Köln: Der Papst lässt prüfen
Gab es Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln? Wer hat sie zu verantworten und welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen? Darum geht es bei der Apostolischen Visitation, die Papst Franziskus jetzt angeordnet hat. Am Ende stellt sich aber auch die Frage, ob Kardinal Rainer Maria Woelki weiter Erzbischof von Köln bleiben kann. Das Vertrauen vieler Gläubigen in den Oberhirten ist tief erschüttert. Auch aus dem Klerus kommen immer mehr Forderungen nach einem Rücktritt. Selbst wenn er am Ende der Untersuchungen entlastet wird, stellt sich die Frage nach seiner Zukunft. Dass der Vatikan nicht abschließend handelt auf der Grundlage eines Rechtsgutachtens, wie es Mitte März veröffentlicht wurde, war klar. Damit ist die offizielle Visitation jetzt die logische Konsequenz nach den Monaten der Kölner Wirren.
Vertrauen massiv erschüttert
Bei der Apostolischen Visitation geht es nicht nur um die Missbrauchsaufarbeitung. Die Visitatoren sollen sich „vor Ort ein umfassendes Bild von der komplexen pastoralen Situation im Erzbistum verschaffen“, heißt es in der Erklärung der Vatikanbotschaft in Berlin vom Freitagmittag. Die Krise im Erzbistum Köln hat sich zuletzt weiter zugespitzt. Zu Pfingsten hatten 14 der 15 Stadt- und Kreisdechanten und damit die mittlere Führungsebene die Bistumsleitung für ihr Agieren bei der Missbrauchsaufarbeitung kritisiert. Rücktrittsforderungen auch aus den Reihen des führenden Klerus werden immer wieder laut. Das Vertrauen zwischen Erzbischof und Klerus ist ebenso erschüttert, wie das zwischen Woelki und vielen Laien.
Im Januar hatte der Diözesanrat der Katholiken seine Mitarbeit beim „Pastoralen Zukunftsweg“ eingestellt. Auch aus einzelnen Gemeinden kommt Widerstand. 140 Gläubige der Düsseldorfer Pfarrei Sankt Margareta forderten Woelki auf, die für Anfang Juni geplante Firmung in der Pfarrei nicht selbst vorzunehmen, sondern einen Vertreter zu schicken. In der Gemeinde wirkten zwei Priester, die des Missbrauchs verdächtigt werden und in deren Fälle Woelki nicht konsequent gehandelt haben soll. Am Donnerstagabend kam Woelki zum Gespräch in die Gemeinde. Man habe offen und kontrovers diskutiert, erklärte der zuständige Pfarrer anschließend. Ob Woelki zur Firmung kommen werde, entscheide sich in der nächsten Woche.
Straffer Zeitplan
Wie die Visitatoren vorgehen, bleibt ihnen überlassen. Vieles hängt vom konkreten Auftrag ab, den der Papst ihnen mitgegeben hat. Klar ist, dass die Gespräche zeitnah in der ersten Junihälfte geführt werden. Der Vatikan möchte das ganze Verfahren nicht in die Länge ziehen. So ist das Erzbistum Hamburg bereits seit Mitte März ohne leitenden Erzbischof, nachdem Erzbischof Heße aufgrund der Ergebnisse des Kölner Missbrauchsgutachtens sein Amt ruhen lässt. Dem Papst dürfte auch nicht entgangen sein, dass die Situation in Köln die katholische Kirche in ganz Deutschland belastet. Deshalb sollen nun möglichst schnell Informationen gesammelt und die Lage bewertet werden. Wie viele Bischöfe am Ende zurücktreten werden, ist aktuell offen. Eine Entscheidung dürfte aber nicht mehr lange auf sich warten lassen, wenn die Visitatoren ihren Besuch abgeschlossen haben.
21 Kommentare
In der Düsseldorfer Pfarrei Sankt Margareta „wirkten zwei Priester, die des Missbrauchs verdächtigt werden und in deren Fälle Woelki nicht konsequent gehandelt haben soll.“ (Erbacher)
Das ist eine sehr euphemistische Darstellung. Im ERSTEN FALL handelt es sich um Pfarrer Johannes O. (*1929), der von 1971 bis 1998 in St. Margareta tätig war. Der 27jährige Woelki begann seine kirchliche Laufbahn 1983 in dieser Pfarrei, zuerst als Pastoralpraktikant, dann als Diakon. Zwischen dem Mentor O. und Woelki entwickelte sich eine dauerhafte Freundschaft. 1998 feierte O. sein 40jähriges Priesterjubiläum und der Direktor des Collegium Albertinum, Woelki, hielt die Festpredigt. 14 Jahre später wurde Woelki zu seiner Erhebung zum Kardinal von O. nach Rom begleitet.
