Das nächste Papst-Interview
Papst Franziskus hat erneut ein langes Interview gegeben. Dieses Mal sprach er mit dem Herausgeber der italienischen Tageszeitung LaRepubblica, Eugenio Scalfari. Vor wenigen Wochen hatte die Repubblica bereits einen Brief des Papstes an Scalfari abgedruckt, in dem Franziskus auf Fragen des Journalisten geantwortet hatte. Am 24. September trafen sich die beiden nun im vatikanischen Gästehaus Santa Marta. Was dabei herausgekommen ist, ist nicht weniger spannend als das Interview mit den Jesuitenzeitschriften vor einigen Tagen. Der Papst geht erneut mit Kirche und Kurie hart ins Gericht, spricht über seine Vision von einer Kirche an der Seite der Menschen und unterstreicht seinen festen Willen, mit der Moderne und den Nichtglaubenden ins Gespräch zu kommen. Dabei spricht der Papst an vielen Stellen in der für ihn typischen, für manche aus dem Mund eines Papstes eher ungewöhnlich klaren Sprache. So bezeichnet er etwa das „Hofgehabe als Lepra des Papsttums“.
Ein Grundgedanke, der das Interview durchzieht, ist der Wille des Papstes zu Reformen in der katholischen Kirche. Die römische Kurie ist aus seiner Sicht zu „vatikanzentriert“. Sie kümmere sich zu sehr um die Interessen des Vatikans und die seien zum größten Teil noch „weltliche Interessen“. „Ich teile diese Sicht nicht und werde alles dafür tun, sie zu ändern.“ Die Kirche müsse wieder zu einer Gemeinschaft des Volkes Gottes werden und die Priester und Bischöfe sollten als Seelsorger im Dienst des Volkes Gottes stehen. Die Führer der Kirche seien oft Narzisten gewesen, umgeben von schmeichelnden Höflingen. Den Kardinalsrat, sprich die Gruppe der acht Kardinäle, sieht er als einen ersten Ansatz für eine Kirche, die nicht nur hierarchisch organisiert ist, sondern auch horizontal. Angesprochen auf Klerikalismus erklärte Franziskus schmunzelnd: „Wenn ich vor einem Klerikalen stehe, werde ich auf einen Schlag antiklerikal.“ Klerikalismus dürfe mit dem Christentum nichts zu tun haben.
Das II. Vatikanische Konzil habe inspiriert von Johannes XXIII. und Paul VI. beschlossen, mit einem modernen Geist in die Zukunft zu schauen und sich der modernen Kultur zu öffnen. Die Synodenväter seien sich bewusst gewesen, dass eine Öffnung gegenüber der Moderne einen religiösen Ökumenismus und Dialog mit den Nichtglaubenden bedeutet. „Doch bisher ist sehr wenig in diese Richtung gemacht worden. Ich besitze die Demut und den Willen, das zu tun.“
Franziskus wiederholt seine Vision von einer armen und missionarischen Kirche. Diese Ideale des heiligen Franziskus seien heute aktueller denn je. Zugleich warnt der Papst vor Proselytismus, also dem Abwerben von Gläubigen. „Proselytismus ist eine feierliche Dummheit.“ Es sei wichtig, den anderen kennenzulernen, ihm zuzuhören und seine Umwelt kennenzulernen. In jedem Menschen gebe es eine Idee des Guten und des Bösen. Jeder sei dazu aufgerufen, dem Guten zu folgen und das Böse zu bekämpfen. „Dies würde schon ausreichen, um die Welt zu verbessern.“ Unter Franziskus bekommt das Gewissen noch einmal eine ganz entscheidende Bedeutung. Das klang schon im Interview der Jesuitenzeitschriften an.
Auch in diesem Interview erfährt der Leser wieder einiges Persönliches über den Papst und einmal mehr erzählt er Details aus dem Konklave. So habe er sich bei der Papstwahl auserbeten, sich vor der Annahme der Wahl für einige Augenblicke in einen angrenzenden Raum zurückziehen zu dürfen. Franziskus spricht über seine Gefühle in diesem Moment. Er spricht auch über seine Lieblingstheologen und –heilige wie Paulus, Augustinus, Benedikt, Thomas von Aquin und Ignatius sowie natürlich den heiligen Franz von Assisi. Franziskus spricht über die Jesuiten, die zwar nicht der einzigste, aber der effektivste Sauerteig des Katholischen seien gekennzeichnet durch Kultur, Bildung, missionarisches Zeugnis und Treue zum Papst. Überhaupt sei der heilige Ignatius ein Reformer und Mystiker gewesen. Franziskus selbst sieht sich nicht als Mystiker; doch eine Religion ohne Mystiker verkomme zur Philosophie.
Franziskus unterstreicht, dass die Kirche keine Politik mache. Sie dürfe nie darüber hinausgehen, ihre Werte auszudrücken und zu verteidigen. „Sehr oft war die Kirche als Institution von Weltlichkeit dominiert.“ Und noch immer gebe es hohe kirchliche Repräsentanten, die noch heute diese Haltung hätten. Hier trifft sich Franziskus wieder mit seinem Vorgänger Papst Benedikt XVI. und seiner Forderung nach einer Entweltlichung der Kirche. Das Verhältnis der beiden Päpste zueinander ist von Kontinuität und Diskontinuität geprägt. Das zeigt auch das aktuelle Interview wieder. Das ist auch normal; denn jeder Papst setzt seine eigenen Akzente, hat seinen eigenen Stil, seine eigenen Stärken und Schwächen. Jeglicher Versuch, Vorgänger und Nachfolger deckungsgleich übereinander legen zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt.
Papst Franziskus verabschiedete sich übrigens von Scalfari mit dem Hinweis, dass er beim nächsten Treffen gerne über die Rolle der Frau in der Kirche mit ihm sprechen möchte.
P.S. Eigentlich wollte ich heute über das Treffen des Kardinalsrats mit Papst Franziskus schreiben. Doch das Interview kam nun dazwischen. Die Kardinäle treffen sich ja noch bis Donnerstag; daher in den nächsten Tagen dazu mehr. Auch die erste Jahresbilanz der Vatikanbank IOR, die heute Morgen im Internet veröffentlicht wurde, muss noch warten.
P.P.S. Papst im Interview: „Ich glaube an Gott, nicht an einen katholischen Gott. Es gibt keinen katholischen Gott. Es gibt Gott. Und ich glaube an Jesus Christus, seine Inkarnation. Jesus ist mein Meister und mein Hirte; aber Gott, der Vater, Abba, ist das Licht und der Schöpfer.“
P.P.P.S. Mittlerweile gibt es auch eine englische Übersetzung des Interviews.