Wenn ein Kardinal zurücktritt
Dass ein Kardinal aus dem Kardinalskollegium fliegt, ist bisher höchst selten vorgekommen. Ob sich das nun ändert? Seit vergangenem Samstag ist der emeritierte Erzbischof von Washington nicht mehr Mitglied des „Senats“ der katholischen Kirche. Theodore McCarrick wird beschuldigt, zwischen 1970 und 1990 junge Priesteramtskandidaten zu sexuellen Handlungen verführt und auch mindestens zwei Minderjährige missbraucht zu haben. Gestern nahm Papst Franziskus auch den Rücktritt des australischen Erzbischofs Philip Wilson an. Der war Anfang Juli zu zwölf Monaten Haft verurteilt worden, weil er Missbrauchsvorwürfe gegen einen anderen Geistlichen vertuscht haben soll. Wilson hatte zunächst einen Rücktritt mit dem Hinweis angelehnt, dass er in Berufung gehen wolle. Jetzt musste er doch gehen. Vor wenigen Tagen erst hatte der Vorsitzende der päpstlichen Kinderschutzkommission, Kardinal Sean O’Malley, ein entschiedeneres Vorgehen gegen Missbrauchsfälle gefordert, an denen Bischöfe und Kardinäle beteiligt sind. Sind das erste Konsequenzen?
Warnungen überhört?
Im Juni wurden die Vorwürfe gegen den ehemaligen Erzbischof von Washington Theodore McCarrick bekannt. Der Vatikan hatte damals nach ersten Voruntersuchungen dem 88-Jährigen untersagt, öffentlich als Priester zu wirken. Der Kirchenmann hatte die Anschuldigungen damals zurückgewiesen, sich den Auflagen des Vatikans aber gebeugt. Schon damals hieß es aus dem Erzbistum New York, in dessen Bereich mehrere der Vorfälle stattgefunden haben sollen, die Anschuldigungen seien „glaubwürdig und substanziell“.
In den vergangenen vier Wochen wurde der Fall zu einer immer größeren Belastung für die katholische Kirche in den USA, aber auch darüber hinaus. Einerseits gehört McCarrick zu den profiliertesten Kirchenmännern im Land, der wegen seines sozialen Engagements hohe Anerkennung weit über die eigene Kirche hinaus genoss. In den frühen 2000er Jahren gehörte er zudem zu den Vertretern, die die Null-Toleranz-Politik gegenüber Missbrauchstätern in der katholischen Kirche durchsetzten. Sollten die aktuellen Vorwürfe stimmen, scheint er sie für sich selbst aber als nicht geltend angesehen zu haben. Zum anderen wurden aber in den letzten Tagen auch immer mehr Stimmen laut, man habe in den vergangenen Jahren wiederholt auf das Fehlverhalten McCarricks aufmerksam gemacht, aber nie eine Reaktion aus dem Vatikan oder von Kardinal O’Malley erhalten.
Neues Vorgehen gegen Hierarchen?
Mit dem Rücktritt des US-Erzbischofs aus dem Kardinalskollegium geht der Vatikan nun einen Schritt weiter als in der Vergangenheit. Der frühere Erzbischof von Edinburgh, Keith Michael O’Brien, hatte ab 2015 seine Rechte und Privilegien als Kardinal ruhen lassen, ohne formal aus dem Kollegium auszuscheiden. O’Brien hatte 2013 die sexuelle Belästigung von Priesteramtskandidaten zugegeben und war kurze Zeit später von seinem Amt als Erzbischof zurückgetreten. McCarrick trägt nun fortan auch den Titel „Kardinal“ nicht mehr. Einen solchen Rücktritt hatte es zuletzt 1927 gegeben, als der französische Kardinal und Jesuit Louis Billot (1846-1931) nach einem Streit mit Papst Pius XI. (1922-1939) gegeben. Billot unterstützte die rechtsextreme und monarchistische Bewegung Action Francaise, die der Papst verurteilte.
Aktuell geht es nicht um eine politische Frage, die ein Land betrifft, sondern es geht einmal mehr um die Glaubwürdigkeit des Papstes und der katholischen Kirche. Auch wenn in beiden Fällen, bei Theodore McCarrick und Philip Wilson, das endgültige Urteil noch nicht gesprochen ist, muss der Papst zeigen, dass er konsequent handelt. Ob es da hilfreich ist, dass er stets wartet, bis die Betroffenen ihren Rücktritt – mit mehr oder weniger Druck aus der römischen Zentrale – von selbst anbieten, ist fraglich. Immer wieder wird gerade aus den Kreisen der Betroffenen die Forderung laut, dass der Papst auch entlassen können müsste – aus dem Kardinalskollegium oder aus dem Amt als Diözesanbischof. Das könnte nicht nur im Kontext von Missbrauchsfällen so manchen Schaden von der katholischen Kirche abwenden.
