Der Papst in Panama – Tag 4

Mit der Vigil am Samstagabend hat der Weltjugendtag in Panama seinen Höhepunkt erreicht. Papst Franziskus ermutigte die Jugendlichen, „keine Angst zu haben, das Leben so zu nehmen, wie es kommt“. Er warb für eine Kultur der Achtsamkeit. Jedes Leben sei lebenswert und in jedem Leben stecke eine Verheißung, so der Papst. Schwierig werde es, wenn Menschen „ohne Arbeit, ohne Bildung, ohne Gemeinschaft, ohne Familie“ seien. Dann drohe das Leben zu entwurzeln und auszutrocknen. „Nur die Liebe macht uns menschlicher und erfüllter, alles andere sind wohlschmeckende, aber leer Placebos“, rief Franziskus den mehreren hunderttausend Jugendlichen zu. Beim Treffen mit Klerikern und Ordensleuten am Morgen konstatierte Franziskus eine „Hoffnungsmüdigkeit“ in der Kirche in Panama. Indirekt kam er erneut auf den Missbrauchsskandal zu sprechen. Er erklärte, dass es den Mut brauche, „sich reinigen zu lassen“ und den „authentischen Teil unserer ursprünglichen Charismen wiederzugewinnen“. Auch wenn Letzteres nicht nur auf den Missbrauchsskandal bezogen sein dürfte, können diese Zeilen im aktuellen Kontext so gelesen werden. Auch beim Mittagessen des Papstes mit zehn Jugendlichen aus verschiedenen Ländern war der Missbrauch Thema. Die Jugendliche aus den USA hatte den Papst darauf angesprochen.

Die Vigil ist traditionell der stimmungsvollste Moment des Weltjugendtags. (Quelle: Erbacher)

Papst: „Welt ist nicht nur für die Starken“

Sagt „Ja“ zum realen Leben. Das war die Botschaft von Franziskus am Samstagabend bei der Vigil in Panama-Stadt. „Das Leben annehmen kann auch bedeuten, all das willkommen zu heißen, was nicht vollkommen, rein oder gefiltert, aber deswegen nicht weniger liebenswert ist“, so Franziskus und stellt die Frage: „Ist jemand, nur, weil er behindert oder fragil ist, nicht der Liebe würdig? Ist jemand, nur, weil er ein Fremder ist, weil er Fehler gemacht hat, weil er krank ist oder weil er in einem Gefängnis sitzt, nicht der Liebe würdig?“ Die Welt sei nicht nur für die Starken. Franziskus reagierte mit seinen Ausführungen auf das Zeugnis einer Familie aus Panama. Die Ärzte hatten während der Schwangerschaft Trisomie 21 diagnostiziert. Die Eltern entschieden sich klar für Ines, die Jüngste von vier Kindern.

Damit aber Leben gelingen kann, sind Gemeinschaft, Familie, Bildung, Arbeit wichtig. An die Älteren gerichtet stellt er daher fest: „Wie leicht ist es, junge Menschen zu kritisieren und die ganze Zeit herumzunörgeln, wenn wir ihnen Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten sowie Gemeinschaftserfahrungen vorenthalten, die Halt geben und Zukunftsträume wecken!“ Die Jugendlichen fordert er auf, der heute weit verbreiteten „Kultur der Verlassenheit und mangelnder Achtsamkeit“ etwas entgegenzusetzen. Interessant ist, wie Franziskus das mit der Glaubenskrise in vielen Breiten verbindet. „Ich sage nicht alle, aber viele haben das Gefühl, dass sie nicht viel oder nichts zu geben haben, weil sie keinen realen Ort haben, wo sie erleben, dass sie gefragt sind. Wie sollen sie da denken, dass Gott existiert, wenn sie für ihre Brüder und Schwestern schon längst nicht mehr existieren?“ Gott mache sich durch konkrete Gesichter gegenwärtig, so der Papst. Deshalb ermutigt Franziskus die Jugendlichen, Gemeinschaften aufbauen, in denen Leben gelingen kann.

