Zum Tod von Benedikt XVI.

Es war eine kleine Sensation, wenn auch für viele nicht überraschend: die Wahl von Joseph Ratzinger zum Nachfolger von Johannes Paul II. am 19. April 2005. Erstmals seit mehr als 500 Jahren wieder ein Deutscher auf dem Stuhl Petri. Knapp acht Jahre lang führte Benedikt XVI. die Geschicke der katholischen Kirche. Geprägt hat er sie über ein halbes Jahrhundert – angefangen als junger Theologe beim II. Vatikanischen Konzil Mitte der 1960er Jahre, dann ab 1982 als Präfekt der Glaubenskongregation an der Seite von Johannes Paul II. und schließlich als Papst. Kein anderer Kirchenmann drückte dem ältesten Global Player der Welt in der jüngeren Vergangenheit seinen Stempel so auf, wie er es tat – im Guten wie im Schlechten. Sein Credo: die Welt braucht eine Kirche mit einem klaren katholischen Profil.

Benedikt XVI. bei seiner letzten Generalaudienz als Papst am 27. Februar 2013 im Vatikan.(Quelle: dpa)

Vom Konzilsberater zum Papst

95 Jahre in wenige Zeilen zu pressen ist schwierig, gerade angesichts einer so vielschichtigen Person wie Joseph Ratzinger. Zu Zeiten des II. Vatikanischen Konzils gehörte er zu den schärfsten Kritikern des damaligen Status quo. So schien ihm etwa das Vorgehen der Vatikanischen Glaubenskongregation gegen vermeintliche Abweichler als zu hart. Später führt er selbst mit eiserner Hand den Kampf gegen Theologen, die aus seiner Sicht vom katholischen Kurs abweichen. Mit dem Vorgehen gegen viele Befreiungstheologen in Lateinamerika erstickt er im Auftrag von Johannes Paul II. die Inkulturation des katholischen Glaubens auf dem südamerikanischen Kontinent. Die Folgen sind bis heute verheerend.

Wie weit es dabei wirklich um theologische Fragen ging oder nicht doch viel stärker politische Überlegungen eine Rolle spielten, müssen die Historiker noch klären. Opferte Johannes Paul II. die Befreiungstheologie für seinen Kampf gegen den Kommunismus – sprich unterdrückte er für die USA jegliche Unterstützung kirchlicher Stellen für die unliebsamen sozialistischen Ansätze in Südamerika und bekam dafür Hilfe für seine geopolitischen Ziele in Osteuropa? Ratzinger unterstützte jedenfalls den Kurs des Papstes. In den Reden bei seinen Besuchen in Mittel- und Südamerika als Papst zeichnete Benedikt XVI. später ein Bild der Kirche, das dem der Befreiungstheologie sehr nahekam. Auch er sprach vom sozialen Engagement an der Seite der Armen und Unterdrückten.

Katholisches Profil schärfen

Die Hoffnung, Benedikt XVI. wird als Papst milder agieren als der Kardinalpräfekt, erfüllte sich nicht. Joseph Ratzinger ist sich treu geblieben. Er sah die Welt im Relativismus versinken, dem aus seiner Sicht eine katholische Kirche mit klarem und geschärftem Profil entgegentreten müsse. Dafür taugte aus seiner Sicht eher die kleine Herde der 100-Prozentigen als ein laues Christentum, um Wirksamkeit in der Welt entfalten zu können. Entsprechend betonte er stärker das Katholische, fest verwurzelt in der Tradition, was an vielen Stellen zu Irritationen führte etwa in der Ökumene, aber auch in der Theologie, wenn es um Fragen der Moral ging wie das Verständnis von Ehe und Familie oder die Bewertung von Homosexualität.