36 Kommentare
Schande über sie.
@ bernando
31.07.2018, 14:49 Uhr.
Mir graust es auch immer mehr über die himmelschreiende Unmoral und Doppelmoral gerade weit oben in der kirchlichen Hierarchie.
Ist es nicht auch Doppelmoral, die ganze Zeit von Kernfamilie und katholischem Verständnis von Familie zu sprechen (einerlei, ob man letzteres wirklich verstanden hat oder nicht) und dann im selben Atemzug gegen den Familiennachzug von Flüchtlingen zu sein?
Novalis
01.08.2018, 12:30 Uhr
Bitte beim Thema bleiben. Hier geht es einzig und allein um sexuellen Missbrauch! Und dazu habe ich mich HIER geäußert.
Sie führen doch die Flüchtlingsdebatte an allen möglichen Stellen ein, nicht ich.
Novalis
02.08.2018, 14:07 Uhr
Wo habe ich HIER etwas über Flüchtlinge geschrieben?
Immer schön alle Fragen miteinander vermengen.
@ bernando
02.08.2018, 10:22 Uhr.
So lenkt man vom eigentlichen Thema ab. Eine durchsichtige Taktik, die aber hier im Blog schon oft erfolgreich war.
Novalis 01.08. 12:30
Abgesehen davon, dass wir ein anderes Thema haben, dazu eine Frage:
– Wer trennt denn die Familien oder schickt seine Frau oder Kinder allein auf die gefährliche Reise oder (gar nicht lustige) Seefahrt, nur um damit ein „moralisches“ Druckmittel für die „humane Nachzugsbewilligung“ in die Hand zu bekommen ?
Für mich eine durch nichts gerechtfertigte Gefährdung der eigenen Familie und fast immer lediglich wirtschaftlicher Vorteile wegen. Im höchsten Masse verwerflich !
Mir auch.
Ist das akzeptabel ? Kardinäle hin oder her: diese hohen Würdenträger werden nicht mit Schimpf und Schande „verabschiedet“ sondern man nimmt deren Rücktrittsgesuche an. Und ihnen wird vom Vatikan lediglich „auferlegt“ in ein Kloster zu gehen, um Buss zu tun und zu beten…
– Verglichen dazu wundert mich (gelinde ausgedrückt) die Nichtbeachtung einer wichtigen Konferenz zum gleichen Thema in unserer Hauptstadt:
– Am 27. Juni fand nämlich in Berlin das 3. Öffentliche Hearing der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs statt. Thema war dieses Mal der kirchliche Umgang mit dem Problem. Eingeladen und anwesend waren denn auch deren Missbrauchsbeauftragte, die evang. Bischöfin Kirsten Fehrs und der kath. Bischof von Trier Stefan Ackermann.
Die Kommissions-Vorsitzende übte deutliche Kritik an den Kirchen, dass diese Mitverantwortung daran trügen, dass noch immer nicht das tatsächliche Ausmass bekannt sei. Sie hätten „alles dafür getan“, dass sich Betroffene nicht bei ihnen meldeten.
Eine Studie der Aufarbeitungskommission besagt diesbezüglich, dass die Hälfte der evang. und ein Drittel der kath. Betroffenen sich nicht an kirchliche Stellen gewandt hätten, wegen überwiegend negativer Erfahrungen.
– Wie erwähnt: mich erstaunt, dass man über die Kardinäle weit entfernt berichtet, während man die schleppende Aufarbeitung im eigenen Lande für nicht erwähnenswert erachtet…
Wanda
31.07.2018, 17:40 Uhr.
In unserer Kirche hat man sich schon immer mehr für das Unrecht (und Elend) möglichst weit weg irgendwo in der Welt interessiert, statt vor der eigenen Tür zu kehren, denn Letzteres ist unbequem und tut weh.
Es war und ist auch heute noch viel bequemer, für Misereor und Adveniat zu sammeln und zu spenden, als mal z.B. zu thematisieren, dass es im ach so reichen Deutschland alte Leute gibt, die Pfandflaschen sammeln, weil die Rente nicht reicht, oder über Kinderarmut hierzulande zu sprechen.
Und bei den Missbrauchsskandalen ist es ähnlich.
„schleppende Aufarbeitung im eigenen Lande“
eben gerade in Regensburg!
Es bleibt zu hoffen, dass in Deutschland der – m.E. zurecht – von P. Mertes SJ als Vertuscher bezeichnete Gerhard Ludwig Müller samt dem seinerzeitigen GV Fuchs und seinem Nachfolger Voderholzer auch abgesetzt wird. Das ist zwar nur die Spitze des Eisbergs, aber wäre ein Beginn.