Kirche leider unter „Hoffnungsmüdigkeit“

Die Ansprache des Papstes am Morgen beim Klerus, Ordensleuten und Mitgliedern von Laienbewegungen ist nicht einfach zu greifen. Die Müdigkeit, von der er spricht, bezieht sich nicht in erster Linie auf viel Arbeit, wenig Zeit für Familie oder ähnliches. Er spricht von einer „Hoffnungsmüdigkeit“ und nennt dafür zwei Beispiele. Einerseits steige sie im Blick auf die Zukunft auf, „wenn die harte Realität einen überwältigt und die Kräfte, die Möglichkeiten und die Ausführbarkeit der Mission in Zweifel zieht in einer Welt, die sich so verändert und alles in Frage stellt“. Zum anderen komme diese „Hoffnungsmüdigkeit“ aber auch von der Feststellung, „dass die Kirche durch ihre Sünde verwundet ist und dass sie viele Male die zahlreichen Schreie nicht zu hören vermochte, in denen sich der Schrei des Meisters verborgen hatte: ‚Mein Gott, warum hast du mich verlassen‘ (Mt 27,46)“.

Als Weg aus dieser Krise empfiehlt Franziskus, „ohne Angst zum Brunnen unserer ersten Liebe zurückzukehren, als Jesus unseren Weg kreuzte, uns barmherzig ansah und uns aufforderte, ihm zu folgen“. Zurück zu den Ursprüngen der eigenen Berufung, lautet Franziskus‘ Aufforderung. In der Formulierung des „barmherzig angesehen werden durch Jesus“ klingt sein eigenes Motto an: „aus Barmherzigkeit erwählt“ – „miserando atque eligendo. Sieht der Papst selbst sich aktuell in einer solchen Situation? Oder bietet er schlicht das, was ihm in müden Momenten hilft, seinem Klerus an. Ist Franziskus einmal mehr als Exerzitienmeister unterwegs?

Kirche braucht Reinigung und Reform

Dazu passt, dass er später fordert, „den Mut zu haben, sich reinigen zu lassen und den authentischen Teil unserer ursprünglichen Charismen wiederzugewinnen als auch zu sehen, auf welche Weise sie heute zum Ausdruck kommen können“. Vor dem Hintergrund der Situation der Kirche in Panama, aber auch weltweit, kann hier eine doppelte Botschaft enthalten sein. Zum einen geht es um die Reinigung der durch Sünden verwundeten Kirche. Zum anderen geht es aber darum, Charismen zeitgemäß zum Klingen zu bringen. Darin steckt die Aufforderung zu Reformen, zum Umdenken. Wie in vielen anderen südamerikanischen Ländern wird die Kirche in Panama von den Gläubigen als starr und elitär erlebt. Das ist nicht die Kirche des Franziskus.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

2 Kommentare

  • Novalis
    27.01.2019, 4:56 Uhr.

    „Zum anderen geht es aber darum, Charismen zeitgemäß zum Klingen zu bringen. Darin steckt die Aufforderung zu Reformen, zum Umdenken.“
    Sehr nachdenkenswert an dieser Darstellung ist, dass die so oft gepriesenen Kirchen in Lateinamerika ähnliche Probleme haben wie die – gerade von kirchenpolitisch rechten und reaktionären Kreisen bewusst schlecht geredeten – Kirchen in Europa haben. Und das ist auch kein Wunder. Nach einer wohltuenden Dezentralisation unter Johannes XXIII. und Paul VI. wurde von Johannes Paul II. und dem unseligen Benedikt gemeint, man könne an der Kurie alles besser. Die Wirkung von 35 Jahren grundfalscher und im Grunde genommen auch widergöttlicher Ausrichtung sieht man jetzt besonders deutlich. Zum Schaden von Kirche, Gesellschaft und Welt.

  • neuhamsterdam
    28.01.2019, 18:53 Uhr.

    „Zum Schaden von Kirche, Gesellschaft und Welt.“
    Jaja, das wußte schon Paulus zu berichten, in den Augen der Einheimischen haben diese Christen, die damals in die Stadt kamen, bereits „die ganze Welt“ in Aufruhr versetzt und dann kamen sie auch noch in ihre Stadt. Was für ein Schicksal… ähm heute heißt es Herausforderung.
    Und wie damals soll sich, wer nicht zur Gesellschaftsoptimierung beiträgt, zur Rede gestellt werden.
    Wenn sich dann herausstellt, dass er der Zivilgesellschaft nützlich ist, ist er wohlgelitten.
    Aber was bleibt dann noch von den „Brüdern, Schwestern, Müttern, Häusern und Besitz“ hundertfach, die der Herr einst in Aussicht stellte wenn es den von ihm als Bedingung vorausgesagten Verfolgungen gebricht?
    Alles andere ist NichtreGierungsOrganisation.

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