Theologisch war Ratzingers Thema zeitlebens das Verhältnis von Glaube und Vernunft. Als Papst sah er seine Aufgabe darin, die Gottesfrage in einer zunehmend säkularisierten Welt wachzuhalten. Wie ein Missionar reiste er durch Europa. In London, Paris, Prag, Wien, Lissabon, Madrid und Berlin hielt er Grundsatzreden über das Verhältnis von Religion, Glauben, Politik und Gesellschaft in der Gegenwart. Er versuchte eine Debatte über ein gemeinsames Wertefundament anzustoßen, das aus seiner Sicht vom christlichen Glauben geprägt sein muss. So blieb er auch als Papst eher Theologe. Die politische Dimension des Amtes hatte er weniger im Blick. Das führte bisweilen zu Krisen wie bei der Regensburger Rede, wo er die politische Sprengkraft seiner Worte nicht bedachte. Allerdings setzte er auch politische Akzente etwa bei der Verteidigung der Religionsfreiheit oder der Bewahrung der Schöpfung.

Interne Reformen angestoßen

Als Papst hat er begonnen, interne Reformen anzupacken. Er legte den Grundstein für die Säuberung und Neuordnung der Finanzen im Vatikan. Er verschärfte die Regeln beim Thema Missbrauch, traf sich mit Betroffenen und bat öffentlich um Vergebung. Das ist anzuerkennen. Zugleich fehlte es an der letzten Entschlossenheit, hier an grundlegende strukturelle Reformen zu gehen, die Missbrauch in seinen vielfältigen Formen und dessen Vertuschung erleichtert oder gar erst ermöglicht haben. Dass er dabei am Ende zwar eine Verantwortung der Institution sah, nicht aber eine persönliche, wiegt schwer und lässt Zweifel aufkommen, ob er das Problem wirklich verstanden hat. Wahr ist aber auch, dass er beim Thema Missbrauch auf enormen Widerstand innerhalb der Römischen Kurie und im Episkopat weltweit stieß. Das dürfte ein Punkt gewesen sein bei seinen Erwägungen zurückzutreten. Er dürfte klar erkannt haben, was notwendig gewesen wäre in diesem und vielen anderen Bereichen und konnte seine Kräfte gut einschätzen.

Seinen Wasserträgen schlug er ein Schnippchen mit dem Rücktritt. Viele haben diesen Schritt bis heute nicht überwunden, sehen das Papstamt beschädigt. Benedikt XVI. ließ sich dadurch nicht beirren, bereute seine Entscheidung bis zum Ende nicht. Dass er sich nach der Emeritierung immer wieder einmischte, war nicht gut. Doch es lässt sich schwer beurteilen, inwieweit diese Einlassungen aus eigenem Antrieb geschehen oder durch sein Umfeld motiviert waren. Sicher ist aber, dass Franziskus ihn immer wieder einlud, bei Zeremonien dabei zu sein. Es wirkte, als wolle er damit Kontinuität demonstrieren und zeigen, dass die Kirche auch mit einem zurückgetretenen Papst gut leben kann. Franziskus ließ dabei nie einen Zweifel daran, wer Herr im Hause ist.

Kontinuität und Übergang

Als Joseph Ratzinger 2005 zum Papst gewählt wurde, war er 78. Die Kardinäle wollten einen Übergangspapst. Nach dem langen und teils turbulenten Pontifikat von Johannes Paul II. von über 26 Jahren suchten sie einen Kandidaten, der einerseits für Stabilität, Kontinuität und eine gewisse Konsolidierung stand, zugleich die Kirche in ruhigere Gewässer führen konnte. Im Pontifikat von Benedikt XVI. wurden viele Probleme, die sich über Jahrzehnte aufgestaut hatten, wie in einem Brennglas deutlich und haben am Ende zur Wahl eines ganz anderen Typs Papst geführt: Franziskus.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

4 Kommentare

  • Novalis
    31.12.2022, 11:56 Uhr.

    Gott sei ihm ein gnädiger Richter. Möge er des ewigen Lichtes teilhaftig sein.

