Kinderschutz im Vatikan
Papst Franziskus hat erstmals für den Vatikanstaat und die Behörden des Heiligen Stuhls Richtlinien zum Umgang mit Missbrauch erlassen. Dabei geht es sowohl um den sexuellen Missbrauch, als auch um andere Formen der Ausbeutung und Misshandlung von Minderjährigen sowie anderer schutzbedürftiger Personen. Der Papst legte neben Verfahrensregeln und einem neuen Gesetz für den Vatikan auch einen Verhaltenskodex für die Mitarbeiter vor. Ab 1. Juni gibt es im Vatikan eine Anzeigepflicht schon beim Verdacht, dass ein Missbrauch vorliegen könnte. Mitarbeitende, die sich nicht daran halten, werden mit Geldbußen belegt, handelt es sich um Justizangestellte sogar mit Gefängnis. Neben den Hilfen für die Opfer wird der Umgang mit den Beschuldigten geregelt. Diese werden mit sofortiger Wirkung von ihren Aufgaben entbunden, der Kontakt zu Minderjährigen wird unterbunden. Für den Vatikanstaat wird es künftig zwar einen Kinderschutzbeauftragten geben. Allerdings sehen die Regeln nicht ausdrücklich vor, dass dieser unabhängig von den kirchenstaatlichen Strukturen sein muss. Auch gibt es keine Aussage zu möglichen Entschädigungen. Die Bistümer in aller Welt hatte die Glaubenskongregation bereits 2011 aufgefordert, entsprechende Regelungen zum Umgang mit Missbrauch zu erlassen.
Symbolischer Charakter und Vordbildfunktion
Minderjährige gibt es im Vatikan nur wenige: im Knabenchor der Cappella Sistina sowie die Kinder von den wenigen Vatikanangestellten, die im Vatikan leben, sowie der Schweizergardisten. Daher haben die heute veröffentlichten Regeln vor allem einen starken symbolischen Charakter für die Weltkirche. Sehr detailliert geben sie den Mitarbeitern vor, wie sie sich in Anwesenheit von Minderjährigen und Schutzbedürftigen verhalten sollen bis hin zum Kontakt über die Sozialen Netzwerke. Untersagt sind etwa körperliche Züchtigungen, die Bevorzugung Einzelner oder Geschenke an Einzelne. Fotografieren und Filmen von Minderjährigen ist nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Erziehungsberechtigten erlaubt. Dasselbe gilt für die Veröffentlichung der Aufnahmen im Internet und den Sozialen Netzwerken. Neu sind auch die Prüfung von Stellenbewerbern sowie die Pflicht zur Fortbildung der Mitarbeitenden speziell zum Thema Prävention.
Ausführlich beschreiben die neuen Dokumente die Hilfen für die Betroffenen. Dazu zählen medizinische und therapeutische Hilfen sowie juristische und pastorale Begleitung. Zu einer möglichen Entschädigung findet sich allerdings nichts. Das gilt eigentlich auch für die Frage der Vertuschung. Zwar gibt es die Geldstrafe, wenn im Verdachtsfall keine Anzeige erstattet wird, doch Betroffene fordern seit langer Zeit umfangreiche Regelungen für Verantwortliche in der Kirchenleitung, die Aufarbeitung verschleppen oder Fälle zu vertuschen suchen. Dazu findet sich in den drei neuen Dokumenten nichts Konkretes. Hier setzt die Kritik der Betroffenen heute in erster Linie an.
Wann kommen transparente Verfahren bei Vertuschung?
Aus dem Vatikan gibt es keine Informationen, ob der Papst dazu in naher Zukunft etwas plant. Sicherlich wären dazu einige Änderungen im Bereich des Kirchenrechts notwendig. Allerdings gibt es auch schon Verfahrensregeln, wenn etwa Bischöfe oder Ordensobere nicht adäquat handeln oder gehandelt haben. Hier transparent zu machen, ob und wann sie angewendet werden, wäre ein erster wichtiger Schritt. Doch an dieser Stelle ist wenig Bewegung zu beobachten. Es bleiben daher trotz der wiederholten klaren Worte des Papstes zum Thema Missbrauch und der heutigen Maßnahmen weiter Zweifel, wie ernst es Franziskus wirklich ist. Zu dieser Unsicherheit tragen auch Entscheidungen bei, wie sie das Kirchenoberhaupt im Falle des Erzbischofs von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin, getroffen hat. Der war am 7. März zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil er einen Priester nicht angezeigt hatte, der vor rund 40 Jahren mehrere Minderjährige missbraucht haben soll.