Wenn der heutige Beitragi auf katholisch.de richtig ist, wovon ich ausgehe, dann kann der Papst einen Kardinal nicht entlassen, weil das im CIC nicht vorgesehen ist, sondern er kann sein Rücktrittsgesuch nur annehmen. Er kann auch den CIC nicht so einfach ändern, (obwohl das Ratzinger mal gemacht hat. Diese Änderungen sind demnach nicht rechtens und dürften meines Erachtens nicht angewendet werden.)
Brigitta
01.08.2018, 19:34 Uhr
das habe ich auch gelesen. Nichtsdestotrotz hat man den Dubia – Kardinälen mit dem Entzug der Kardinalswürde gedroht.
Was stimmt den nun? Vielleicht kann @ Herr Erbacher das mal klären?
Aber nicht vom Papst aus, sondern das waren andere Kardinäle. Müssen ja nicht immer alle juristisch geschult sein.?
Dieser Beitrag ist sachlich falsch. Der Papst kann da alles machen, was er will. Er ist der Herr des Kirchenrechts. Wer sollte ihn denn anklagen? Und nur weil etwas im CIC nicht enthalten sei, heißt das nicht, dass es unmöglich sei. Im Übrigen hat der Papst die Vollgewalt, d.h. er kann jederzeit und an jedem Ort durchgreifen. Er könnte sogar dekretieren, dass der Kardinal ein Rücktrittsgesuch einreicht.
Novalis
02.08.2018, 14:10 Uhr
Gilt das auch für Vorgänger und Nachfolger des gerade amtierenden Papstes? Ich frage nur, um den Überblick zu behalten, wann ein Papst durchgreifen darf oder soll/muss und wann das ein absolutes Nogo ist.
dieses ichmachmirdieweltwiesiemir gefällt hat doch besonders gut b16 demonstriert. noch 2004 hat johannes paul sich entschieden für die übersetzung „für alle“ beim kelchwort der messe stark gemacht; kurze zeit später wollte b16 seine „für viele“-version u.a. deutschland aufzwingen. in summorum pontificum hat er sich sogar zur unwahren aussage verstiegen, paul vi. habe das tridentinische messbuch NIE abgeschafft (vielleicht sogar zur lüge, denn kurze zeit davor war er noch gegenteiliger ansicht)…
@carla maltese: „In dem Fall ist dieses Durchgreifen verwerflich.“
Das ist eine moralische, keine rechtliche Kategorie. Rechtlich könnten das Johannes Paul und noch viel mehr Benedikt zweifellos. Der Kirche haben sie damit aber natürlich Schaden zugefügt.
vielleicht etwas überpointiert, aber korrekt.
Einer der bedeutendsten Eherechtler, den ich hören konnte, fasste die plena potestas so zusammen: „Der Papst kann alles“. Ich musste damals schlucken. Das entsprach und entspricht nicht dem, was kirchliche Tradition INSGESAMT zu bieten hat. ABER: Das ist das römische Selbstverständnis seit Gregor VII. und eben besonders ausdrücklich seit 1870.
Einer der bedeutendsten Theologen schrieb dazu: „Die Kirche ist Raum unseres Glaubens, weil sie in ihrem von Christus bevollmächtigten und darin uns, die Hörenden, im Gewissen bindenden Amt der rechten Lehre das Wort Christi bezeugt und uns so erst eindeutig hörbar macht… Wort ist Wort im Munde von Menschen. Wort Christi ist Wort im Munde der von Christus autorisierten Kirche; weil sie es sagt, erweist es sich als sein Wort… Dafür, daß der Geist der Kirche keine Fehler macht, gibt es keine solchen Vorkehrungen und Sicherheitsmaßnahmen (in der Verfassung der Kirche oder in den … Methoden der Theologie), an die man Berufung einlegen könnte, wenn die Lehre der Kirche eine entscheidende Forderung an die Glaubenszustimmung stellt.“
Ich gestehe: Altkatholik*innen haben es da bedeutend einfacher. Aber man muss das Selbstverständnis des römischen Lehramtes einfach auch erst einmal zu Kenntnis nehmen. Dann kann man danach sagen: Das misshagt mir.
Was ich noch sagen wollte, bevor der Tag zu Ende geht und die Nacht hereinbricht. Es heißt zu Thema Kardinal doch bei ABBA „At five I must have left, there’s no exception from the rule“ (Um fünf bin ich dann gegangen, es gab niemals eine Ausnahme von dieser Regel)
Eigenartig: Kardinal Meisner starb am 5. Juli 2017 und Kardinal Tauran starb am 5. Juli dieses Jahres mit 75 Jahren.
Kardinal wer? Kardinal Tauran sprach das Habemus Papam nach der Wahl von Papst Franziskus.
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