Woche der Einsicht?
Etwas überraschend kam es schon, das Mea Culpa des Alt-Erzbischofs von Freiburg, Robert Zollitsch, zum Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt in seiner Zeit als Personalchef und Erzbischof in Freiburg sowie als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Am Donnerstag verschickte sein Pressebeauftragter eine Mail mit dem Link zu einem knapp 10-minütigen Video, in dem der 84-Jährige „gravierende Fehler“ zugibt in seinem „Verhalten, Handeln, Dokumentieren und Entscheiden“. Er bittet die Betroffenen und deren Angehörige um Entschuldigung. Aus den Reihen von Betroffenen gab es Anerkennung für den Schritt des Alt-Erzbischofs. Zugleich forderte der Betroffenenbeirat des Erzbistums Freiburg, Zollitsch müsse sich nun aktiv an der Aufarbeitung beteiligen. In Rom gab es Anfang der Woche ein Treffen zwischen dem Nach-Nachfolger Zollitschs als Vorsitzendem der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, und Kurienkardinal Kurt Koch. Dabei legten die beiden offenbar den Streit um die umstrittenen Äußerungen Kochs zu Reformforderungen der Katholiken in Deutschland bei.
Verweis auf das System
„Ja, ich habe schwerwiegende Fehler gemacht“, erklärt Erzbischof Zollitsch in seinem Videostatement. Warum er sich gerade jetzt äußert, ist nicht bekannt. Eigentlich sollte Ende Oktober ein Missbrauchsbericht für das Erzbistum Freiburg vorgestellt werden. Doch die amtierende Bistumsleitung teilte vor wenigen Tagen mit, dass sich die Veröffentlichung auf April kommenden Jahres verschiebt. Dennoch ging Zollitsch nun an die Öffentlichkeit – mit einem knapp zehnminütigen Statement, das er auf seiner eigenen Internetseite veröffentlichte. Das Tischtuch mit dem eigenen Erzbistum scheint zerschnitten, denn sonst hätte der Alterzbischof die dortigen Informationskanäle nutzen können. In seinem Statement spart Zollitsch nicht mit Kritik am eigenen Bistum. Er habe um Einblick in die Unterlagen der laufenden Untersuchungen sowie ein persönliches Gespräch mit den Bistumsverantwortlichen gebeten, „leider allzu lange ohne Erfolg“.
An mehreren Stellen verweist der Alterzbischof darauf, dass er nie allein gehandelt habe, sondern er habe sich „stets mit meinen zuständigen Mitbrüdern – Erzbischof, Generalvikaren, Offizialen, Weihbischöfen, Domkapitularen – ausgetauscht und beraten und sie in die Entscheidungen eingebunden“. Hier könnte eine kleine Spitze gegen seinen Nachfolger stecken. Der heutige Erzbischof Stephan Burger war von 2007 bis zu seiner Ernennung zum Erzbischof im Jahr 2014 Offizial des Erzbistums. Auch verweist Zollitsch darauf, dass er eingebunden gewesen sei in ein System „das im Umgang mit sexualisierter Gewalt, von einer gewachsenen und einvernehmlich getragenen Kultur des Schweigens und der Verschwiegenheit nach außen, des Korpsgeistes und des Selbstschutzes geprägt war, an der – ich sage es hier noch einmal – auch ich meinen persönlichen Anteil hatte und für die ich moralische Verantwortung trage“.
Was einerseits wie eine Relativierung der eigenen Verantwortung wirkt, zeigt zugleich die Einsicht, welche verhängnisvollen Konsequenzen das alte System katholische Kirche hatte. Zollitsch sichert seine Mitarbeit an einer „umfassenden, systematischen und systemischen Aufklärung und Aufarbeitung“ zu. Wie dies konkret aussehen soll, lässt er offen. Sein Schritt und die klaren Worte verdienen Respekt, auch wenn sie längst überfällig sind. Entscheidend wird nun sein, wie er sich in die von ihm gewünschte Aufarbeitung einbringen wird. Zollitsch kam mit seinem Statement nun der Veröffentlichung des Missbrauchsberichts des Erzbistums zuvor. Im April wird sich das Bild dann vervollständigen, wenn konkrete Fälle und die Handlungsstrukturen im Erzbistum von den Autoren des Berichts öffentlich gemacht werden.
Treffen zwischen Bätzing und Koch
So lange müssen Bischof Bätzing und Kardinal Koch nicht warten, um in ihrer Sache voranzukommen. Bei einem Treffen in Rom haben beide am Dienstag über den Nazi-Vergleich des Kardinals mit Blick auf die aktuelle Reformdebatte in der katholischen Kirche in Deutschland gesprochen. Koch hatte mit seinen Äußerungen schwere Irritationen ausgelöst, Bätzing ihn zur Entschuldigung und Distanzierung aufgefordert. Eine erste schriftliche Erklärung des Kardinals hatte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz als „nicht zufriedenstellend“ bezeichnet. Nach dem Gespräch in Rom heißt es in einer Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz, Koch habe Bätzing versichert, „dass er mit dem von ihm herangezogenen Vergleich von theologischen Debatten auf dem Synodalen Weg und den Vorgängen um die sogenannten ‚Deutschen Christen‘ während der Nazizeit keineswegs den Synodalen Weg der Kirche in Deutschland oder die Synodalversammlung gemeint habe“. Kardinal Koch habe betont, „dass es ihm völlig fernliege, den Synodalen die schreckliche Ideologie der 1930er-Jahren unterstellen zu wollen“. Er bat um Verzeihung, sollten durch seine Worte Verletzungen entstanden sein. Zugleich betonten beide, dass die theologische Debatte weitergeführt werden müsse, um die es Koch in dem Interview gegangen sei.