Barbarin hatte dem Papst seinen Rücktritt angeboten. Franziskus hatte diesen nicht angenommen und Mitte März den Ball wieder an Barbarin zurückgespielt. Er habe dem Kardinal die Entscheidung selbst überlassen, teilte der Vatikan nach einer Begegnung der beiden am 19. März mit. Barbarin nahm sich daraufhin eine Auszeit und lässt sein Amt ruhen, gegen das Urteil ging er in Berufung. Franziskus Vorgehen dürfte durch die Idee motiviert sein, das Berufungsurteil abwarten zu wollen. Dass dies für die Kirche in Lyon, ganz Frankreich und weit darüber hinaus eine schwere Belastung bedeutet, sieht er offenbar nicht. Und wenn er sie sieht, scheint er sie dem Festhalten an der Unschuldsvermutung bis zur endgültigen Klärung durch die Justiz unterzuordnen. Der Preis dafür ist hoch.
11 Kommentare
Kein wirkliches Durchgreifen, alles nur mit Symbolcharakter. Die r.-k. Kirche und ihre obersten Repräsentanten sind anscheinend absolut reformresistent. Und was das bedeutet, hat sich ja nun mit enormen Konsequenzen schon einmal gezeigt.
– Eine weitere Baustelle, die allerdings auch Missbrauch zum Thema hat, wird überhaupt nicht erwähnt. Offenbar symptomatisch für den nachgeordneten Stellenwert der Frau in der Kirche: Das Frauenmagazin des Vatikan hatte zuletzt über den Missbrauch von Nonnen berichtet. Nun ist die weibliche Redaktion geschlossen zurückgetreten. Deren Begründung mag jeder selbst recherchieren…
Wanda
29.03.2019, 21:11 Uhr.
Da haben Sie leider Recht, vor allem auch darin, was Sie über das Verhältnis der kirchlichen Hierarchie zu den Frauen sagen, das ist ein Trauerspiel.
Die neuen Richtlinien: Sehr gut. Bevor es wieder zerredet wird. Aber sie sind nur ein erster Schritt. Auch Vertuscher wie Kardinal Müller müssen bestraft werden.
Barbarin: Ja, der Preis ist hoch. Aber soll man nur um einer symbolischen Bestrafung willen einen möglichen Unschuldigen in die Wüste schicken? Nein! Ich finde es bemerkenswert genug, dass der Vatikan ein laufendes STAATLICHES Verfahren penibel achtet. Wenn man sich die schamlose Art anschaut, wie bis einschließlich Benedikt XVI. von der katholischen Kirche versucht wurde legislative Verfahren von Staaten zu beeinflussen oder iudikative zu unterlaufen, indem die Akten von Missbrauchstätern vor den Staatsanwaltschaften nach Rom in Sicherheit gebracht wurden, dann kann man gar nicht hoch genug schätzen, dass der Vatikan ein rechtstaatliches Verfahren eines souveränen Staates achtet.
„…dass der Vatikan ein rechtstaatliches Verfahren eines souveränen Staates achtet.“
Novalis: sind Sie nur uninformiert oder ist das ein Beschönigungsversuch?
„…Der Präfekt der Glaubenskongregation, Luis Ladaria, wird im Prozess gegen den Lyoner Kardinal Philippe Barbarin wegen Vertuschung von Missbrauch nicht aussagen. Nach Informationen der französischen Zeitung La Croix habe der Heilige Stuhl den französischen Außenminister informiert, dass er einer Vorladung des Präfekten nicht Folge leisten werde. Der Heilige Stuhl beruft sich dabei auf die Immunität, die nach völkerrechtlicher Gewohnheit Regierungsmitgliedern zukommt.“ katholisch.de
Bluebeardy, messen Sie bitte den Vatikan am Maße aller anderen Staaten. Kardinal Barbarin steht vor Gericht und es wird ein rechtsstaatliches Verfahren geben. Es ist das gute Recht eines Regierungsmitgliedes nicht als Zeuge vorgeladen zu werden. Stellen Sie sich nur mal vor, wenn alle Staatsanwälte auf der Welt Macron oder Merkel zu Zeugenaussagen vorladen würden. Ein ordentliches Regieren wäre nicht mehr möglich. Also werfen Sie bitte nicht mit Nebelkerzen.