2010 wendete sich ein Mann an das Erzbistum und legte glaubhaft dar, Ende der 1970er Jahre als Kindergartenkind von Pfarrer O. sexuell missbraucht worden zu sein. Nachdem dem Opfer eine Entschädigung von 15 000 Euro zugesprochen wurde, obwohl der übliche Entschädigungshöchstbetrag damals bei 5000 Euro lag, muss von einer Täterschaft des Klerikers ausgegangen werden.
FALL 2: Pfarrer Michael D. war von 1995 – 2000 Kaplan in St. Margareta. Was ihm vorgeworfen wird, ist im Gercke-Gutachten als Fall 82 dargestellt. In Kenntnis der Vorgeschichte ernannte Woelki 2017 D. zum stellvertretenden Düsseldorfer Stadt-Dechanten.
Zwei Fälle in St. Margareta, und in beide ist Woelki involviert. Was hat Woelki geritten, den nachvollziehbaren und frühzeitigen Wunsch vieler Gemeindemitglieder, von der Firmung Abstand zu nehmen, abzulehnen? In der Folge kam es zu einem – die öffentliche Aufmerksamkeit hervorrufenden – Offenen Brief.
Mögliche Motive:
– Pocht Woelki auf sein episkopales Recht?
– Ist er auf seine Rolle als Einzelkämpfer gegen eine andersgepolte Mehrheit fixiert?
– Will der durch seine Präsenz beweisen, dass er sich bezüglich der beiden Fälle nichts vorzuwerfen hat?
– Spielen nostalgische Gründe eine Rolle?
Wie auch immer. Der Kardinal hat offensichtlich in dem diözesanen Dauerkonflikt seinen Kompass verloren.
„Wie auch immer. Der Kardinal hat offensichtlich in dem diözesanen Dauerkonflikt seinen Kompass verloren.“
Das ist wohl leider so. Fall82 ist ja auch keineswegs nur der Besuch bei einem 17jährigen Prostituierten (diesen Besuch sollte man wirklich niedrig hängen – nicht, weil die Ausnutzung der Not eines 17jährigen nicht schlimm ist [sie ist widerlich!], sondern weil wir sonst wahrscheinlich nicht nur ein Drittel aller Priester, sondern aller Männer kriminalisieren – ich gestehe aber gern zu: wohl fühle ich mich dabei nicht. Aber was hilft eine tolle Moral, wenn sich niemand dran hält? Wer jetzt schreit, sollte bedenken, warum wir alle die Sexualmoral der Kirche so unüberzeugend finden: Nicht, weil niemand sich an Masturbationsuntersagung und Kondomverbot hält, sondern weil man ich nicht dran halten KANN).
Hände weg von er katholischen Morallehre! Eine zeitgemäßere Sexualmoral würde zu einem massiven Rückgang sündiger Verstöße gegen das sechste Gebot führen. In der Folge käme es zu einem dramatischen Einbruch der Nachfrage nach dem schuldbefreienden Sakrament der Beichte. Wie, bitteschön, sollen dann Geistliche ihrer vornehmen Aufgabe nachkommen können, den Gläubigen Weisung für ein Gott-gefälliges Leben zu erteilen? 😉
Erasmus 30.05. 17:50
– Der schon lange existierende volkstümliche Begriff „Moralapostel“ kommt nicht von ungefähr und bringt das wie so oft „von Oben“ unterschätzte und missachtete gesunde Volksempfinden zum Ausdruck. Unendlich weit entfernt vom kirchlichen Fussvolk, diese oberen geistlichen Herren..
Ich vergaß, der Klerus verlöre ja seine Pastoralmacht, mit der man Jahrhunderte lang das Volk unterdrücken konnte… 🙂
Ich finde Kardinal Woelki nicht unsympathisch, er ist gerade zu tragisch. Aber als Bischof hat er sich unmöglich gemacht. Nach katholischer Überzeugung sind die Bischöfe die rechtmäßigen Nachfolger der Apostolinnen (bevor Widerspruch kommt: gab es – steht im Neuen Testament, die Orthodoxen verehren – die unhistorische – Thekla und wir haben Maria von Magdala) und Apostel. Also solche sollen sie GLAUBWÜRDIGE Zeugen des Auferstandenen sein. Woher will Kardinal Woelki diese Glaubwürdigkeit nehmen?
Im Grunde müssen alle Bischöfe, nicht nur die besonders unglaubwürdigen wie Woelki, Voderholzer oder Oster zurücktreten.
