereichert euch durch die illegale Ausbeutung der Güter dieses Landes und die blutige Opferung von unschuldigen Menschen.“ Sie sollten auf den Schrei des Blutes hören und dem Krieg ein Ende setzen. „Es reicht!“
In Respekt verneigt sich Franziskus vor dem Leid der Menschen, mit scharfen Worten kritisiert er die Peiniger sowie die Kräfte, die hinter diesen stecken, zugleich ermutigt er, wider alles Erwartbare Hoffnung zu haben, und sich für Frieden einzusetzen. Vielleicht ist es weniger Idealismus als Realismus, der den Papst dabei antreibt. Denn am Ende gibt es keine Alternative. Hass bringt neuen Hass hervor, Gewalt neue Gewalt. Wer, wenn nicht der Papst, muss davon überzeugt sein, dass die Botschaft Jesu eine Botschaft der Hoffnung wider alles Erwartbare ist und ein Handeln nach seinem Beispiel zu einem besseren Miteinander führen kann. Letzten Endes hat der Papst nichts anderes anzubieten, als Mut zu machen, diesem Weg zu folgen.