Papst: Nicht Schwarz oder Weiß
Und er hat doch geantwortet. Zumindest indirekt ist Papst Franziskus auf Einwände gegen sein Schreiben Amoris laetitia eingegangen. In einem Interview mit der italienischen Tageszeitung „Avvenire“ sagte er am Freitag: „Einige – denken Sie an gewisse Entgegnungen zu ‚Amoris laetitia‚ – verstehen es weiter nicht.“ Es gebe nicht nur Schwarz oder Weiß, sondern es müsse „im Fluss des Lebens unterschieden“ werden. Das habe das II. Vatikanische Konzil so gesagt. Dieses habe eine Akzentverschiebung des christlichen Verständnisses vorgenommen, so Franziskus, weg „von einem gewissen Legalismus, der auch ideologisch sein kann, hin auf die Person Gottes, der zur Barmherzigkeit wurde in der Menschwerdung des Sohnes“. Franziskus unterstreicht, dass er nichts Neues mache und wehrt sich gegen den Vorwurf, er „protestantisiere“ die katholische Kirche. „Das raubt mir nicht den Schlaf. Ich gehe auf dem Weg meiner Vorgänger weiter. Ich folge dem Konzil.“ Der Papst gibt allerdings zu bedenken, dass ein Konzil laut Historiker etwa hundert Jahre brauche, bis es eine Wirkung entfalte. „Wir sind bei der Hälfte“, so Franziskus. Damit dürfte klar sein, dass Franziskus nicht ein drittes Vatikanisches Konzil einberufen wird, worüber zum Ende des Heiligen Jahres einige Kollegen spekulieren, sondern dass er sich weiter für die Umsetzung des II. Vatikanums einsetzen wird.
Papst: Ich folge dem Konzil
Die Kirche bestehe nur als Instrument, „um den Menschen das Bild des barmherzigen Gottes mitzuteilen“. Mit dieser Aussage von Franziskus ist eigentlich schon alles gesagt. JeglicherForm des Rigorismus oder des starren Festhaltens an Regeln ist damit eine Absage erteilt. Der amtierende Pontifex zeigt in dem Interview, dass dieses Verständnis der Kirche keine eigene Erfindung ist. Papst Johannes XXIII. habe in seiner Eröffnungsansprache des Konzils den Weg vorgegeben, als er von der „Medizin der Barmherzigkeit“ gesprochen habe. Paul VI. habe im barmherzigen Samariter sein Paradigma gesehen. Johannes Paul II. habe mit „Dives in misericordia“ eine ganze Enzyklika dem Thema gewidmet und das Fest der „Göttlichen Barmherzigkeit“ eingeführt. Benedikt XVI. habe schließlich schon festgestellt: „Der Name Gottes ist Barmherzigkeit“. Damit sei das Heilige Jahr der Barmherzigkeit auch ein Jubiläum des Konzils gewesen, so Franziskus. „Im Konzil hat die Kirche die Verantwortung verspürt, in der Welt gleichsam das lebendige Zeichen der Liebe des Vaters zu sein.“ Mit der Konzilskonstitution Lumen gentium, die mit der Darlegung des Verständnisses der Kirche eines der zentralen Konzilspapiere ist, sei die Kirche zurückgegangen zu den Quellen ihrer Natur, dem Evangelium. Was Franziskus nur indirekt ausspricht ist, dass nun allein die Umsetzung noch fehlt. Und diese zu bewerkstelligen sieht er als seine Aufgabe.
Wie schon im Interview mit der schwedischen Jesuitenzeitschrift kurz vor dem Besuch in Lund vor drei Wochen, zieht Franziskus eine Parallele der Situation der Kirche zur Zeiten Luthers und heute. Luther habe auch auf das Bild einer Kirche reagiert, die meine, auf die Gnade Gottes verzichten zu können oder sich schon in deren Besitz wähne. „Diese Versuchung, eine selbstreferenzielle Kirche zu errichten, die zu Gegensätzen und schließlich zur Spaltung führt, kehrt ständig wieder“, so der Papst. Es sei das „Krebsgeschwür“ der Kirche, sich gegenseitig mit Ruhm zu überhäufen. Wer in der Kirche Machthunger und Selbstbehauptung pflege, leide an einer „spirituellen Krankheit“.
Kritik kann auch positiv sein
Was Kritik anbetrifft, mahnt Franziskus zur Vorsicht. Man müsse unterscheiden, „in welchem Geist sie vorgetragen werden“. Solange sie nicht mit böser Absicht vorgetragen werde, könne sie die Kirche auch voranbringen. „Manchmal sieht man aber sofort, dass die Kritiken hier und da gemacht werden, um eine bereits vorgefertigte Position zu verteidigen, dass sie nicht ehrlich sind oder mit böser Absicht gemacht sind, um Spaltungen zu schüren.“ Man sehe sofort, dass „einige Rigorismen in einem Mangel ihren Grund haben, im Versuch, darin die eigene traurige Unzufriedenheit zu verstecken“.
Das Interview zeigt einmal mehr, Franziskus wird überzeugt seinen Weg weitergehen. Der ist allerdings nicht in festen Bahnen vorgezeichnet. Das machte er ebenfalls in dem Gespräch deutlich. Er habe keinen Plan für das Heilige Jahr gehabt, gibt er zu. Vielmehr habe er sich vom Heiligen Geist leiten lassen. Hier wird einmal mehr deutlich, dass es Franziskus darum geht, Prozesse anzustoßen, deren Ende auch er nicht abzusehen weiß. Was Amoris laetitia anbetrifft, ist er allerdings überzeugt, dass am Ende des langen synodalen Prozesses zu „Ehe und Familie“, der von der ersten Umfrage im November 2013 bis zur Ordentlichen Bischofssynode im Oktober 2015 knapp zwei Jahre dauerte, die große Mehrheit der Bischöfe und Kardinäle seine Position mitträgt.