Man mag Woelki mehr oder wenig sympathisch finden, aber zweierlei nehme ich ihm sehr übel:
1. Er gibt unglaubliche Summen für Top-Anwälte aus. JUVE Newsline benennt sieben spezialisierte Anwaltskanzleien und zwei Jura-Professoren als Gutachter, die das Erzbistum mandatiert hat.
2. Am 29. Oktober 2020 sitzen Kardinal Woelki, Generalvikar Hofmann, zwei Rechtsprofessoren und der Beirat für Missbrauchsbetroffene in einer eilig einberufenen Sitzung zusammen. Den Betroffenen wird suggeriert, dass das WSW-Gutachten mangelhaft sei, und sie werden zu einer Erklärung quasi genötigt, ohne dass sie das Gutachten gesehen hätten: „Wir sind enttäuscht und wütend, dass die Münchner Kanzlei derart schlecht gearbeitet (…) hat.“
Unfassbar: Ein Kardinal missbraucht Missbrauchs-Opfer für seine Zwecke.
Wieso ist Bischof Oster besonders unglaubwürdig? Ich habe noch nichts davon gehört, dass er Missbrauch verdeckt hat.
Danke für Ihre Mühe!
Wir man nur unglaubwürdig, weil man Kindesmissbrauch vertuscht? Habe ich das geschrieben? Oster ist absolut unglaubwürdig, weil er den Glauben den Witzen der Gassenjungen ausliefert (es gebe nur eine Form des gottgefälligen Sex, nämlich den vaginalen in der Ehe, wenn ein Kind gezeugt werden kann – das stimmt ja nicht mal von der katholischen Lehre her. Auch Frauen nach der Menopause dürfen Sex haben mit ihren Ehemännern. Und nach katholischer Lehre ist „sogar“ Knaus-Ogino oder Sex während der Schwangerschaft erlaubt), oder Dinge fordert, die im Gegensatz zur katholischen Lehre stehen (eine nichtsakramentale Ehe unter Christen).
Nun, Kardinal Woelki nach den bekannt gewordenen Tatsachen nicht unsympathisch zu finden und ihn als geradezu tragische Figur zu bedauern, dazu gehört schon was ! Da lobe ich mir dann doch das geradeaus und kompromisslos gesunde Empfinden und Verhalten von Gläubigen der Pfarrei Sankt Margareta, die diesem lavierenden und herumeiernden Kardinal mit Recht die rote Karte zeigte, nach dem sie zwei(!) des Missbrauchs verdächtigte Priester ertragen musste. Der „nicht unsympathische“ Woelki hatte sich da (mild ausgedrückt) recht passiv und hartleibig gezeigt. Aber man kann sich natürlich alles genehm reden…
Tatsache ist: inzwischen hat fast niemand mehr Vertrauen in den innerkirchlichen Ermittlungs- und Justizapparat. Diese Sonderstellung gehört dringend abgeschafft, denn die Amtskirche hat ihre diesbezügliche Unfähigkeit zur Genüge bewiesen. Von ihrer angemassten(!) und über Jahrhunderte praktizierten unchristlichen Gnadenlosigkeit gegenüber echten und vermeintlichen Gegnern und Sündern ganz zu schweigen. Die Idee einer „Religion der Liebe“ hat speziell durch ihre geistlichen Repräsentanten einen nicht wieder gut zu machenden Schaden erlitten…
Mein Vorschlag: alles auf Null drehen und behutsam, wirklich an den Worten des Nazareners orientiert, NEU beginnen…
Christentum und Kirche sind wohl nicht auseinanderzudividieren. Es bleibt nur das „Ecclesia semper reformanda est.“ Wie katholisch.de am 19.05.2021 berichtet, soll das KIRCHLICHE STRAFRECHT dahingehend verändert werden, dass sexualisierte Gewalt nicht mehr als Verstoß gegen das sechste Gebot, sondern als „Verbrechen gegen das Leben, die Würde und die Freiheit von Menschen“ gewertet wird. Was im Text des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte allerdings nicht explizit benannt wird, ist das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.
Lieber Erasmus, denken Sie sich nix. Bestimmte Leute glauben hier, dass das kirchliche Strafrecht das weltliche ersetze und fabulieren von einer Sonderstellung. Dabei ist das sachlich falsch, reiner juristischer Humbug. Das kirchliche Strafrecht ergänzt – so wird von Amts wegen ein Staatsanwalt gegen einen pädophil straffällig gewordenen Priester ermittelt und wenn genug Beweise dasind, wird er auch verurteilt. Ob so ein Priester dann relaisiert wird, ist eine ganz andere Frage. Stellen Sie sich vor, der […]* Vorschlag von @wanda würde umgesetzt: Dann müsste die Kirche einen pädophilen Priester nach Verbüßung der Strafe wieder überall einsetzen. Oder für den Fall, dass solch ein Verbrechen verjährt ist: Die Kirche könnte immer noch, wenn ihre Richter zur juristischen Überzeugung gelangt sind, es sei ein Verbrechen passiert, den Priester laisieren – das ginge, während dem Staat die Hände gebunden sind.