Novalis 01.04. 01:03
– Verstehe ich Sie recht ? Die Kirche, die sich sonst immer als moralische, ethische Institution und Glaubensvorbild versteht und auf diesem „Sonderstatus“ besteht, soll sich plötzlich an weltliche Staaten orientieren und diese als Maszstab nehmen ?
Schön bequem – immer so wie es gerade in den Kram passt. Ein Affront im Prozess der Missbrauchs-Aufarbeitung. . .
Novalis 02.04. 01:03
– Was denn nun ? Zuerst loben Sie (29.03.22:35). dass der Vatikan ein staatliches Verfahren achtet, und dann wiederum rechtfertigen Sie die Aussageverweigerung des Präfektes der Glaubenskongregation Luis Ladaria im Fall Kardinal Barbarin wegen Missbrauchsvertuschung ?
Wie stellen Sie sich denn eine schonungslose Aufarbeitung vor ? Andererseits kritisieren Sie Bendedikt XVI., der als Kardinal Ratzinger ähnlich Untersuchungen be- und verhinderte. Wo bitte sehr, sehen Sie da einen Unterscheid ?
Wanda
03.04.2019, 21:10 Uhr.
Der Unterschied besteht darin, dass Franziskus als Progressiver gilt (obwohl er noch keine einzige Reform auf den Weg gebracht hat), politisch links zu verorden ist, während Benedikt als Konservativer das Feindbild gewisser Kreise ist.
Aus meiner Sicht besteht auch ein grundsätzliches Problem darin, dass der Vatikan einerseits der Sitz der obersten Kirchenleitung, also Kirche ist, andererseits aber auch ein Staat, der VatikanSTAAT, und so kann man einmal als Kirche und einmal als Staat agieren, wie es gerade beliebt.
Novalis 29.03. 22:35
– Die Richtlinien ? Gelten eindeutig und ausdrücklich NUR für den Vatikan. Sehr befremdlich, wo die Amtskirche sonst doch immer auf ihren universalen Anspruch besteht und nicht müde wird, diesen zu betonen. Aus Angst vor der eigenen Courage oder wie soll man das werten ? Es gibt nur eine Erklärung: Franziskus will den konservativen, den Missbrauchsskandal kleinredenden Teil des Klerus nicht verprellen und überlässt ihm freiwillig die Verfahrensweise damit umzugehen. Eine Bankrotterklärung des Papstes, der unmissverständlich geltende Anweisungen geben könnte, davon aber keinen Gebrauch machen will oder kann.
– Eigentlich ist hier im Blog zu dem Thema schon alles und in jeder Form gesagt worden. Es bleibt wohl nur Resignation. . .
Es ist ein Irrtum zu glauben, dass sich die Weltkirche DIESEN Vorgaben wird entziehen können. Aber das muss die Weltkirche eben selber lernen. Franziskus ist für Dezentralisierung gewählt worden. Und das macht er jetzt eben auch.
„Der war am 7. März zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil er einen Priester nicht angezeigt hatte, der vor rund 40 Jahren mehrere Minderjährige missbraucht haben soll.“
Zu diesem neuen Regelwerk, das im Vatikan gelten und das nun Vorbild für die Bistümer sein soll, habe ich heute in der Zeitung gelesen, dass Kleriker sanktioniert werden sollen, die von einem Missbrauchsfall Kenntnis erlangen — mit der AUSNAHME, der missbraucht Habende würde dem mutmasslichen Vertuscher innerhalb der Beichtsituation den Missbrauch gebeichtet haben. Die Frage, hat er es oder hat er es nicht in der Beichte gehört, ist entscheidend und auch nicht trivial, denn es ist nur natürlich, dass Nachrichtenverbreitung und Beichtaufkommen sich zeitlich und örtlich überlagern.
Wie soll dann herausgefunden werden, ob ein Kleriker von jener Ausnahme betroffen ist? Niemals. Solange das Beichtgeheimnis gewahrt bleibt, niemals. Oder… sollte man irgendwie… Rauchzeichen? nur ein wenig… nein, niemals.
Wie einfach war das doch noch früher, als das alles noch ganz anders war.
War das Naivität? Heute ist es bekannt. Ist es heute Naivität, zu träumen, früher wäre es besser gewesen oder zu träumen, durch das jetzige Handeln würde die Zukunft wirklich besser?
[…]*
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