Die Erklärung nach dem Gespräch war denkbar knapp. Das Verhältnis zwischen Bischof Bätzing und Kardinal Koch ist seit langer Zeit angespannt. So kritisierte Koch 2019 das Papier „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ scharf, das der „Ökumenische Arbeitskreis katholischer und evangelischer Theologen“ in Deutschland unter dem Co-Vorsitz von Bischof Bätzing erarbeitet hatte. Darin wurden Möglichkeiten aufgezeigt, wie katholische und evangelische Christen wechselseitig am Abendmahl und der Eucharistie teilnehmen können. Zudem äußert Koch regelmäßig Kritik am Synodalen Weg, den Texten und Beschlüssen. Angesichts der Tatsache, dass der Kardinal aktuell der hochrangigste deutschsprachige Vertreter an der Kurie ist, trägt sein kritischer Blick auf die Ereignisse jenseits der Alpen nicht zur Entspannung zwischen dem Vatikan und der katholischen Kirche in Deutschland bei, im Gegenteil. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Vertreter der Bistümer und der Bischofskonferenz zu regelmäßigen Gesprächen nach Rom kommen. Nur so können falsche Narrative entlarvt werden oder im besten Fall erst gar nicht entstehen. Entsprechend wichtig sind Treffen deutscher Bischöfe mit dem Papst, wie heute die Audienz des Essener Bischofs Franz-Josef Overbeck. Wichtig wäre aber auch, dass die Bischöfe mit den Mitarbeitenden in den Dikasterien ins Gespräch kommen und nicht immer nur den Chef besuchen.
Ein Kommentar
ERZBISCHOF EM. ROBERT ZOLLITSCH RÄUMT FEHLER UND SCHULD EIN
„Das TISCHTUCH mit dem eigenen Erzbistum scheint ZERSCHNITTEN, denn sonst hätte der Alterzbischof die dortigen Informationskanäle nutzen können.“ (Erbacher)
Mit seiner Predigt am Karfreitag 2010 unternahm Erzbischof Zollitsch einen ersten vorsichtigen Versuch, Verantwortung für den in Deutschland aufgebrochenen klerikalen Missbrauchsskandal zu übernehmen: Durch die Enttäuschung über das schmerzliche Versagen der Täter und aus falsch verstandener Sorge um das Ansehen der Kirche sei der helfende Blick für die Opfer nicht gegeben gewesen. Ich gab ihm damals brieflich Resonanz und führte kritisch an: „Aus meiner Sicht darf die Kirche nicht den Eindruck erwecken, sich auf irgendwelche gesellschaftlichen mildernden Umstände berufen zu wollen.“
Als ich heute Zollitschs Worte noch einmal nachlesen wollte, klickte ich auf den Link der Erzdiözese Freiburg „Hier finden Sie Predigten und Texte von Erzbischof em. Zollitsch“ und wurde nicht weitergeleitet. Auch andere Versuche blieben ergebnislos. Was den Vorgänger von Erzbischof Burger anbetrifft, gibt es offensichtlich einen unkatholischen, weil traditionsabspaltenden Cut.
Ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass in Freiburg MISSBRAUCHSAUFARBEITUNG NACH DEM MODELL KÖLN betrieben werden soll. Als am 18. März 2021 in Köln das Gehrke-Gutachten vorgestellt wurde, war es Kardinal Woelki sehr darum getan, sich von seinem Vorgänger, Kardinal Meißner, mit dem er über viele Jahre engstens verbunden war, deutlich zu distanzieren. „Nichts geahnt? Das ist seit heute nicht mehr möglich.“ Darüber hinaus trennte er sich coram publico spektakulär von seinem Offizial Günter Assenmacher und dem Weihbischof Dominikus Schwaderlapp. Sollten diese doch die Verantwortung für Rechtsverstöße in Sachen klerikale sexuelle Gewalt übernehmen, während er selbst als „NUR“ MITWISSER seine Hände in Unschuld wusch. Dieser Sündenbockmechanismus ist aus der Sozialpsychologie hinlänglich bekannt.
Für den erst 2014 zum Bischof geweihten Stephan Burger, liegt es vermutlich nahe zu betonen, dass es vor seiner Zeit eine schlimme Praxis im Umgang mit klerikaler sexualisierter Gewalt gegeben habe. In diese Richtung weist die Antwort des Erzbistums auf die jüngste Erklärung von Robert Zollitsch: „Die konsequente und unabhängige Aufarbeitung des früheren Umgangs mit Missbrauch hat für uns als Bistumsleitung in der Erzdiözese Freiburg oberste Priorität.“
Nur, Erzbischof Burger hat in diesem System Karriere gemacht, „das im Umgang mit sexualisierter Gewalt, von einer gewachsenen und einvernehmlich getragenen Kultur des Schweigens und der Verschwiegenheit nach außen, des Korpsgeistes und des Selbstschutzes geprägt war.“ (Zollitsch) Was soll in diesem Zusammenhang dann „unabhängig“ bedeuten? Zudem führt Erbacher zurecht an, dass Stephan Burger von 2007 bis zum Jahr 2014 Offizial und Leiter des Kirchengerichts des Erzbistums war.
Das öffentliche Eingeständnis von Erzbischof em. Zollitsch begrüße ich sehr. Denn nach meiner Beobachtung verläuft die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in weiten Teilen der Katholischen Kirche nach wie vor gemäß dem Motto: „WASCH MICH, ABER MACH MICH NICHT NASS.“ Wirkliche Buße und Umkehr sähen anders aus.
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