*Der Beitrag wurde wegen des Verstoßes gegen die Netiquette editiert.
Novalis 31.5. 21:53
– Mal wieder komplett daneben, denn die Kirchenpraxis zeigt leider viel zu häufig, dass in welcher Person auch immer (Woelki oder sonst wer) die Täter der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen werden, oder etwa nicht ? Und die kirchliche Gerichtsbarkeit schont und versteckt die Täter bis gewollt eine Verjährung greift oder noch schlimmer: lässt die Täter erneut auf Unschuldige los. Die Fälle sind Legion..
Es ist unverantwortlich und dient nicht dem Ansehen der Kirche, daß Papst Franziskus erst jetzt reagiert. Deutliche Reformen, die er beim Antritt des Pontifikats versprach, sind bis heute nicht eingetroffen.
Es ist zwar nachvollziehbar, daß sich die allmächtige Kurie dagegen sträubt, denn die Gegner des Papstes sind gerade dort zu finden. Aber der Vater der Christenheit hätte sich ihnen nicht beugen dürfen.
Liebe Hilde,
Deutschland ist nicht der Mittelpunkt der Welt. Für weltkirchliche Verhältnisse sind die zwei Monate nach dem Bericht äußerst schnell. Nur mal unter uns, weiß Du, wie schnell eine Staatsanwaltschaft ist?
Und die Schande kennt keine Grenzen: auf dem Gelände eines von der kath. Kirche bis 1969 in Kanada betriebenen Internats zur Zwangsintegration indianischer Kinder wurden die Überreste von 215 Kindern gefunden. Misshandlungen, Hunger und Missbrauch seien an der Tagesordnung gewesen. Der kanadische Ministerpräsident sprach von einem der dunkelsten Kapitel seines Landes.
Aktuell: kirchliche Strafrechtsreform ? Nur Retusche. Diese Missbrauchsmonster begehen ihre Taten auf dem Boden des souveränen Staates Deutschland und werden vom Vatikan im fernen Rom vernommen und ggf. abgeurteilt ? Wie gestrig ist das denn ? Wenn sich ein Monsignore im Vatikan an einem Messdiener vergreift ist diese Konsequenz akzeptabel aber nicht wenn das Verbrechen bei uns verübt wird. Da muss sich der geistliche Herr unserer weltlichen Gerichtsbarkeit stellen. Wann endlich wird diese krankhafte Sonderbehandlung beendet ? Damit würde die Kirche verlorenes Vertrauen wiedergewinnen. Es kann ihr nur zum Vorteil gereichen. Das aber versteht Franziskus nicht…
Das kirchliche Strafrecht kommt zusätzlich zu den weltlichen juristischen Aktivitäten. Zunächst ermitteln die staatlichen Behörden, dann die Kirche. Hier wird also niemand der staatlichen Strafverfolgung entzogen. Es gibt viele Fälle, in denen staatliches Recht aufgrund von Verjährung nicht mehr greift, die Kirche dann aber intern doch zu einer Verurteilung kommt.
Ich bitte Sie Herr Erbacher: die staatliche Verjährung hat bei den geistlichen Herren dermassen oft gegriffen (wie Sie selbst schreiben), dass man berechtigt von einem System der Hinauszögerung ausgehen darf. Es wurde eben entsprechend lange genug und absichtlich vertuscht, entzogen und verschwiegen. Alles andere ist ziemlich blauäugig…..
Das Papstgeflüster hinkt wie die Amtskirche weit dem aktuellen Geschehen hinterher (siehe Marx, siehe Kanada). Das mag neben der dino-ähnlichen Unbeweglichkeit der der Amtskirche ein weiterer Grund für die nicht zu übersehende Reduzierung unserer Diskussionsteilnehmern sein. Nach dem Motto: ändert sich eh‘ nichts: Gelaber, Kommissionen, ausserkirchliche Gutachten die gross angekündigt wurden aber nicht genehm ausfallen, Kontroll-Visitationen… Alles Kochen im eigenen Saft. Was soll das bringen und vor allem: wie glaubwürdig ist das ? So schafft man kein Vertrauen, auch nicht der gerade hochgelobte Kardinal Marx, der lange Jahre Teil des Systems war und wohl kaum behaupten kann, er habe die Ausmasse des „Problems“ nicht gekannt…
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