  • Erasmus
    01.01.2023, 22:34 Uhr.

    ES KANN NICHT SEIN, WAS NICHT SEIN DARF
    „… lässt Zweifel aufkommen, ob er das Problem (des sexuellen Missbrauchs) wirklich verstanden hat.“ (Erbacher)
    Meine Hypothese ist, dass die Übernahme von persönlicher Verantwortung für Benedikt KEINE OPTION war.
    Er war ein Mann der Kirche, dem es als Theologe wie auch als Amtsinhaber um den Dienst an der WAHREN, REINEN UND HEILIGEN römisch-katholischen KIRCHE ging. Als Glaubenspräfekt ekelten ihn Priester an, die ihre HEILIGE BERUFUNG verrieten und durch ihr Verhalten die Kirche beschmutzen. Konsequenterweise entließ er als Papst in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit rund 400 Priester wegen Kindesmissbrauchs.
    Im Hinblick auf den Umgang mit VERTUSCHENDEN BISCHÖFEN war Benedikt allerdings blockiert, denn er hatte als Erzbischof von München/Freising selbst vertuscht. Als 2010 dank Klaus Mertes SJ der klerikale Missbrauchsskandal in Deutschland öffentlich wurde, herrschte in München Alarmstufe rot. Denn jetzt galt es, unter allen Umständen die INTEGRITÄT DES PAPSTES Benedikt XVI. zu schützen, der sich als Garant der Schönheit, Reinheit und des Glanzes einer TRIUMPHALISTISCHEN KIRCHE verstand und qua Amt das Göttliche in der Welt verkörperte. Es konnte also nicht sein, was nicht sein darf. Ein schuldhaftes Verstrickt-sein von Erzbischof Joseph Ratzinger in das Missbrauchsdesaster war von vornherein ausgeschlossen, denn für einen Papst Benedikt kam nur die Rolle desjenigen in Frage, der sich den Opfern zuwandte und ihnen Gehör schenkte, und der sich im Namen der Institution Kirche für das entschuldigte, was Kindern und Jugendlichen an Entsetzlichem angetan wurde.
    Benedikts oberste Devise war, die Kirche und das Papstamt VOR SCHADEN zu BEWAHREN, und dieser Norm ordnete er alles andere unter. Was nicht passte, musste passend gemacht werden, wobei die WAHRHEIT auf der Strecke blieb. Benedikt ist es erspart geblieben, die Nicht-Haltbarkeit seiner argumentativen Konstruktionen per richterlichem Urteil miterleben zu müssen.

  • Wanda
    02.01.2023, 19:54 Uhr.

    Vor dem Richter (an den er angeblich glaubte) muß er nun Stellung beziehen. Verweigern geht da nicht mehr…

  • prospero
    04.01.2023, 18:32 Uhr.

    Es heißt zwar „De mortuis nihil nisi bene“ doch damit ist es bei der Bewertung des Joseph Ratzinger keineswegs getan.Als seine größte „Leistung“ ist tatsächlich seine Anpassungsfähig an die jeweiligen Entwicklungen zu beachten: Der zu den „jungen Wilden“ während Vaticanum II zählende Professor begann schon bald sein Mäntelchen in den Wind zu hängen und kritisierte angebliche postkonziliar Fehlentwicklungen. Dafür wurde er „von ganz oben“ mit höchsten Ehren ausgestattet – beachtlich war sein Karrieresprung zwischen März und Juni 1977 als er im Eilzugtempo von der Ernennung zum Erzbischof in München-Freising zum Kardinal avancierte.
    Die Berufung nach Rom 1981 und die Annahme Papstwahl 2005 wurden als die angebliche Konsequenz seiner immer wieder durch ihn selbst betonten „Gehorsamspflicht“ interpretiert. In allen diesen Jahrzehnten beging er bis zuletzt Verrat an jenen Ideen, die ihn vor 60 Jahren bekannt und angesehen machten.

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